Düsseldorf / Siegen. Immer mehr Infokanäle, die sich widersprechen. Das verwirrt, fördert Fake News, Verschwörungstheorien. Wie gelangt man zu mehr Medienkompetenz?

„Bitte anschauen“, schreibt ein Bekannter über die „Sozialen Medien“. „Es erklärt vielleicht, warum das tolle Video gelöscht ist.“ Das macht neugierig – und schon klickt man auf den Link und erfährt eine völlig andere Sichtweise als man sie in der Zeitung liest, im Fernsehen sieht, im Radio hört über die Corona-Krise, Handy-Strahlen oder den Klimawandel. Da kann man ins Grübeln kommen: Wem ist heute noch zu trauen?

In der Krise mit ihren vielen Ungewissheiten wird deutlich, dass viele Menschen Nachhilfe in Medienkompetenz benötigen. Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen von der Uni Tübingen sagt: „Eine gigantische Medienbildungslücke wird hier offenbar, wir erleben eine regelrechte Infodemie.“

„Durch Soziale Netzwerke verbreiten sich die Nachrichten wie ein Lauffeuer, ob sie richtig sind oder nicht“, sagt Nadine Eikenbusch, Medienpädagogin und Referentin für die EU-Initiative Klicksafe bei der Landesanstalt für Medien NRW.
„Durch Soziale Netzwerke verbreiten sich die Nachrichten wie ein Lauffeuer, ob sie richtig sind oder nicht“, sagt Nadine Eikenbusch, Medienpädagogin und Referentin für die EU-Initiative Klicksafe bei der Landesanstalt für Medien NRW. © Klicksafe

Es scheint zunehmend schwerer zu werden, sich richtig zu informieren. Durch Twitter, Youtube, Instagram sowie Facebook, Whatsapp, TikTok & Co. wirkt die Zahl der Infokanäle neben den klassischen Medien erst recht unüberschaubar.

„Soziale Netzwerke sind eine Bereicherung“, betont Medienpädagogin Nadine Eikenbusch. Schließlich können so Informationen schnell geteilt und besprochen werden. „Aber dadurch verbreiten sich Nachrichten auch wie ein Lauffeuer, ob sie richtig sind oder nicht.“ Und diese Verantwortung müsse sich jeder bewusst machen, bevor er auf „Teilen“ klickt.

Die 28-Jährige ist Referentin für die EU-Initiative Klicksafe bei der Landesanstalt für Medien NRW, also der Aufsichtsbehörde des privaten Rundfunks. Klicksafe klärt unter anderem über Fake News und Verschwörungstheorien auf. Eikenbusch empfiehlt eine „gesunde Skepsis“ gegenüber Online-Angeboten. „Wenn bei einer Internetseite kein Impressum angegeben ist oder eine dubiose Adresse aus dem Ausland oder bei Autoren eine bestimmte Parteilichkeit zu sehen ist, dann sollte man hellhörig werden.“ Auch bei Youtube gibt es eine Kanalinfo, also eine Art Impressum.

Oft sind Bilder, die zu gefälschten Nachrichten erscheinen, stark emotionalisiert. Aber gehören sie überhaupt zum Beitrag? „Bei Google gibt es die Funktion der Rückwärtsbildersuche. Da kann man schauen, ob das Bild wirklich dazugehört oder ob es aus einem fremden Kontext herausgerissen worden ist.“ Manche Aussagen werden mit vermeintlich seriösen Studien und Experten untermauert. Und dann stellt sich heraus, dass der Professor gar nicht zu dem Gebiet forscht.

Wichtig: Andere Quellen für Nachrichten heranziehen

Wichtig auch: andere Quellen heranziehen. Problematisch wird es, wenn man etwa nur bei Youtube sucht. Weil ein Algorithmus dafür sorgt, dass man Videos mit ähnlichem Inhalt empfohlen bekommt. Eine Gegenposition wird da nicht deutlich. „Hilfreich sind Faktenchecker, wie Mimikama oder Correctiv“, so Eikenbusch. Auch größere Medien haben Angebote, bei denen Aussagen auf ihre Richtigkeit abklopft werden.

Es besteht bei sozialen Netzwerken wie Youtube die Möglichkeit, extremistische oder gesundheitsgefährdende Inhalte zu melden, so Eikenbusch. Aber alles wird nicht erfasst oder gelöscht. Aktuell hat Twitter erstmals auch eine Mitteilung vom US-Präsidenten gecheckt und mit einem Link versehen, unter dem Donald Trumps Warnungen vor einer Briefwahl als „unbegründet“ erklärt werden. Trump kontert, er würde damit auf sein Recht „auf freie Rede“ beraubt.

Videos löschen - oder den Leuten erlauben, weiterhin Falsches zu vermelden?

Das Dilemma bei fehlerhaften Inhalten, die gekennzeichnet oder gelöscht werden: Einerseits wird so das Vertrauen in ein Angebot gesteigert, andererseits fühlen sich etwa Verschwörungstheoretiker in ihrer Überzeugung bestätigt, es gebe keine Meinungsfreiheit, die deutsche Regierung und die klassischen Medien würden manipuliert.

„Reporter ohne Grenzen“, eine Organisation, die sich weltweit für politisch verfolgte Journalisten einsetzt, veröffentlicht jedes Jahr eine Karte zur Pressefreiheit auf der ganzen Welt. In erschreckend vielen Ländern ist die Lage schwierig bis sehr ernst. Nur in wenigen Staaten können Journalisten frei berichten. Deutschland zählt dazu. Trotzdem gibt es Zweifler. Doch wenn es keine Meinungsfreiheit hierzulande gäbe, warum darf dann so oft behauptet werden, dass es keine Meinungsfreiheit gibt – ohne dass persönlicher Schaden zu fürchten ist?

Politik-Talks, die nicht besonnen Themen ergründen, sondern lautstark Quote machen

Alarmiert sollte man bei Überschriften sein, die reißerisch formuliert sind, rät Eikenbusch. „Du wirst es nicht glauben!“ Oder: „Wacht endlich auf!“ Allerdings wollen so nicht nur Verschwörungsportale, sondern auch Boulevardblätter oder rein werbefinanzierte Internetseiten Leser gewinnen. Auch bei vermeintlichen Polit-Talks bekommt man oft den Eindruck, dass es nicht darum geht, besonnen Themen zu ergründen, sondern lautstark Quote zu machen. „Ich wünsche mir eine Talkshow, in der eine Stimmung qualifizierter Nachdenklichkeit herrscht. Seine eigene Position zu überdenken, kommt leider so gut wie nie vor“, sagt Pörksen.

Seriöse Nachrichten

Der Wunsch nach verlässlichen Nachrichten ist in der Corona-Krise gestiegen. Die digitalen Angebote der Zeitungen verzeichneten Rekorde auf Zugriffszahlen, so der Bundesverband Digitalpublisher und Zeitungsverleger BDZV. Das bestätigt auch die Funke Mediengruppe, zu der diese Zeitung gehört: Die Zahl der Nutzer sowie der Abonnenten digitaler Angebote habe sich in der Zeit der Corona-Krise verdoppelt.

Auch die klassischen Fernseh-Nachrichtenformate sind mehr gefragt: Die „Tagesschau“ erklärt auf Anfrage: Im April schauten im Schnitt 13,9 Millionen Menschen zu. Spitzenwert: 18,8 Millionen. Zum Vergleich: Der Durchschnittswert für 2019 lag bei 9,8 Millionen.

„Ich möchte allen raten, verlässliche Informationen zu suchen“, so der Virologe Christian Drosten von der Berliner Charité bereits im April in einem Instagram-Video des Bundesministeriums für Gesundheit. Er empfiehlt als Quellen für Corona-Informationen neben großen Tageszeitungen auch Internetseiten von Forschungsinstituten.

Johannes Paßmann von der Uni Siegen begrüßt es, wenn Menschen sich in komplexe Materie einarbeiten. Aber er sieht solche Empfehlungen auch kritisch: „Aus meiner Sicht als Medienwissenschaftler kann Quellenkritik von Daten, Experten, Modellen, Zahlen nicht zur alleinigen Aufgabe der Bürgerinnen und Bürger werden“, so der 35-Jährige. „Dies ist und bleibt primär die Aufgabe von Journalismus.“

Nicht jedem neuen Youtube- oder Telegram-Channel vertrauen

Es ginge bei Medienkompetenz mehr um die Frage, welchen Medien, welchen Journalisten man vertrauen kann. „Es gibt natürlich schlechte Zeitungen und es gibt großartige Youtube-Channels, aber einer Zeitung, die seit 70 Jahren als solide Referenz für Politik und andere Zeitungen fungiert, ist prinzipiell eher zu trauen, als einem Youtube- oder Telegram-Channel, der innerhalb von ein paar Monaten auf der Bildfläche erschienen ist.“

Auch zeichneten sich gute Medien dadurch aus, dass sie keine Angst vor Selbstkritik haben. Zudem rät Paßmann: „Wenn mir in der Siegener Zeitung etwas komisch vorkommt, kann ich vergleichen, wie derselbe Sachverhalt auf der Website des Kölner Stadtanzeigers dargestellt ist, wie bei der FAZ oder wie bei der taz.“ Ein mündiger Medien-Konsument sei wie ein mündiger Patient, der bei Zweifeln nicht misstrauisch, sondern kritisch ist und vielleicht einen weiteren Arzt fragt: „Er versucht sich ja auch nicht gleich an der Selbstmedikation oder geht zum Wunderheiler.“