Berlin. Die Pandemie hat auch massive Auswirkungen auf die Arbeit von Journalisten und die Freiheit der Presse. Wie Regierungen einschüchtern.

Eine Krise legt vieles offen. Auch wie es um die Pressefreiheit in einem Land bestellt ist. Gerade erst haben die hiesigen Vertreter der Bundes- und Landespressekonferenzen in einem offenen Brief an die Bundeskanzlerin, die Minister und die Ministerpräsidenten der Länder appelliert, die zahlreichen Einschränkungen nach der Corona-Pandemie wieder abzuschaffen.

„In dieser bisher nicht gekannten Krise“, heißt es in dem Brief, „die die gewohnten Arbeitsabläufe von Politik, Medien und Gesellschaft verändert, kommt den Medien eine elementare Aufgabe zu.“ Information, Einordnungen, aber auch kritische Fragen zu den Beschränkungen seien ein wichtiger Bestandteil einer lebendigen Demokratie.

Die Absender des Briefes erinnerten an Artikel 5 der Verfassung. Darin heißt es: „Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet.“ Mit Sorge nehme die Vereinigung politischer Journalisten wahr, dass es zum Negativen veränderte Bedingungen im Informationsfluss gebe: „Pressekonferenzen ohne Journalisten, Fragen, die durch Regierungssprecher geschönt vorgetragen werden, Nachfragen, die gar nicht möglich sind.“

„Corona-Krise legt wie ein Brennglas autoritäre Systeme offen“

Allen Journalisten sei bewusst, dass einige Einschränkungen der Corona-Pandemie geschuldet seien. Aber: „Die derzeitige Krise darf keine Ausrede sein, sich vor unangenehmen Fragen wegzuducken.“

Deutschland steht auf der jährlichen Rangliste der Pressefreiheit des Netzwerks Reporter ohne Grenzen (RSF) in diesem Jahr auf Platz elf von 180 gelisteten Ländern, dabei hat es sich im Vergleich zu 2019 um zwei Plätze verbessert. Reporter ohne Grenzen dokumentiert Verstöße gegen die Presse- und Informationsfreiheit weltweit und alarmiert die Öffentlichkeit, wenn Journalisten und deren Mitarbeiter in Gefahr sind.

Auf die Frage, wie sich die Pandemie auf die Pressefreiheit auswirkt, antwortet RSF-Geschäftsführer Christian Mihr: „Die Corona-Krise wirkt wie ein Brennglas, dass autoritäre und diktatorische Systeme offenlegt.“ Negativ hervorzuheben sind Länder wie China (Platz 177), Russland (149), Bulgarien (111), Ungarn (89), Slowenien (32), die Türkei (154), aber auch die USA (45).

Kritische Journalisten wurden verhaftet oder verschwanden

In China seien schon vor der Pandemie Journalisten verhaftet und zensiert worden. Während der Pandemie ist zudem bekannt geworden, dass „Journalisten, die kritisch zur Pandemie nachgefragt haben, verhaftet wurden oder sogar verschwunden sind, speziell in Wuhan“, berichtet Mihr. Wuhan ist die Stadt, in der das Coronavirus erstmalig auf den Menschen übertragen wurde. „China versucht, durch Journalistentrainings und durch Zensur sein Narrativ der Bekämpfung des Virus zu verbreiten.“ Beobachte man zum Beispiel die Rezeption von China in den sozialen Medien falle auf, wie unreflektiert Informationen geteilt werden, die vom chinesischen Staat verbreitet wurden.

Hong Kong am 25 August, 2019: Der Fofograf Lam Yik Fei fotografiert im Stadtteil Tsuen Wan, wie sich vermummte Anhänger der Regenschirm-Bewegung auf einen Zusammenstoß mit der Polizei vorbereiten. Der Regenschirm gilt als Symbol der Demokratiebewegung. Dieses Bild ist eine der Arbeiten, die in dem neuen Buch „Fotos für die Pressefreiheit“ von Reporter ohne Grenzen vorgestellt werden. Das Buch kann man auf der Webseite www.reporter-ohne-grenzen.de bestellen.
Hong Kong am 25 August, 2019: Der Fofograf Lam Yik Fei fotografiert im Stadtteil Tsuen Wan, wie sich vermummte Anhänger der Regenschirm-Bewegung auf einen Zusammenstoß mit der Polizei vorbereiten. Der Regenschirm gilt als Symbol der Demokratiebewegung. Dieses Bild ist eine der Arbeiten, die in dem neuen Buch „Fotos für die Pressefreiheit“ von Reporter ohne Grenzen vorgestellt werden. Das Buch kann man auf der Webseite www.reporter-ohne-grenzen.de bestellen. © Lam Yik Fei for The New York Times

Dietmar Wolff, Hauptgeschäftsführer des Bundesverband Digitalpublisher und Zeitungsverleger e. V. (BDVZ), kritisiert Chinas Medienzensur ebenfalls. „Hätte China nicht die Nachrichten über die Ausbreitung eines unbekannten höchst ansteckenden Virus zunächst massiv unterdrückt, hätte es weltweit womöglich auch schon deutlich früher Warnungen vor einer drohenden Pandemie gegeben.“

Einschüchterung, Desinformation, Festnahmen und Tod

Ungarns rechtsnationaler Ministerpräsident Viktor Orban ließ sich Ende März vom Parlament in Budapest Sondervollmachten erteilen. Damit kann er zunächst unbefristet per Dekret regieren.
Ungarns rechtsnationaler Ministerpräsident Viktor Orban ließ sich Ende März vom Parlament in Budapest Sondervollmachten erteilen. Damit kann er zunächst unbefristet per Dekret regieren. © dpa | Foto: Tamas Kovacs

Wolff betont, dass derzeit freie und unabhängige Medien wichtiger denn je sind. Sonst nutzten Regierungen die Gesundheitskrise als Vorwand, den freien Informationsfluss zu unterdrücken. Verschiedene Menschenrechtsorganisationen dokumentieren mittlerweile eine alarmierende Zahl von Fällen. „So gibt zum Beispiel das neue Gesetz gegen angebliche Fake News russischen Behörden die Möglichkeit, unliebsame Berichterstattung über Versäumnisse in der Coronakrise ganz offiziell zu unterbinden“, so Wolff. Auch die ungarische Regierung unter Premier Viktor Orban habe mit Verweis auf die Pandemie ein Gesetz verabschiedet, das es erlaubt, im Rahmen des Notstands unbegrenzt per Dekret zu regieren – und nicht zuletzt die Berichterstattung über das Coronavirus zu filtern und zu zentralisieren. Es droht der große Lockdown für die Presse im Land.

Laut Reporter ohne Grenzen sind 2020 weltweit bereits zehn Journalisten getötet und 231 inhaftiert worden. Doch auch durch die Einschüchterung der Medien, wie in den USA sogar durch den eigenen Präsidenten, werde die Arbeit der Journalisten und damit die Pressefreiheit eingeschränkt.

In Deutschland sei es nun wichtig zu beobachten, wie sich die wirtschaftlichen Folgen der Corona-Pandemie auf die Verlage und Medienhäuser auswirken. Wegfallende Werbeeinnahmen können zu Kündigungen, schlechterer Qualität und sogar zur Schließung von Medienmarken führen, so Mihr.

Auf dem ersten Platz der Pressefreiheit steht in diesem Jahr Norwegen, auf dem letzten Platz Nordkorea.