Oberhausen. Heirats-Schwindel? Urkunden-Betrug? Exotische Namen? Standesbeamte müssen genau hinsehen. Im Verdachtsfall werden Heiratswillige sogar getrennt.

So viel Glück auf einmal: Während die Brautleute um die Wette strahlen, können ihre Mütter die Tränen der Rührung nicht mehr zurückhalten. Mit breiter Brust präsentierten sich die Väter, voller Stolz. Schönster Tag im Leben, Einfahrt in den Hafen der Ehe – was wird nicht alles mit einer Trauung in Verbindung gebracht. Doch nicht immer läuft die Sache so romantisch ab wie in einer Seifen-Oper. Und die Standesbeamtinnen und -beamten sind auch keine Traumschiff-Kapitäne. Was nichts daran ändert, dass ihr Job zu den schönsten gehört, die ein Rathaus zu bieten hat. Wo sonst treffen Verwaltung und Emotionen so direkt aufeinander? „Stimmt alles“, sagt die Oberhausener Sachgebietsleiterin Birgit Wilken, „auch für uns Standesbeamte sind Trauungen etwas Besonderes. Aber sie sind nur die Spitze des Eisbergs, beanspruchen gerade mal ein Fünftel unserer Zeit. Unser Aufgabengebiet ist größer, als sich viele Bürger vorstellen können.“

Von der Wiege bis zur Bahre...

„Von der Wiege bis zur Bahre – Formulare, Formulare“ stöhnt der Volksmund und macht es sich damit sehr leicht. Denn ohne ein funktionierendes Personenstandsregister – so die offizielle Bezeichnung – läuft so gut wie nichts in unserem Land. Wer heiraten oder Kindergeld beantragen will, einen Pass benötigt oder sein Kind zur Schule anmelden will, muss eine Geburtsurkunde vorweisen. Auch der Tod muss amtlich dokumentiert werden. Ohne Sterbeurkunde kann der oder die Hinterbliebene keine Rente beantragen. Seit 2009 werden die Personenstandsregister digital geführt. Alles was davor geschah, ist noch in alten Büchern und Registern aufgeführt.

Die Welt ist in den vergangenen Jahren komplizierter geworden, die Gesellschaft verändert sich rasant und damit auch der Aufgabenbereich der Standesämter. Menschen wechseln das Geschlecht, es gibt ein drittes Geschlecht. Besonders im Ruhrgebiet haben viele Bürger einen Migrationshintergrund. „Wenn sie heiraten wollen, brauchen wir Unterlagen aus dem Heimatland. Bei Ländern mit unsicherem Urkundenwesen ist das manchmal schwierig.“, sagt Birgit Wilken. Diese „Ehefähigkeitszeugnisse“ erfordern mitunter einen monatelangen Papierkrieg. Aber auch die Anerkennung ausländischer Scheidungen muss amtlich bestätigt werden und erfordert einen hohen Aufwand. Mitunter wird das Oberlandesgericht gebeten, bei der Prüfung mitzuwirken.

Mehr als eine Ja-Fragerin: Ob Liebesehe oder Zweckbündnis – zu Standesbeamtin Birgit Wilken aus Oberhausen kommen alle Heiratswilligen.
Mehr als eine Ja-Fragerin: Ob Liebesehe oder Zweckbündnis – zu Standesbeamtin Birgit Wilken aus Oberhausen kommen alle Heiratswilligen. © rolf kiesendahl

Es geht aber auch darum, Missbrauch zu verhindern. „Wenn ein Verdacht auf Scheinehe besteht, führen wir getrennte Befragungen durch“, so Birgit Wilken. Ein weiteres Problem sei die missbräuchliche Anerkennung von Vaterschaften, bei der deutsche Männer die Vaterschaft für ausländische Babys übernehmen. Das Kind erhält dadurch die deutsche Staatsbürgerschaft, die Mutter ein dauerndes Bleiberecht. Und der Vater, der laut deutschem Recht nicht der biologische Vater sein muss, kassiert aus dunklen Kanälen eine ansehnliche Prämie, wird aber nie Unterhalt zahlen können, weil er in der Regel mittellos ist.

15 Vaterschaften à 5000 Euro

Nach Auskunft der Bremer Ausländerbehörde, so die Zeitung Weser-Kurier, hat ein einzelner Mann 14 bis 15 Vaterschaften anerkannt und dafür bis zu 5000 Euro pro Kind erhalten. Weitere Fälle dieser Art werden geprüft, die Staatsanwaltschaft ermittelt. Doch der Gesetzgeber tut sich schwer damit, den Missbrauch zu unterbinden. „Das wird uns noch auf die Füße fallen“, befürchtet Birgit Wilken“. Konkrete Fälle sind in Oberhausen aber noch nicht bekannt, erfuhr die Sonntagszeitung aus Verwaltungskreisen.

Bedenken bei Winnetou Müller

Natürlich reicht die übliche Verwaltungsausbildung nicht mehr aus, um in der Welt der Paragraphen und Regelungen rechtssicher arbeiten zu können. Jedes Mitglied der Standesamtsbesetzung hat deshalb auf der Personenstandsakademie im niedersächsischen Bad Salzschlierf den nötigen fachlichen Schliff erhalten. Ein häufig diskutiertes Thema sind die mitunter abenteuerlichen Vornamen, die manche Eltern ihren Sprösslingen geben wollen – Winnetou Müller klingt schon irgendwie seltsam. Hat das Standesamt arge Bedenken, muss im Extremfall ein Namensgutachten der Gesellschaft der deutschen Sprache für Klarheit sorgen. Im Bürgerinformationssystem der Städte sind ebenfalls fast alle gängigen Vornamen aufgeführt. Aber auch Namensänderungen oder eine veränderte Reihung der Vornamen stehen auf der Agenda des Standesamtes.

Zurück zu den Trauungen, dem Sahnehäubchen auf der Alltagstorte der Standesbeamten. Gut 1000 Paare gehen in Oberhausen pro Jahr den Bund fürs Leben ein und können sich aussuchen, ob sie sich im Schloss Oberhausen, auf Burg Vondern, an Bord eines Schiffes der Weißen Flotte oder neuerdings auch im Technischen Rathaus in Sterkrade das Ja-Wort geben wollen. Tendenz steigend, in allen Altersgruppen.

Ob es nun romantische Liebesehen oder Zweckbündnisse sind – Birgit Wilken stellt sich auf jede Situation ein und schafft es fast immer, mit Humor und Schlagfertigkeit die gelegentlich steife Atmosphäre zu entkrampfen und den Brautleuten die Nervosität zu nehmen. Gibt es denn Situationen, die sie besonders berühren, wollen wir wissen. „Natürlich“, sagt sie. Da sind die jungen Paare, innig verliebt und voller Vorfreude auf die gemeinsame Zukunft. Oder ältere Menschen, die nach vielen Jahren ihre Jugendliebe wiedergefunden haben und jetzt heiraten. „Das ist wirklich süß.“ Bei manchen Dezember-Ehen sei der Romantik-Faktor aber nicht so ausgeprägt. Birgit Wilken: „Ich musste schon schlucken, als mich die Braut nach der Trauung fragte, ob sie mit der Heiratsurkunde sofort zum Finanzamt gehen könne.“

Auch Hochzeiten im Ausland müssen hierzulande beim Standesamt anerkannt werde, um ins Eheregister Einzug zu halten und die Steuerklassen beim Finanzamt ändern zu können.
Auch Hochzeiten im Ausland müssen hierzulande beim Standesamt anerkannt werde, um ins Eheregister Einzug zu halten und die Steuerklassen beim Finanzamt ändern zu können. © dpa | Patrick Pleul

Heiraten im Ausland

Aus einer Laune heraus kurzentschlossen in Las Vegas heiraten und per Whatsapp Freunde und Verwandte zu Hause als frisch Vermählte grüßen, ist nicht unbedingt eine gute Idee. Denn, wenn das Paar in Deutschland wieder auf dem harten Boden der Tatsachen gelandet und das Glück in der Weltstadt der Spieler zurückgeblieben ist, bleibt nur noch der Gang zum Scheidungsanwalt. Die in Las Vegas geschlossene Ehe ist nämlich kein Spiel, sondern auch in Deutschland gültig. Wer sich die Heirat in einer Wedding Chapel mit einem Elvis-Doppelgänger als Trauzeugen allerdings gut überlegt hat, sollte nach der Rückkehr beim Standesamt die Ehe beurkunden und damit ins Eheregister eintragen lassen. Erst dann können zum Beispiel die Steuerklassen beim Finanzamt geändert werden. Auch wenn es keine Pflicht zur Nachbeurkundung gibt: Die in USA geschlossene zivile Ehe ist rechtsgültig. Wer in Deutschland dann einen weiteren Partner heiratet, macht sich der Bigamie schuldig.

Kirchlich heiraten

1876 wurde in Deutschland die Zivilehe eingeführt, die ausschließlich vor dem Standesbeamten geschlossen werden kann. Und bis zum 1. Januar 2009 haben die katholische und die evangelische Kirche nur verheiratete Paare getraut: erst Standesamt, dann Kirche, so die Regel. Seit diesem Tag darf die Kirche aufgrund der Änderung des Personenstandsrechts auch unverheiratete Paare trauen. Das Eherecht ist dadurch aber nicht geändert worden. Also: Eine nicht vor dem Standesamt geschlossene Ehe hat keine Rechtsgültigkeit. Eine religiöse Eheschließung ist zivilrechtlich bedeutungslos. Deshalb trauen die beiden Kirchen in der Regel auch weiterhin nur Paare mit Trauschein.

Das ist ein Artikel aus der Digitalen Sonntagszeitung – jetzt gratis und unverbindlich testlesen. Hier geht’s zum Angebot: GENAU MEIN SONNTAG