Ruhrgebiet. . Wenn Menschen sterben, hinterlassen sie immer mehr Daten im Internet. Was Angehörige tun können und wie man seinen digitalen Nachlass regelt.
Die Bilder vom letztem Sommerurlaub in Spanien sieht man noch immer auf Julias Instagram-Profil. Auch auf Facebook lächelt sie einem zu. Auf schnell geknipsten Selfies mit den besten Freunden oder auf diesen ganzen Reisefotos, wo auch immer in der Welt sie gerade war. Das sind Szenen eines Lebens, vielleicht für immer gespeichert im Netz. Aber Julia ist schon länger nicht mehr da.
Was nach dem Tod mit ihrem virtuellen Ich passieren soll, darüber hat sie sich wahrscheinlich nie Gedanken gemacht. So begegnet man vor allem auf Facebook heute immer mehr Geisterprofilen, in denen Menschen ihr pralles Leben präsentieren, als wären sie nie von uns gegangen. Wenn wir sterben, hinterlassen wir heute nämlich nicht mehr nur Habseligkeiten, sondern eben auch jede Menge Daten, die oftmals lange noch zurückbleiben, obwohl man längst fort ist: E-Mail-Accounts, Profile in den sozialen Netzwerken, Guthaben auf Online-Konten oder Mitgliedschaften und Abos im Netz. Dieser digitale Nachlass wirft allerhand Fragen auf, die nicht nur einen selbst betreffen, sondern auch Angehörige überfordert zurücklassen und nicht zuletzt auch Juristen Kopfzerbrechen bereiten.
Keine speziellen Regelungen in Deutschland
„In Deutschland gibt es aktuell keine speziellen Regelungen zum digitalen Nachlass und dem Umgang mit Datenbeständen von Verstorbenen“, sagt Christine Steffen, Rechtsanwältin und Datenschutzexpertin bei der Verbraucherzentrale NRW in Düsseldorf. „Das Erbrecht sieht vor, dass alle Verträge des Verstorbenen grundsätzlich auf den Erben übergehen. Also auch die Verträge, die man zu Lebzeiten mit Unternehmen wie Facebook, Twitter, Google, Amazon und Co. abschließt, wenn man dort ein Nutzerkonto anlegt.“ Das führt in der Praxis jedoch vielfach zu Problemen.
Das Dilemma: Sind Zugangsdaten nicht dokumentiert und nachvollziehbar hinterlegt, haben Erben meist keine Handhabe. Profile in den sozialen Netzwerken bleiben bestehen, alte Homepages und Blogs verwaisen im Netz, aber auch Erinnerungen und Werte gehen verloren. So wie zahlreiche Fotos und Dateien, die irgendwo in der Cloud liegen. Genauso unzugänglich bleiben die ungeliebten Hinterlassenschaften des Verstorbenen: offene Rechnungen bei Online-Portalen oder Zahlungsverpflichtungen durch sich automatisch verlängernde Abos.
Eltern klagen gegen Facebook
Ein komplizierter Fall offenbart die schwierige Rechtslage: Eine Familie aus Berlin hatte geklagt, den vollen Zugriff auf das Facebook-Profil ihrer Tochter zu bekommen. Die war 2012 von einer U-Bahn getötet worden. Dabei stand die Frage im Raum, ob Mobbing in der Schule der Grund für den Tod des damals 15-jährigen Mädchens gewesen war. Die Chat-Verläufe sollten aus Sicht der Familie Aufklärung darüber bringen. In erster Instanz bekam die Familie Recht. Die Richter sahen keinen Grund, digitales und analoges Erbe unterschiedlich zu behandeln.
Doch Facebook legte Revision ein und das Kammergericht Berlin entschied im vergangenen Jahr zugunsten des sozialen Netzwerks. Im Urteil berief man sich auf das Fernmeldegeheimnis, das Dritte wie die Chatpartner der Tochter schützt. Der Zugriff blieb den Eltern somit verwehrt – keine Chance auf Seelenfrieden, keine Chance auf Klärung. Trotz berechtigter Interessen, die hier aufeinanderprallen, entsteht so eine Situation, in der man die Briefe und Tagebücher im Nachlass eines Verstorbenen problemlos lesen kann, dessen E-Mails und Chats aber nicht.
Expertin: Man sollte rechtzeitig vorsorgen
So lange die Rechtslage unklar bleibt, raten Experten deshalb dazu, sich früh um seinen digitalen Nachlass zu kümmern. „Wer nicht vorgesorgt hat, hat im Grunde keine Chance mehr, sein digitales Erbe zu regeln“, meint Christine Steffen. Sie rät: „Man sollte frühzeitig anfangen, Listen anzulegen, auf denen alle Profile und Konten samt Passwörtern gelistet werden, die man zu Lebzeiten benutzt hat.“ Die sollte ausgedruckt oder auf einem USB-Stick an einem sicheren Ort aufbewahrt werden.
Wem das Erstellen von Listen angesichts sich ständig ändernder Passwörter nicht praktikabel genug erscheint, kann einen Passwort-Manager ausprobieren. Solche Software erlaubt es, alle Passwörter in einem sicheren Verzeichnis zu bündeln, für das man letztlich nur noch ein einziges Master-Passwort benötigt. „In einem zweiten Schritt sollte man eine Vertrauensperson davon in Kenntnis setzen und bevollmächtigen, den digitalen Nachlass zu verwalten“, rät Steffen.
In einer Vollmacht kann man festlegen, ob ein Profil gelöscht oder beispielsweise eine Nachricht oder ein Abschiedsgruß hinterlassen werden soll. „Beim Erstellen der Liste fällt dann vielleicht schon auf, welche Konten sich bereits löschen lassen, etwa weil man einen Dienst gar nicht mehr nutzt. So lässt sich kontrollieren, welche Profile von den Anbietern wirklich gelöscht werden oder doch nur inaktiv bleiben. “
Angehörige haben oft keinen Überblick
Wer es ganz sicher haben möchte, setzt auf eine Kombination aus Vorsorgevollmacht und Testament. Der Dortmunder Notar und Jurist Dr. Markus Knoll rät: „Es ist sinnvoll, eine Vorsorgevollmacht aufzusetzen und darin einen Passus zum digitalen Erbe zu integrieren. Das hilft auch Menschen, die sich schon zu Lebzeiten nicht mehr um ihr virtuelles Leben kümmern können“, sagt Knoll. „Um sich abzusichern, sollte man zusätzlich testamentarisch verfügen, dass auch die Internetbeziehungen mitvererbt werden.“
Was nach viel Aufwand klingt, kann die Angehörigen später entlasten. Für sie ist der digitale Nachlass oft nicht greifbar, weil in der Regel kein gedrucktes Dokument darauf hinweist und sie keine vollständige Übersicht über die Hinterlassenschaften im Internet haben. Selbst Bestatter haben das erkannt und bieten mittlerweile Nachlassverwaltungsdienste an, mit denen Konten und Profile von Verstorbenen aufgespürt und abgemeldet werden sollen.
Häufig reichen zwar Sterbeurkunde und Erbschein aus, um Accounts bei den entsprechenden Anbietern entfernen zu lassen, „aber selbst wenn man sich legitimieren kann, kann es vorkommen, dass der Anbieter nicht dem Wunsch der Erben nachkommt, auf das Profil des Verstorbenen zuzugreifen oder es zu löschen“, sagt Datenschutzexpertin Christine Steffen. Deutsche E-Mail-Anbieter wie GMX und Web.de, die den uneingeschränkten Zugriff auf das Postfach des Verstorbenen mitsamt all seiner Inhalte erlauben, sind eher die Ausnahme.
Recht könnte angepasst werden
Juristen sind sich weiter uneinig darüber, ob das geltende Recht in einer zunehmend digitalen Welt noch zeitgemäß ist. Im Falle des Todes geben derzeit noch die Online-Anbieter den Ton an. Das letzte Wort ist allerdings noch nicht gesprochen. Im Juni entscheidet der Bundesgerichtshof darüber, ob die Berliner Familie Zugang zum Facebook-Konto ihrer Tochter bekommt. Das könnte die Diskussion um das Datenvermächtnis nach dem Tod erneut ankurbeln.
Über Julias Facebook-Profil sind mittlerweile die Worte „In Erinnerung an“ zu lesen. Ihre Seite ist im „Gedenkzustand“, wie es in dem sozialen Netzwerk heißt. Eine Art virtuelle Grabstätte. Ob Julia das gewollt hätte?
>>INFO: Tipps und Hilfestellungen zur Vorsorge
Die Kampagnenseite machts-gut.de der Verbraucherzentrale Rheinland-Pfalz sensibilisiert für das digitale Vermächtnis. Unter
www.verbraucherzentrale.nrw finden sich weitere Infos rund um den digitalen Nachlass sowie Muster-Vollmachten und Muster-Listen für die eigenen Internet-Zugangsdaten.
Auf digital-danach.de informieren die Blogger Sabine Landes und Dennis Schmolk umfassend zum digitalen Nachlass. Dort finden sich Anleitungen, Interviews und Reportagen sowie aktuelle Nachrichten zum Thema. Tipps zur Vorsorge werden genauso behandelt wie Hilfestellungen für Hinterbliebene.
So regelt man seinen Nachlass im Netz
Mit dem Tod endet die Mitgliedschaft in den sozialen Netzwerken nicht automatisch. Angehörige können aber über das Profil eines Verstorbenen verfügen. Bei Facebook, Twitter und Instagram muss man dazu Sterbeurkunde und Erbschein einreichen. Oft bleibt nur die Wahl zwischen gedenken oder löschen.
Das Profil von Verstorbenen lässt sich über ein Formular löschen oder in den „Gedenkzustand“ versetzen. Den Antrag findet man hier. Zu Lebzeiten kann man in den "allgemeinen Kontoeinstellungen" einen Nachlasskontakt bestimmen. Die Zugangsdaten erhält dieser aber nicht.
Auf http://bit.do/nachlass-twitter lässt sich das Konto einer „verstorbenen oder handlungsunfähigen Person“ deaktivieren. Einen Zugriff auf das Konto gibt es auch hier nicht.
Ähnlich wie bei Facebook können Familienangehörige oder berechtigte Nachlassverwalter Instagram-Profile von Angehörigen entfernen oder in den Gedenkzustand versetzen lassen. Einen Löschantrag stellt man hier.