Gelsenkirchen. Männer, die den Verlust eines verstorbenen Menschen verkraften müssen, wissen oft nicht, wie sie das machen sollen. Martin Kreuels, Vater von vier Kindern, erging es nach dem Tod seiner Frau genauso. Bis er sich seiner Trauer stellte. Heute fotografiert er Verstorbene für die Angehörigen.
Als Heike starb, war Martin mit seiner Weisheit am Ende. Fertig mit seiner Wissenschaft, mit der der promovierte Biologe dem Krebs begegnet war. „Fachwissen ist einfach“, sagt er, es macht rational. Aber auf einmal waren da Gefühle und die Tränen seiner vier Kinder. Nur lassen sich Gefühle nicht statistisch erfassen und Tränen nicht katalogisieren. Und auf seine Fragen fand Martin Kreuels in keinem Lehrbuch eine Antwort mehr: Wie geht das eigentlich, traurig sein?
Viele Männer wissen das nicht. Sagt auch Mechthild Schroeter-Rupieper, Trauerbegleiterin aus Gelsenkirchen. Männer weinten nicht, sondern seien tapfer, das lernten sie schon als Kinder. Und wenn sie wütend seien, nenne man sie „aggressiv“. In den Schulklassen, die sie besucht, sagen ihr 20 von 24 Kindern, sie hätten ihren Vater noch nie weinen sehen. Schroeter-Rupieper erzählt von Tobias, einem Sechsjährigen: „Jungen trauern genauso viel wie Mädchen“, sagte er. Nur hätten Männer mehr Muskeln im Bauch, die Frauen aber die Brust dazwischen. Wenn dann die Traurigkeit komme, spannten Männer den Bauch an, „und die Tränen gehen weg“. Lange hatte niemand gesehen, wie oft Tobias seine Bauchmuskeln verkrampfte.
Männer zeigen oft ihre Trauer nicht
Männer-Trauer sieht man nicht? Sie zeigen sie nicht, weil sie es so gelernt haben. „Männer gehen nicht ins Trauercafé“, sagt der Witwer Martin Kreuels (45) heute. Männer müssen funktionieren, weitermachen, die Familie ernähren. Die sich an Mechthild Schroeter-Rupieper wenden, an ihr Lavia-Institut für Familien-Trauerbegleitung, will meist keine Hilfe für sich, sondern für die Kinder. Eine archaische Sache, glaubt Kreuels, der seit dem Tod seiner Frau nach Hilfe fahndete und anderen Männern, die über ihre Trauer sprachen. Es war eine schwierige, eine lange Suche, denn, Küchenpsychologen ahnen es: Männer reden nicht. Ein Mann, erklärt Kreuels, antwortet auf die Frage „Wie geht’s dir?“ so: „Scheiße. Und damit ist das Thema umfassend abgearbeitet.“ Das sei schon in der Frühzeit so gewesen, „quatschende Männer“ erlegten weniger Tiere. Er wolle nur mal fragen, sagte allerdings kürzlich eine seltene Ausnahme, ein Unternehmer in Gelsenkirchen, „wie machen es andere Männer“ mit der Trauer?
Genau so wie du, musste Mechthild Schroeter-Rupieper ihm sagen: „Sie arbeiten, reden wenig, drängen die Trauer weg, weil sie die nicht brauchen können, sie tauschen sich nicht mit den Kollegen darüber aus, klagen wenig . . . – und alle sind so fertig wie du!“ Männer fragten nicht nach, sagt die Trauerbegleiterin, sie hielten das für normal: „Es gibt keine gute Trauerkultur unter den Männern.“
Wo Männer schweigen, sich zurückziehen, zu viel arbeiten oder anders: Holz hacken, trinken, tanzen, kommen Frauen ins Gespräch. „Sie wissen“, sagt Mechthild Schroeter-Rupieper, dass Trauergruppen „hilfreich und normal sind. Sie weinen eher, und niemand nimmt daran Anstoß. Kolleginnen zeigen mehr Mitgefühl, Freundinnen weinen mit. Tränen zeigen die Trauer.“ Sie haben gar eine Signalwirkung: „Wer weint, bekommt mehr Hilfe und Unterstützung zugesprochen.“
Er ärgert sich über mitleidige Blicke
Was Männer wiederum oft gar nicht wollen. So wenig wie mit ihren eigenen Gefühlen, können sie oft mit dem Mitgefühl anderer umgehen. Schroeter-Rupieper hat Männer erlebt, die sich beklagten über Frauen aus der Kirchengemeinde, die Kuchen brachten, mit diesem traurigen, mitleidigen Blick, der Männer rasend machen kann. Der unterschiedliche Umgang führt schon in Beziehungen zu Konflikten. Bekannt sind die vielen Geschichten, in denen Ehen der Trauer um ein gemeinsames Kind nicht standhalten. „Ich finde, mein Mann könnte seine Trauer mehr zeigen“, sagen Frauen dann. Weinen, meinen sie. Den Friedhof mitgestalten. Trösten. Männer, findet Trauerbegleiterin Schroeter-Rupieper, hätten aber zumindest „den Job“, ihren Lieben mitzuteilen, wie sie trauern: mit lauter Musik im Auto, mit langen Radtouren, mit Schweigen.
Martin Kreuels hat mit dieser Offenheit angefangen, als seine Heike starb, vor genau fünf Jahren. Er schrieb auf, was er fühlte, er sagt: „Mein Gesprächspartner war die Tastatur“, er verfasste das Buch „Männer trauern anders“ und begann, darüber Vorträge zu halten.
Er redet über seine Panik vor dem Alleinsein, von seiner Hoffnungslosigkeit. Sein Publikum in Trauercafés und Hospizen aber ist – weiblich. „Die Frauen sagen mir, sie haben keine Ahnung, wie ihre Männer ticken.“
Kreuels versucht, es ihnen zu erklären. Spricht davon, dass seine Geschlechtsgenossen lieber zielorientiert reden als über ihr Innerstes. Davon, dass sie hierarchisch denken, von Alters her der starke Leitwolf sein wollen. „Weinen bedeutet Schwäche zu zeigen, oh Gott“, und schon werde der Schwächling in der Gruppe „unten einsortiert“. Trauer sei für Männer ein unakzeptabler Kontrollverlust.
Kreuels erzählt auch von seinem eigenen „tiefen Loch“, aus dem er nach Monaten „mühsam und völlig ausgeblichen“ hervorkrabbelte, um zu merken, „dass ich mir das bisherige Leben zu einfach gemacht hatte“. Arbeiten, leben wie ein Berserker, nur, um dem Tod nicht ins Auge sehen zu müssen? Er versuchte sich zu stellen, den Ängsten, den Fluchtversuchen, der Panik. Mechthild Schroeter-Rupieper sieht bei anderen Männern auch häufig Wut: „Sie sind manchmal sauer. Sauer auf ihre Frau, dass sie ,einfach’ schwer erkrankte oder gestorben ist und sie nun mit den Kindern, dem Haushalt, den Schwiegereltern, der Schule alleine gelassen hat.“ Gleichzeitig mache dieser Gedanke ihnen ein schlechtes Gewissen.
Einige Leidensgenossen reden heute
Martin Kreuels hat es in fünf Jahren geschafft, einige Leidensgenossen zum Gespräch zu bewegen. Was sie fühlen, offenbaren sie in zwei Büchern (siehe Kasten und grau hinterlegte Interviews).
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Mechthild Schroeter-Rupieper hat eine Trauergruppe für Männer gegründet. Weil sie weiß, dass männliche Trauernde sich fürchten vor Duftkerzen, dem Malen von Mandalas und anderen Klischees, hat sie den Treff „Stammtisch“ genannt und bringt Bier und Currywurst auf den Tisch. Witwer Kreuels war auch mal da: „Man kann sich“, stellte er erleichtert fest, „an der Flasche auch festhalten.“ Die Trauerbegleiterin hat mit vielen Familienvätern zu tun, die ihre Frauen, die Mütter ihrer Kinder verloren haben. Sie sagt, sie sind heute selbstständiger, entschlossener, die neue, alleinige Aufgabe anzugehen. „Wir müssen ihnen aber auch andere Angebote machen, eine andere Ansprache geben und ihre Sprache verstehen.“
Die Trauer hat ihm Mut gemacht
Martin Kreuels, heute 45, hat gelernt, sich selbst zu verstehen. Er hat die Sache mit der Wissenschaft aufgegeben, lebt jetzt vom Schreiben, von seinen Vortragsreisen. Die Entscheidung hätte ihm Angst machen können, einem Witwer mit vier kleinen Kindern. Aber die Trauer hat Kreuels auch Mut gemacht. Weshalb er heute aufrichtig solche Sätze sagt: „Was sollte noch großartig schief gehen? Das Schlimmste ist ja schon passiert.“
Martin Kreuels fotografiert Verstorbene für die Angehörigen
Die Idee mit dem Foto kam von Anton. Der war sechs, als seine Mutter starb, sie schlief zuhause ein. Und Anton holte seinen Fotoapparat. „Mama ist ja gleich weg“, sagte er, „dann mache ich noch mal eben ein Foto, als Erinnerung.“
Ja, tut man denn das? Man hat es jedenfalls früher getan, in den Anfängen der Fotografie, als die noch etwas Kostbares war. Und Antons Vater, Martin Kreuels, macht es heute wieder: Bilder von Toten für die Lebenden. Zur Erinnerung, zum Trost, zur Hilfe bei der Trauer. Im Bild eines Körpers versucht Kreuels, auch die Seele zu, ja, verewigen. Mit der Postmortem-Fotografie, sagt er, „akzeptieren wir den Tod als Teil des Lebens“.
Das haben die Menschen verlernt, wie sie auch diese Kultur vergessen haben. Im 19. Jahrhundert gab es gar fest angestellte Fotografen an Friedhöfen, man bezahlte viel für das Bild eines aufgebahrten Verstorbenen, aus dessen Leben es oft kein einziges Foto gab. Im Familienalbum steckte es neben dem jüngsten Neugeborenen. Doch in den Kriegen des 20. Jahrhunderts ging die Postmortem-Fotografie unter, es starben zu viele damals, niemand wollte auch noch Fotos sehen vom Tod. Und heute? Findet nicht nur die Münsteraner Bestatterin Angela Thieme „die Tendenz in unserer Gesellschaft, unsere Toten möglichst schnell zu beseitigen, besorgniserregend“.
Ehrenamtliche Fotoarbeit
Thieme bietet Angehörigen die ehrenamtlichen Dienste Kreuels an, viele aber lehnen verunsichert ab: Sie fürchten um die Würde ihrer Toten, sagen: „Wir wollen ihn lebend in Erinnerung behalten.“ Dabei ist Würde genau das, was Martin Kreuels festhalten will, Ruhe und Entspannung. Der 45-Jährige nimmt sich die Zeit zu warten auf den einen Moment, in dem ein Mensch so unendlich friedlich aussieht, er stellt, verändert nichts für sein Bild: „Ein Bild, auf dem die gesamte Last des Sterbens vom Verstorbenen abgefallen ist, auf dem er entspannt ist und dies auch so ausstrahlt.“
In einem Büchlein hat er solche Aufnahmen gesammelt. Schwarz-Weiß-Fotos nach tiefem Schlaf aussehender Gesichter, manchmal nur weniger Gesichtszüge, Ausschnitte geschlossener Augen, gefalteter Hände. „Mit diesen Händen“, sagte ein trauernder Sohn gerührt, „hat Mutter uns getragen!“ Es gibt noch mehr solcher Bilder von Toten, die aus dem Leben erzählen: den Angler, der in seiner grünen Kleidung bestattet werden wollte. Den ehemaligen Karnevalsprinzen, der in vollem Ornat und mit all’ seinen Orden ging – ein Foto, nicht zum Lachen, aber zum liebevollen Schmunzeln. Und das Totgeborene, das so herzzerreißend zerknautscht in den Kissen liegt, als sei sein Zur-Welt-Kommen ein Eintritt ins Leben gewesen und nicht in den Tod: das Einzige, was den Eltern vom „Sternenkind“ blieb.
Angela Thieme findet diese Bilder „ästhetisch“, selbst wenn ein Verstorbener lange gekämpft hat mit dem Tod oder bei einem Unfall ums Leben kam. „Es gibt immer einen Moment“, sagt Kreuels, „in dem er attraktiv ist.“ Er sucht ihn mit einer „Mischung aus Respekt, Furchtlosigkeit, distanzierter Nähe und Empathie für die Aufgabe, den Angehörigen ein Bild zu geben, mit dem diese ihr Leben lang leben“.
Fotos zum Festhalten
Denn er will ihnen Erinnerung schenken: Er möchte, dass sie etwas in der Hand haben, um die Trauer zu bewältigen, in dem Moment, in dem sie kommt mit Wucht. Kreuels hat Hinterbliebene erlebt, die stellten sein Foto auf den Kaminsims, andere tragen es in der Geldbörse, wieder andere verbargen es zunächst in einer Schublade. „Bei vielen dauert es, bis sie den Wert dieses Fotos erkennen.“
Das hat ja auch bei Martin Kreuels eine Weile gebraucht. Wochen nach der Beerdigung schenkte er seinen Kindern ein Album, bestimmt 1000 Fotos aus dem Leben ihrer Mutter. Doch das, was sie ansahen, anfassten, immer wieder, war der Schnappschuss von Anton, am Morgen nach ihrem Tod.
Ein Witwer erzählt: Grafiker, 32
Für sein Buch „Männer trauern anders – Erfahrungen“ hat der Münsteraner Martin Kreuels Trauernde befragt:
Grafiker, 32
Was ist passiert?
Meine Frau Ruth erkrankte 2003 an Krebs. Sie starb drei Jahre später.
Wie war Ihr Leben vor dem Trauerfall, wie hat es sich angefühlt?
Bis dahin war mein Leben im Lot. Ich war da, wo ich sein wollte – in der Geborgenheit unserer jungen Familie mit unseren beiden kleinen Töchtern. Das Leben lag vor uns. Malerei, Kunst, aber auch unser Garten und gemeinsames Kochen gehörten dazu. Reisen nach Griechenland. In vieler Hinsicht war unsere gemeinsame Zeit still und ruhig.
Konnten Sie sich vorbereiten oder war es ein plötzlicher Tod?
Ich konnte mich vorbereiten, aber was ist Vorbereitung – es war ein Abfinden-Müssen, ein Suchen nach dem Sinn.
Wie nahmen Sie die Veränderung auf?
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In den Jahren der Krankheit geriet unser Leben durcheinander. Ich selbst sah eine düsterere Zukunft auf mich zukommen. Alleinerziehend! Sterben! Tod! Im Alltag fanden wir oft unsere Gemeinsamkeiten nicht mehr. Alles drehte sich um Krebs. Ich befand mich in einer Nebelglocke – gedanklich war ich in verschiedenen Welten unterwegs. Ich verlor zunehmend die Zuversicht für eine gemeinsame Zukunft.
Was passierte mit Ihnen in der ersten Zeit nach dem Ereignis?
Am 3. August 2006 starb meine Frau. Anfangs fühlte sich das wie eine Erleichterung an, eine Klärung. Ich spürte die Last des Leidens von mir fallen.
Was war dann anders als vorher?
Ich hatte meinen liebsten Menschen verloren. Jenen Menschen, mit dem ich mein Leben verbringen wollte, vom ersten Tag an, als ich ihn sah. Ich fühlte mich alleingelassen.
Was fühlten Sie? War da Trauer und wie nahmen Sie diese wahr?
Mir fehlte die Nähe. In mir trug ich das Bild von Ruth, bevor sie krank wurde. Dieses Bild wuchs in mir. Mir fehlten ihre „Schönheit“ in meiner Nähe, unser gegenseitiges Vertrauen, unsere Berührungen.
Was sagte der Kopf und wie ging es Ihrer Seele?
Ich litt, trank und malte gegen den Schmerz in meiner Seele. Ich arbeitete drei Wochen später wieder und sorgte für meine beiden Töchter, ich redete viel über den Tod und suchte nach Worten – zum Begreifen und Einordnen.
Was half Ihnen gegen den Schmerz?
Kraft fand ich in Gesprächen mit vielen Menschen, in den Antworten von meinem Freund und Verwandten, in der Stille der Natur und in leeren Kapellen und Kirchenräumen. Kraft gaben mir vor allem meine Töchter.
Was hat sich seitdem in Ihrem Leben geändert?
Seitdem ist in meinem Leben kein Stein mehr auf dem anderen. Die Bande zur Familie meiner Frau sind zerbrochen. Unser altes Zuhause musste ich verlassen. Ich versuche, Fuß zu fassen.
Was war das Schlimmste für Sie, was das Hilfreichste in der Krise?
Das Schlimmste war das Aushalten des Schmerzes, das Funktionieren-Müssen in der Arbeit. Die Zeit der Menschen um mich lief schneller als meine. Meinen Freunden verdanke ich viel Zeit für mich und meine Töchter.
Mit einigem Abstand, welche Bedeutung hatte die Trauer für Ihr weiteres Leben?
Es hat in mir den Gedanken ausgelöst, etwas Wertvolles erlebt zu haben. Ich spreche gerne über das Sterben, dieser Moment ist mir nahe und vertraut.
Können Sie Phasen erkennen, die Sie nach dem Verlust durchlebten?
Erleichterung, Zusammenbruch, Schmerz aus der Tiefe, Sehnsucht. Die Trauer hat sich verändert, ist nicht mehr Trauer, aber etwas in mir drin, dieses tiefe Erlebnis von Sterben, Verlust und Trauer, dauert immer noch an.
Haben Sie heute eine Lebensgefährtin?
Ja, ich habe eine Partnerin an meiner Seite. Ich sage ihr an dieser Stelle danke für ihr Verständnis.
Was war noch von Bedeutung?
Meine Beziehung zu Gott ist glaubhafter, stärker geworden. Ich reagiere stark auf Gesellschaftsreize, empfinde Ruhe und Natur als hohes Gut.
Ein Witwer erzählt: Rentner, 70
Rentner, 70
Was ist passiert?
Nach Diagnose „Bauchspeicheldrüsenkrebs“ Tod meiner Frau Friedel Anna am 09.01.2014
Konnten Sie sich vorbereiten oder war es ein plötzlicher Tod?
Die Information des Arztes im Krankenhaus zwei Tage vor ihrem Tod: „Wir müssen uns darüber unterhalten, wie es mit Ihrer Frau weitergehen soll. Wir können nur noch wenig tun.“ Ein Schock! Auf meine Frage: „Wie lange denn doch?“ die Antwort: „Wir sind nicht der liebe Gott!“ Da bin ich noch von Monaten oder Wochen ausgegangen, nicht wenigen Stunden.
Wie nahmen Sie die Veränderung auf?
Nach der telefonischen Todesnachricht vom Krankenhaus: Schock! Nun doch schon so schnell? Dabei hatte ich mich doch erst gestern von ihr verabschiedet: „Bis morgen!“
Was passierte mit Ihnen in der ersten Zeit?
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Das Bewusstsein, von nun an einer Doppelbelastung standhalten zu müssen, das heißt alles, was sie bisher in der Lebensgemeinschaft übernommen hatte: einkaufen, kochen, Wäsche waschen, Geschirrspüler, Kühl- und Gefrierschrank, Wohnung auf Vordermann bringen, etc.
Was war anders als vorher?
In den ersten Tagen nach meiner Rückkehr in die Wohnung: der laute, mehrfache Ruf nach ihr bei ihrem Vornamen, es nicht wahrhaben wollen, dass die vertraute Stimme plötzlich für immer fehlt. Ab jetzt muss ich alles alleine entscheiden.
Was fühlten Sie? War da Trauer und wie nahmen Sie diese wahr?
Nach dem ersten Schock vorübergehend Wut, dass sie mich einfach plötzlich allein gelassen hat. Im nächsten Moment die Erkenntnis: Sie kann ja gar nichts dafür. Mit dem Aufwachen am Morgen: Das Bett neben mir ist leer, heute, morgen und für alle Zeit. Mache ich mir heute Frühstück, wie wir es sonst zusammen gemacht haben? Nein, ich bleib lieber im Bett liegen. Bockigkeit!
Was sagte der Kopf und wie ging es Ihrer Seele?
Stark sein, bloß kein Mitleid! Halte ich das aus? Die Abende allein, kein Lachen, kein Scherzen, keine Meinung. Wie war noch der Spruch vor dem Traualtar? „Sich zu lieben und zu achten, bis der Tod euch scheidet“. Ist jetzt alles vorbei? Beginnt ein neuer Lebensabschnitt? Suche ich mir eine neue Partnerin? Jetzt, mittel-, langfristig? Was denken meine Verwandten/Bekannten darüber? Sind das ehrliche Meinungen? Ist mir eigentlich egal! Es ist mein Leben und ich habe mit 70 nicht mehr viel Zeit. Oder ist das eine egoistische Lebenseinstellung?
Was half Ihnen gegen den Schmerz?
Sich öffnen gegenüber Mitmenschen, Galgenhumor, Witze, lustige Filme, ein Urlaub in Thailand, dort, wo meine Frau und ich uns lange Jahre wohlfühlen durften.
Hatten oder suchten Sie Hilfe?
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Ja, ich hatte Hilfe. Durch meine beiden erwachsenen Söhne und deren Familien. Sie haben sich fast täglich nach meinem Befinden erkundigt. Durch meine Schwägerin, die Schwester meiner Frau. Sie gab mir Haushalts-Tipps. Durch meine Nichte, die mir den wichtigen Hinweis auf ein monatliches „Trauer-Café“ gab. Dort nehme ich teil, so oft ich kann!
Was hat sich seitdem in Ihrem Leben geändert?
Ich habe mich entschieden, eine neue Beziehung aufzubauen. Seit einigen Wochen wächst dieses zarte Pflänzchen. Aus dem Ehering meiner Frau habe ich eine goldene Rose machen lassen, den Anhänger trage ich an einer Halskette täglich bei mir.
Was war das Schlimmste für Sie?
Das Schlimmste für mich war, dass ich zu spät oder überhaupt nicht erkannt habe, dass meine Frau nur noch wenige Stunden zu leben hat. Ich hätte mich ihr in den letzten Stunden deutlich mehr gewidmet.
Können Sie Phasen erkennen, die Sie nach dem Verlust durchlebt haben?
Schock, Enttäuschung, Wut, Phase der Leere und Verzweiflung. Muss noch oft weinen, besonders abends, wenn ich alleine bin. Manchmal gebe ich mir einen Ruck: Stark sein, nicht klagen! The Show must go on!!!