Essen. Spanischer Fonds kauft die Steag. Warum der Milliardär Křetínský und die RAG-Stiftung doch nicht zum Zuge kamen. Und was Asterion plant. Analyse.

In dem Moment, als die RAG-Kohlestiftung mit in den Ring stieg, schien der Bieterwettkampf um die Steag entschieden. An der Seite des tschechischen Milliardärs Daniel Křetínský griff sie nach dem Essener Energiekonzern, immerhin Deutschlands viertgrößter Stromerzeuger. So ziemlich niemand im Dunstkreis des Unternehmens, das sechs Ruhrgebietsstädten gehört, konnte sich vorstellen, dass diese sich gegen die mächtige und politisch kontrollierte Stiftung entscheiden würde. Doch genau das haben sie getan – und der spanischen Fondsgesellschaft Asterion den Zuschlag gegeben.

Aufgrund der Bewegungen der vergangenen Wochen eine faustdicke Überraschung, die etwas kleiner wird beim Kaufpreis, der zwar nicht genannt wird, aber dem eine Unternehmensbewertung von 2,6 Milliarden Euro zugrunde liegt, wie Asterion am Abend mitteilte. Ob und wie Schulden oder andere Posten beim Kaufpreis verrechnet werden, ist unbekannt.

Steag-Bewertung mehr als doppelt so hoch wie der Kaufpreis

So oder so liegt die Bewertung der lange ums Überleben kämpfenden Steag um mehr als das Doppelte über jenen 1,2 Milliarden, die die sechs Revierkommunen vor rund zehn Jahren an die damalige Konzernmutter Evonik gezahlt haben. Nach einem außerordentlichen Rekordgewinn von 1,9 Milliarden Euro im Zuge des Kohlecomebacks im vergangenen Jahr und angesichts ähnlich hoher Gewinnaussichten in diesem sieht es somit ganz danach aus, dass die Städte am Ende doch noch mit einem Gewinn aus dem Abenteuer Steag herauskommen. Wie viel Geld letztlich in die Kassen der Kommunen fließt, ist aber Stand heute noch unklar.

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Danach hatte es jahrelang so gar nicht ausgesehen, weswegen Duisburg, Oberhausen, Essen, Bochum, Dinslaken und als letztes auch Dortmund nur noch raus wollten aus der Steag. Die Vielstimmigkeit unter den Eigentümerinnen, den sechs Stadtwerken, und in den Kommunen samt Stadträten hat dem Unternehmen nicht gut getan. Das sagten zuletzt auch die Städte immer offener. „Wir waren keine guten Eigentümer“ – dieser Satz fiel zwischen Duisburg und Dortmund immer häufiger.

Nun ziehen die sechs Stadtwerke mit dem Verkauf an Asterion einen Schlussstrich. Nach den Unterschriften auf dem Kaufvertrag könnte es bis zum Abschluss der Transaktion noch ein paar Monate dauern, unter anderem weil die Wettbewerbshüter dem Deal noch zustimmen müssen. Für Asterion ist der Steag-Deal der Markteintritt, daher dürften kaum kartellrechtliche Hürden bestehen.

Asterion ist neu in Deutschland

Die spanische Fondsgesellschaft muss sich in Deutschland noch bekannt machen. Mit Beteiligungen im Wert von rund fünf Milliarden Euro ist Asterion eigenen Angaben zufolge der führende Infrastruktur-Fonds in Spanien. 15 Unternehmen, in denen Asterion das Sagen habe, beschäftigten rund 7000 Menschen in Europa.

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An diesem Punkt beginnt die auf den ersten Blick überraschende Entscheidung für Asterion neben dem finanziellen auch unternehmerischen Sinn zu ergeben. Der Steag-Konzern, seit Jahrzehnten von Kohlekraftwerken geprägt, steht vor einem Umbau zum grünen Energiekonzern. Ganz so, wie es eigentlich längst geplant war und angesichts des beschlossenen Kohleausstiegs notwendig gewesen wäre. Wofür aber zu wenig Geld da war – spätestens, nachdem eine Kommune nach der anderen angesichts zwischenzeitlich hoher Verluste der Steag kalte Füße bekam. Mit dem letzten 100-Millionen-Euro-Darlehen der Städte konnte 2019 gerade noch eine Insolvenz vermieden werden. An kräftige Zukunftsinvestitionen dachten die kommunalen Eigentümerinnen schon lange nicht mehr.

Spanier wollen grüne Steag-Tochter Iqony pushen

Die Spanier warfen genau das nun in die Waagschale. Man habe das erforderliche Geld für eine Übernahme und die anstehenden Investitionen, um die Steag auf grüne Geschäftsmodelle umzustellen, wurde schon vor Tagen im Umfeld von Asterion betont. Allein für den Ausbau der Wind- und Solaraktivitäten der Steag werde bis 2030 rund eine Milliarde Euro gebraucht.

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Ohne Zahlen zu nennen, kündigte Asterion am Freitag Investitionen in „Wasserstoff, Batteriespeicher, Solar- und Windenergie sowie Fernwärme“ an. Damit sollen „neue, grüne Arbeitsplätze geschaffen und die Beschäftigung – vor allem im Ruhrgebiet und Saarland – gefördert werden“. Zugleich betonten die Spanier, die Steag als Ganzes fortführen zu wollen, bekennen sich also auch zum „schwarzen“ Teil der Steag mit den Kohlekraftwerken.

Der tschechische Milliardär Křetínský ist auf dem Energiesektor dagegen bisher eher als Spezialist dafür bekannt, sterbende, aber noch rentable Geschäfte zu übernehmen. So kaufte er dem schwedischen Vattenfall-Konzern 2016 dessen ostdeutsche Braunkohletagebaue und Kraftwerke in der Lausitz ab. Auch weil die Gewerkschaft IGBCE aus Beschäftigtensicht dort gute Erfahrungen mit ihm gemacht hat, galt sein EPH-Konzern bis zuletzt als Favorit für den Steag-Kauf.

IGBCE steht hinter den Spaniern

Doch vor einigen Tagen hat der IGBCE-Vorsitzende Michael Vassiliadis gegenüber unserer Redaktion bereits anklingen lassen, dass auch die Spanier willkommen wären. Entscheidend sei, dass ein möglicher Käufer ein nachhaltiges und langfristiges Zukunftskonzept für die Steag verfolge und Standorten wie Beschäftigten neue Perspektiven biete, sagte Vassiliadis. Und: Diese Kriterien hätten „alle Kandidaten“, die zuletzt als Käufer infrage gekommen seien, erfüllt.

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Der aus der alten Ruhrkohle hervorgegangene Essener Energiekonzern hat seinen grünen Umbau zuletzt zumindest in der Unternehmensstruktur forciert: Mit der Firmentochter Iqony, die zum Jahreswechsel gestartet ist, sollen grüne Geschäfte vorangebracht werden. In Iqony hat die Steag unter anderem ihre Solar-, Wind-, Geothermie-, Energiespeicher- und Wasserstoff-Projekte gebündelt.

Fragen nach Interessenskonflikten vermieden

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Mit der Entscheidung gegen EPH und die RAG-Stiftung lassen die Städte zudem ein potenzielles Geschmäckle gar nicht erst aufkommen. Denn im Kuratorium der Stiftung sitzen nicht nur IGBCE-Chef Vassiliadis und Spitzenpolitiker aus Bund und Ländern, sondern auch Steag-Chef Andreas Reichel und Essens Oberbürgermeister Thomas Kufen (CDU), seines Zeichens langjähriger Vorsitzender des Stadtwerke-Konsortiums KSBG, dem die Steag gehört. Die Frage, ob sie und womöglich auch Politiker und Vassiliadis Einfluss genommen haben auf den wegweisenden Deal, ob dabei Interessen zusammenfielen, die eigentlich getrennt gehörten, müssen nun nicht mehr gestellt werden.