Essen. Der IHK-Manager Fritz Jaeckel war Flut-Beauftragter der Landesregierung. Zwei Jahre nach der Katastrophe warnt er vor einer „Hochwasser-Demenz“.

Drei Wochen, nachdem die gröbsten Schäden der Flutkatastrophe weggeräumt waren, trat Fritz Jaeckel im August 2021 ein schweres Amt an: Im Auftrag des damaligen Ministerpräsidenten Armin Laschet sollte der Hauptgeschäftsführer der IHK Nord Westfalen den Wiederaufbau an. Zum zweiten Jahrestag des Jahrhundert-Hochwassers warnt Jaeckel davor, dass die Flut allzu schnell in Vergessenheit gerät.

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Über Nacht räumte Jaeckel seinen Schreibtisch bei der IHK Nord Westfalen, die auch für Gelsenkirchen, Bottrop und den Kreis Recklinghausen zuständig ist, und reiste fortan durch das Flutgebiet. Der Hauptgeschäftsführer, der sein Amt bei der IHK bis Ende 2021 ruhen ließ, sprach fortan mit Unternehmen, aber auch Privatleuten, die durch die Wassermassen und abgerutschten Hänge viel oder sogar alles verloren hatten – in Hagen, in der Eifel, im Rhein-Sieg-Kreis, aber auch in Mülheim und Bochum.

Antragsfrist auf Fluthilfe bis 2026 verlängert

„Die Leute waren sehr dankbar für die Hilfe“, erinnert sich Jaeckel an die vielen, zum Teil aufwühlenden Gespräche. „Die Leute haben oft gar nicht verstanden, warum sie überhaupt Anträge stellen mussten. Für die Betroffenen liegen die Schäden auf der Hand“, meint der ehemalige Flutbeauftragte. Deshalb sei es immer wichtig, unabhängige Gutachten über die Kausalität des Schadereignisses vorzulegen, um die Ausgleichszahlung zu rechtfertigen.

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Rund 3,1 Milliarden Euro hat die Landesregierung bereits an die Flutopfer in NRW ausgezahlt. „Es werden immer noch Anträge auf Fluthilfe gestellt. Das ist auch gut so. Diese Katastrophe muss aufgearbeitet werden“, fordert Jaeckel, der begrüßt, dass der Bund der Bund die Antragsfrist nach einer nordrhein-westfälischen Initiative im Bundesrat bis zum 30. Juni 2026 verlängert hat.

Fritz Jaeckel, Hauptgeschäftsfüährer der IHK Nord Westfalen, war 2021 Beauftragter für den Wiederaufbau der NRW-Landesregierung.
Fritz Jaeckel, Hauptgeschäftsfüährer der IHK Nord Westfalen, war 2021 Beauftragter für den Wiederaufbau der NRW-Landesregierung. © FUNKE Foto Services | Lars Heidrich

Jaeckel weiß, dass es zwischen Flutopfern und Verwaltung zuweilen zu Unstimmigkeiten gekommen ist. „Die Förderbescheide stellen häufig Sachbearbeiter aus, die gar nicht im Thema sein können. Das führt oft zu Missverständnissen“, sagt der IHK-Manager.

Jaeckel ist viel herum gekommen. In Hagen kam er mit einem Unternehmen ins Gespräch, das die Krise aus seiner Sicht vorbildlich meisterte. Die Volme, die das Betriebsgelände der Gesenkschmiede Schmiedag teilt, hatte sich am 15. Juli 2021 in einen reißenden Strom verwandelt und das Gelände weitgehend zerstört. Nachdem das Wasser und unglaublich viel Schlamm aus der Halle mit dem riesigen Hammer gepumpt war, machte sich die Geschäftsführung gleich an den Wiederaufbau. Jaeckel hat das tief beeindruckt: „Das Unternehmen hat in den Hochwasserschutz investiert und gleichzeitig die Voraussetzungen für den Umstieg auf Erneuerbare Energien und Wasserstoff-Readiness geschaffen“, berichtet er.

Fritz Jaeckel ist Autor der „Bibel des Wiederaufbaus“

Ministerpräsident Laschets Wahl fiel seinerzeit nicht von ungefähr auf Fritz Jaeckel. Als Mitglied der sächsischen Landesregierung hatte er den Wiederaufbau nach den Hochwasser-Katastrophen 2002 und 2013 in Sachsen koordiniert. „Meine Erfahrungen wurden von einer mit mir zusammenarbeitenden Staatsanwältin Ende 2013 in einem 90-seitigen Bericht zusammengefasst. Bislang waren Dokumentationen dieser Art versäumt worden“, sagt Jaeckel. Inzwischen genießt das Papier als „Bibel des Wiederaufbaus“ große Aufmerksamkeit.

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Mit den Erfahrungen von damals unterstützte der IHK-Manager die damals schwarz-gelbe NRW-Landesregierung. „Meine Aufgabe war es, den Ministerien bei kniffligen Fragen zur Seite zu stehen. Es ging zum Beispiel darum, wie man eine jüdische Gemeinde davon befreien kann, einen 20-prozentigen Eigenanteil für den Wiederaufbau einer Friedhofsmauer aufzubringen“, nennt er ein Beispiel.

Zersplitterte Zuständigkeit für Talsperren in NRW

Im Gegensatz zur zentralen Landestalsperrenverwaltung in Sachsen traf Jaeckel in Nordrhein-Westfalen ein zerklüftetes System an. „In NRW gibt es eine Besonderheit. Die Zuständigkeit für die Gewässer, deren Unterhaltung und Management, ist zersplittert. Die Verantwortung tragen unterschiedliche Körperschaften und Verbände“, erzählt er. „Die mussten nach der Katastrophe erst einmal miteinander reden.“

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Die Kommunikation funktioniere nun. „Inzwischen reden die Körperschaften und die Verbände miteinander. Wenn man in Flussgebieten wie Über-, Mittel- und Unterlauf denkt, braucht es keine Gesetzesänderung“, meint Jaeckel. „Nach der Flut ist viel getan worden, es gibt aber auch noch viel zu tun“, sagt er. „Ganz wichtig ist, dass wir den Flüssen und Bächen mehr Raum geben, Flächen bewäldern und Regenrückhaltebecken bauen. Nur so können wir verhindern, dass große Wassermassen so viel zerstören“, sagt Jaeckel und verweist auf Sachsen, wo von 2002 bis 2032 rund sechs Milliarden Euro in den Hochwasserschutz gepumpt werden. „Das sind rund 200 Millionen Euro im Jahr, das ist ein Wort“, meint Jaeckel anerkennungsvoll und rät: „Wenn das Wasser weg ist, vergessen die Menschen ganz schnell die Katastrophe. Ich nenne das ,Hochwasser-Demenz‘. Dazu darf es nicht kommen. So eine Flut kann wieder kommen.“

>>> So reagieren die Städte

Im Vergleich zu anderen Bundesländern sind die Städte in NRW gut auf mögliche Hochwasser-Katastrophen vorbereitet. Das ergab eine Umfrage von WDR, BR, NDR und Correctiv in allen 400 deutschen Landkreisen und kreisfreien Städten. Aus NRW hatten 43 der 53 Kommunen teilgenommen. Fast die Hälfte von ihnen verfügt inzwischen über ein fertiges Klimaanpassungsgesetz. Dazu gehören im Ruhrgebiet der Erhebung zufolge Duisburg, Mülheim, Bottrop, Gelsenkirchen, Herne, Dortmund und Hagen. Der Ennepe-Ruhr-Kreis hat nicht geantwortet. Alle anderen Kreise und Städte der Region erklärten, dass sie derzeit ein Konzept erstellten.

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