Ahrtal. Zwei Jahre nach dem Jahrhunderthochwasser im Ahrtal bauen viele Menschen exakt dort, wo ihnen die Flut alles genommen hat. Wie kann das sein?
In der Nacht des 14. Juli 2021 kam die Flut ins Ahrtal. Sie raubte 135 Leben, zerstörte knapp 9000 Gebäude und noch viel mehr Existenzen. Zwei Jahre später sieht es an vielen Stellen immer noch aus, als sei das Wasser letzte Woche erst zurückgegangen. Aber es gibt auch Straßen, in denen nicht mehr viel an die Katastrophe erinnert. Eine Fahrt durch eine Landschaft, in der die einen in die Zukunft blicken, andere noch in der Vergangenheit stecken.
Walporzheim, ein Stadtteil von Bad Neuenahr-Ahrweiler. „Ahruferstraße“ steht auf dem Schild. Einen Steinwurf entfernt ist der Fluss, viel näher am Wasser lässt sich nicht bauen. „Traumlage“ nennen Makler so etwas gerne. Vor zwei Jahren wird diese Traumlage zu einem Alptraum. „Bis in den ersten Stock stand das Wasser in den Häusern“, sagt Jennifer Holzberger. „Alles war kaputt, dabei hatten wir gerade einmal zwei Jahre zuvor kernsaniert.“ 24 Monate später sind die Zimmer wieder eingerichtet, Böden neu verlegt, Wände und Fassade frisch gestrichen, Leitungen angeschlossen. Bei ihrem Schwager Christoph, der ein paar Hundert Meter weiter weg wohnt, ist es ähnlich. „Wir waren gut versichert“, sagt die 36-Jährige. „Und wir haben Handwerker bekommen, als wir sie brauchten.“
Der Zusammenhalt lässt langsam nach
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Kein Einzelfall, aber auch nicht die Regel, wie ein Blick die Straße hinunter zeigt. Wo immer wieder Baulücken klaffen, zwischen frisch renovierten Gebäuden und wo leerstehende Häuser zu Ruinen vergammeln. Direkt neben Holzbergers Haus liegen Schuttberge des Nachbarn, durch die eingestürzte Fassade ist im ersten Stock das Sofa im Wohnzimmer zu sehen. Der Abrissunternehmer habe Pleite gemacht, heißt es. Und der Eigentümer des Hauses soll ins Ausland gezogen sein. „So sieht es hier in der Gegend an vielen Stellen aus“, hat Hannah Bruckmann aus Essen festgestellt, die seit der Katastrophe jedes Wochenende ins Ahrtal reist, um zu helfen. Das lässt den Zusammenhalt in der Region nach und nach bröckeln. „Wer schon fertig ist“, sagt ein Helfer, „beschwert sich mittlerweile immer öfter über den Baulärm.“
Nur ein paar Kilometer von der Ahruferstraße entfernt liegt die Fußgängerzone von Bad Neuenahr. Menschenleer ist die Poststraße. Wo früher Mode oder Schuhe verkauft wurden, Menschen bei Wein oder Kaffee vor Gaststätten saßen, sind die meisten Läden immer noch dicht. „Wir sind bald wieder da“ oder „Vorübergehend geschlossen“ steht auf Plakaten, die in den verstaubten Schaufenstern hängen. „Nichts mehr los hier“, sagt ein älterer Herr.
Viele Hotels haben immer noch zu
Katharina Jamitzky will das ändern, will den Anfang machen und hat dort vor wenigen Tagen ihre zweite Apotheke in Bad Neuenahr eröffnet. „Ich gehöre zu dieser Stadt“, sagt sie. Ganz so schlecht wie sie aussehe, sei die Lage auch gar nicht, findet Hannah Schneider, bei der Stadt zuständig für Aufbausteuerung und Kommunikation. „In den vergangenen 18 Monaten hat es 300 Neu- oder Wiedereröffnungen im Stadtgebiet gegeben.“ Manche aber, ist „Auf dem Platz an der Linde“ zu hören, hätten große Probleme. „Zu wenig Kundschaft“, mutmaßt eine Frau an einem Imbisswagen.
Kann sein. Denn die Touristen sind zwar wieder da, aber es sind noch längst nicht so viele, wie vor der Katastrophe. Ja, in den Weinbergen wird bereits kräftig gewandert, aber abends geht es oft wieder nach Hause. „Die meisten sind Tagesgäste“, bestätigt Barbara Knieps, Sprecherin des Ahrtal-Tourismus. Manche notgedrungen. „Steigenberger“, „Aurora“, die großen Hotels der Region haben oft noch nicht wieder geöffnet. „Die Bettenkapazitäten sind noch kleiner als vor der Flut“, sagt Knieps. Sie wieder zu vergrößern, ist schwieriger als gedacht. Es fehlt an Mensch und Material und wer die Chance nutzt, seinen Betrieb beim Wiederaufbau auch fit für die Zukunft zu machen, der steht schnell vor einem riesigen Berg neuer Auflagen. „Vor allem die Brandschutzkonzepte sind im Laufe der Jahre viel aufwendiger geworden“, weiß Knieps von vielen Hoteliers. „Wir ersticken an der Bürokratie“, sagt einer von ihnen.
„Geld ist da, es muss nur verteilt werden“
Da sind sie nicht alleine. „Ein Komma an der falschen Stelle gesetzt und die schicken dir deinen Antrag wieder zurück“, sagt eine ältere Frau, die in Dernau vor einer der Behelfsunterkünfte die Veranda fegt. Wer sind „die“? „Versicherungen, Kreisamt, ISB (Investitions- und Strukturbank) – alle.“ Alfred Sebastian, Bürgermeister von Dernau, kennt solche Sprüche. „Gefühlt dauert es für Betroffene sehr sehr lange, bis es vorangeht“, räumt er ein. Geld sei da. „Es muss nur verteilt werden.“ Aber, gibt er auch zu bedenken, 570 Häuser im Ort seien durch die Flut mehr oder weniger stark beschädigt worden. „So etwas überfordert jede Verwaltung.“
Und im öffentlichen Bereich sehe es ja nicht besser aus. „Allein die vorgeschriebene europaweite Ausschreibung für den neuen Kindergarten dauert ein halbes Jahr. Mindestens“, sagt Sebastian. Fast alle Bürgermeister entlang des Flusses fordern deshalb eine „Sonderzone Ahrtal“ mit vereinfachtem Baurecht. „Das würde vieles beschleunigen.“
Viele Menschen bauen an derselben Stelle wieder auf
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Und es könnte vielleicht verhindern, was sich bereits seit vielen Monaten andeutet. Ja, einige Menschen haben das Tal verlassen, weil es ihnen an Geld oder an Lebenszeit für den Wiederaufbau fehlt – manchmal auch an beidem. Rund 88 Prozent der Eigentümer von Häusern oder Wohnungen aber wollen nicht weg, wie eine Studie vom Institut für Raumordnung und Entwicklungsplanung der Universität Stuttgart zeigt. „Wir haben kurz überlegt“, sagt Jennifer Holzberger. „Aber schnell stand fest, dass wir bleiben.“ Ganz tief verwurzelt sei die Familie im Ort, sagt sie. „Ganz tief verwurzelt“, sind ganz viele Menschen hier im Ahrtal.
Dass sie genau an derselben Stelle wieder errichten, was das Wasser vor zwei Jahren zerstört hat, hat aber in vielen Fällen einen anderen Grund. Häuser, die von der Flut nur beschädigt wurden, genießen Bestandsschutz und dürfen ohne Auflagen wieder saniert werden, wenn sie exakt so aufgebaut werden wie vorher. „Dafür braucht man keine Baugenehmigung“, bestätigt Sebastian. „Das macht es viel einfacher und billiger.“
Lange Diskussion um alte Brücke
Aber es lässt Experten für Hochwasserschutz die Haare zu Berge stehen. Um die Wiederholung einer Katastrophe wie 2021 zu verhindern, brauche der Fluss mehr Raum, stellen sie klar. Dafür müsse der Mensch auch mal vom Ufer zurückweichen und Brücken müssten neu und anders gebaut werden. Aber um mal Herbert Grönemeyer zu bemühen: „Und der Mensch heißt Mensch, weil er vergisst, weil er verdrängt“.
Anders ist die seit Monaten tobende Diskussion um die 300 Jahre alte Nepomukbrücke nicht zu erklären, die bei Rech über den Fluss führt. Vor ihr hatten sich in der Hochwassernacht – wie vor allen Brücken im Tal – Totholz und Treibgut gestaut, und das Wasser ins Dorf gedrückt. Mehr als 20 Häuser und Garagen wurden von der Flut mitgerissen, die Brücke selbst ist seitdem eine Ruine.
Menschen überzeugt: Das passiert nie wieder
Dennoch gibt es im Ort Bürger, die sie – unterstützt von Denkmalschützern – wiederaufbauen statt abreißen wollen. Dabei ist längst klar: 250 Kubikmeter Wasser können pro Sekunde unter der alten Brücke fließen, 450 Kubikmeter müssen es im Hochwasserfall sein. Erst seit Anfang dieses Monats steht fest, dass abgerissen wird.
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Gerne bemühen die Ahrtaler Statistiken und es gilt das Prinzip Hoffnung. „So eine Flut wird es hier nie wieder geben“, ist nicht nur die alte Dame aus Dernau überzeugt, klingt dabei aber ein wenig, als pfeife sie im dunklen Wald. „Ist ja vorher auch nie passiert.“
Bürgermeister Sebastian weiß, dass das kein Argument ist und sagt lieber: „So eine Flut DARF es nicht mehr geben.“ Über Bauten direkt am Ufer müsse man nicht reden. „Geht nicht.“ Aber beim Hochwasser von 2021 seien ja 90 Prozent des Dorfes überspült worden. Seitdem weiß er. „Wenn Sie wirklich sicher sein wollen, dass das nie wieder passiert, dann müssen Sie den ganzen Ort verlegen. Dann gibt es Dernau an der Ahr nicht mehr.“