Ruhrgebiet. Die Finanzkontrolle kämpft mit steigender Schwarzarbeit auf Baustellen. Wie ehrliche Betriebe unter Druck geraten, wenn die Konkurrenz schummelt.
Klaus Brunken (58) erinnert sich noch gut an diesen Tag auf einer Baustelle von drei Mehrfamilienhäusern in Herne: Er und seine Kollegen waren für die Maurer-Arbeiten an zwei Häusern zuständig. Die Maurer eines anderen Betriebs sollten am dritten Gebäude arbeiten.
„Der Kran stand zwischen den Bauten eins und zwei und kam nicht an den dritten Bau heran. Doch die Arbeiter der anderen Firma wollten trotzdem am dritten Erdgeschoss anfangen“, denkt er zurück. Plötzlich tauchte der Zoll an der Baustelle auf: „Die Beamten haben die Baustelle umzingelt. Und auf einmal sind die Arbeiter stiften gegangen und über den Zaun abgehauen“, erinnert sich Klaus Brunken. „Die hatten anscheinend keine Arbeitsgenehmigung. Die hat man nie wieder gesehen.“
Schwarzarbeit boomt: Deutlich mehr Ermittlungsverfahren im ersten Halbjahr 2022
Brunken ist Polier bei Karl Heuck, einem Ingenieurbau-Betrieb aus Krefeld mit rund 60 Mitarbeitern, der hauptsächlich im Rheinland und Ruhrgebiet im Einsatz ist. Der 58-Jährige arbeitet sei 40 Jahren auf dem Bau – immer unter fairen Bedingungen, wie er sagt: „Alle Angestellten werden bei uns nach Tarifvertrag entlohnt und bekommen Überstunden bezahlt. Und ohne Arbeitsnachweis darf niemand arbeiten.“ Das sei bei einigen anderen Handwerksbetrieben nicht so. Schwarzarbeit begegne ihm bei der Konkurrenz ständig, und das seit Jahren.
Das Problem Schwarzarbeit ist für Handwerker wie Klaus Brunken und die deutschen Behörden kein neues. Und doch könnte es sich im vergangenen Jahr verschlimmert haben. Der Gewerkschaft IG Bau zufolge habe die Finanzkontrolle Schwarzarbeit (FKS) in der ersten Hälfte des vergangenen Jahres 9251 Ermittlungsverfahren im Bauhaupt- und Baunebengewerbe eingeleitet. Das seien etwa ein Fünftel mehr als im Vorjahreszeitraum.
Die ermittelte Schadenssumme im ersten Halbjahr 2022 liege allein für den Bau bei etwa 161 Millionen Euro – „Geld, das dem Staat durch nicht gezahlte Steuern und Sozialabgaben vorenthalten wurde“, so die Gewerkschaft. Die IG Bau beruft sich auf Zahlen des Bundesfinanzministeriums. Den Hauptzollämtern Duisburg und Dortmund liegen für das vergangene Jahr noch keine Zahlen zu eingeleiteten Ermittlungsverfahren und der Schadenssumme durch Schwarzarbeit vor, wie aus einer Anfrage unserer Redaktion hervorgeht.
Darum nimmt Schwarzarbeit auf dem Bau in Krisenzeiten zu
Die Zunahme von Schwarzarbeit auf dem Bau erklärt Carsten Burckhardt vom IG Bau-Bundesvorstand mit steigenden Bauzinsen sowie Material- und Energiekosten, die den Kostendruck auf dem Bau erhöhen würden: „Unseriöse Firmen werden deshalb jetzt erst recht versuchen, ihre Kosten durch Lohndumping sowie die Hinterziehung von Steuern und Sozialabgaben zu senken.“ Dadurch stünden Arbeitgeber unter Druck, die sich an den Bau-Tarifvertrag halten.
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Von diesem Druck berichtet auch Polier Klaus Brunken: „Die günstigsten Betriebe bekommen die Aufträge. Weil Material wie Eisen und Kalksandstein für jeden gleich viel kostet, versuchen die Betriebe, am Personal zu sparen.“ Wer nicht den tarifvertraglich geregelten Lohn, sondern nur den gesetzlichen Mindestlohn an die Angestellten zahlt, spare bereits auf legale Weise zehn Euro pro Facharbeiter pro Stunde.
Dann gebe es die Betriebe, die mit krummen Abrechnungen für die Angestellten den Mindestlohn unterschreiten – und sich damit strafbar machen. Brunken erklärt: „Die bringen dann Arbeiter aus dem Ausland in Containern unter und berechnen denen dafür einen Betrag.“ So könnten sie ihre Dienstleistungen deutlich günstiger anbieten als die besser vergütende Konkurrenz.
Schwarzarbeit auf dem Bau: Das macht Handwerkern zu schaffen
Betriebe wie Heuck seien dadurch oft im Nachteil. Das mache sich auch bei der Anzahl an Aufträgen bemerkbar. Das Unternehmen bewerbe sich auf rund 150 Ausschreibungen pro Jahr. „Viele Aufträge scheitern aber, wenn der Bauherr sieht, dass andere Betriebe deutlich günstiger sind“, meint Brunken. So blieben seinem Betrieb rund 20 Aufträge pro Jahr.
Doch Verstöße gegen Mindestarbeitsbedingungen sind nicht die einzige Form, mit denen Betriebe und Behörden zu kämpfen haben. Auch Scheinselbstständigkeit im großen Stil sei ein Problem, meint Björn Wißuwa, Regionalleiter der IG Bau Westfalen: „Beschäftigte holen sich einen Gewerbeschein und umgehen so die Sozialversicherungspflicht und Lohnsteuer. Das gibt es auch besonders im Ruhrgebiet.“ Scheinselbstständige seien besonders schwer zu entlarven, wenn sie für ihre Dienste eine eigene Rechnung schreiben.
Ein weiteres Problem für den Zoll und die Konkurrenz-Betriebe entstehe, wenn Bauunternehmer viele Subunternehmen beauftragen: „Die Subunternehmen geben die Aufträge so lange weiter, bis keiner mehr durchblickt, wer zuständig ist und wie die Strukturen bei den Betrieben sind“, meint Björn Wißuwa. Oft herrschten bei den Subunternehmen schlechte Arbeitsbedingungen und viele Arbeiter seien illegal beschäftigt.
Schwarzarbeit bekämpfen: IG Bau fordert Verdopplung der Kontrolleure
Die IG Bau rechnet damit, dass Schwarzarbeit im Jahr 2023 weiter steigen könnte: „Der wachsende Kosten- und Konkurrenzdruck wird auch kriminelle Machenschaften antreiben“, sagt der stellvertretende Bundesvorsitzende Harald Schaum. Mehr Kontrollen würden benötigt – auch, weil im Oktober der gesetzliche Mindestlohn erhöht wurden. Daher fordert die IG Bau bundesweit mindestens 16.000 Zoll-Kontrolleure für die FKS – „eine Verdopplung des bisherigen Kontrollpersonals.“
Auch die Handwerkskammern möchten der Finanzkontrolle dabei helfen, Schwarzarbeit aufzudecken. Die Handwerkskammer Düsseldorf hat beispielsweise mehrere Personen damit beauftragt, die ordnungsgemäße Eintragung von Betrieben in die Handwerksrolle zu kontrollieren. „Die mit der Aufklärung befassten Kräfte wurden bereits im Jahr 2020 sogar von drei auf fünf weiter aufgestockt“, sagt Sprecher Alexander Konrad unserer Redaktion.
Mehr Kontrollen seitens der Handwerkskammer und vor allem des Zolls wünscht sich auch Polier Klaus Brunken: „In 40 Jahren auf dem Bau habe ich nur fünfmal gesehen, dass der Zoll kontrolliert hat. Das ist einfach zu wenig.“ Außerdem wünscht er sich ein Umdenken bei der Vergabe von Aufträgen: „Wenn wir uns darauf einigen, dass immer das Angebot mit der mittlersten Preishöhe genommen wird, könnten wir eine ganz andere Wettbewerbssituation herstellen.“