Essen. Regierung will im Notfall Gaskraftwerke abschalten. Die Stadtwerke sehen die Fernwärmeversorgung durch KWK-Anlagen gefährdet, auch in Duisburg.

Der grüne Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck setzt auch auf Kohle, um sich unabhängig von russischem Gas zu machen. Am Mittwoch brachte er einen Gesetzentwurf durchs Kabinett, der den Einsatz abgeschalteter Kohlekraftwerke ermöglicht, sollte es zu einem Gasmangel in Deutschland kommen. Der droht, wenn Russland seine Lieferungen stoppt, in diesem und dem kommenden Winter. Dass dann auch die Gaskraftwerke herunterfahren sollen, verärgert allerdings vor allem die Stadtwerke.

Habecks Gesetz sieht für den Krisenfall Strafzahlungen, so genannte Pönale auf den Gasverbrauch in Kraftwerken vor. Der Grund: Das knappe Erdgas soll im Notfall vorrangig für Heizungen in Privathaushalten und für die Industrie reserviert werden. Für die Stromerzeugung sollen dann verstärkt alte Kohlekraftwerke zum Einsatz kommen.

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Weil aber moderne Gaskraftwerke beides produzieren – Strom und Wärme – leuchtet das vor allem den Stadtwerken nicht ein. Sie sorgen in Deutschland nach Angaben ihres Verbandes kommunaler Unternehmen (VKU) für fast 80 Prozent der Endkunden-Wärme. Vielerorts leisten dafür Kraft-Wärme-gekoppelte (KWK) Gaskraftwerke einen wichtigen Beitrag. „Wenn wir darin Wärme erzeugen wollen, müssen wir auch Strom erzeugen. Das bedeutet: Wenn die Stromerzeugung pönalisiert wird, dann pönalisiert man auch die Wärmeerzeugung“, sagte VKU-Energieexperte Martin Larsson unserer Redaktion. Letztlich führe dies dazu, dass die Endverbraucher noch mehr für ihre Wärme zahlen müssen.

Gesetz soll noch vor der Sommerpause verabschiedet werden

Die Proteste des VKU blieben bisher wirkungslos. Das Gesetz soll noch im Juni in den Bundestag eingebracht und am 8. Juli durch den Bundesrat gehen, also vor der parlamentarischen Sommerpause. Diese Eile ist der Gefahr geschuldet, dass bei einem russischen Lieferstopp schon in der kommenden Heizperiode das Gas knapp werden würde. Dann müsse „Strom kurzfristig auch wieder vermehrt aus Kohle und Öl erzeugt werden“, heißt es im Statement der Bundesregierung zum Kabinettsbeschluss. Und: „Falls nicht genug Gas zur Verfügung steht, müssen die Gaskraftwerke schnell heruntergeregelt werden.“

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Greift die Alarmstufe im Notfallplan Gas, sollen Strafzahlungen das Verstromen von Gas unrentabel machen. Die Krisenregeln sollen zunächst bis März 2024 gelten, also für die kommenden beiden Winter. Habeck hofft, ab Ende 2024 unabhängig von russischem Gas zu sein. Allerdings ist Gas jetzt schon so teuer, dass die Gaskraftwerke kaum noch rentabel laufen. Nur was, wenn die gleichzeitig erzeugte Wärme gebraucht wird? Die Pönale führten dann „lediglich zu Mehrkosten in Milliardenhöhe für die kommunalen Energieversorger, die am Ende ihre Kundinnen und Kunden bezahlen müssen“, sagt VKU-Hauptgeschäftsführer Ingbert Liebing.

In Duisburg wären 70.000 Fernwärmekunden betroffen

Betroffene Stadtwerke sehen dadurch sogar die Versorgungssicherheit in Gefahr. Die Duisburger Stadtwerke etwa betreiben ihr Gas-und-Dampfkraftwerk in Wanheim „hauptsächlich zur sicheren Wärmeversorgung“, wie Vorstandsmitglied Andreas Gutschek betont. Er warnt: „Die im Gesetzentwurf vorgesehene Einbeziehung der Kraft-Wärme-Kopplung könnte die sichere Wärmeversorgung von 70.000 Duisburger Fernwärmekunden gefährden.“ Wie der VKU fordern daher auch die Stadtwerke Duisburg, KWK-Anlagen von der Pönalisierung auszunehmen.

Aus Sicht der Regierung wäre das knappe Gas am besten als direkter Heizungs-Brennstoff in den Wohngebäuden und in der Industrie eingesetzt. Vor allem die Chemieindustrie braucht Erdgas nicht nur als Energieträger, sondern auch als Rohstoff für viele Produkte, ohne die etliche andere Industrien nicht mehr arbeiten könnten. Strom aus Gas könnte ersetzt werden, KWK-Kraftwerke haben jedoch den großen Vorteil, Strom und (Fern-)Wärme gleichzeitig zu erzeugen und damit den Wirkungsgrad des eingesetzten Brennstoffs auf 85 Prozent und mehr zu erhöhen.

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Weil beim Verbrennen von Gas zudem deutlich weniger CO2 entsteht als bei Kohle, wollte Habeck Gaskraftwerke eigentlich als Brückentechnologie fördern, die nach dem Kohleausstieg für stabile Erzeugung sorgt, bis klimaneutrale Grundlast-Lösungen zum Ausgleich der schwankenden Ökostrommengen gefunden sind. Der russische Überfall auf die Ukraine und seine energiepolitischen Folgen zwingen den grünen Klimaminister nun zu einer Pause beim Kohleausstieg.

Kohlekraftwerke im Ruhrgebiet könnten länger laufen

Das so genannte „Ersatzkraftwerkebereithaltungsgesetz“ dient vor allem dazu, mehr Kohlekraftwerke als Reserve vorzuhalten, um sie im Notfall hochfahren zu können. Das gilt auch für jene Kraftwerke, die im Oktober und im nächsten Jahr vom Netz gehen sollten. Das sind im Ruhrgebiet einige: Die Essener Steag hat einen Stilllegungs-Zuschlag für ihr Steinkohlekraftwerk in Bergkamen sowie zwei weitere Blöcke im Saarland, Uniper für Block C in Gelsenkirchen-Scholven und Evonik für sein Kraftwerk im Chemiepark Marl.

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Angesichts der Krise haben die Konzerne signalisiert, die Blöcke weiter bereithalten zu können, wenn die Politik dies wünsche. „Unsere Steinkohlekraftwerke gehen in die Nachspielzeit“, formulierte es Steag-Chef Andreas Reichel im Interview mit unserer Zeitung. Bundesweit geht es um Kraftwerke mit einer Gesamtleistung von 2,6 Gigawatt. Ein Steag-Sprecher sagte am Mittwoch, der Konzern begrüße das Gesetz grundsätzlich, noch seien die Spielregeln aber unklar, insbesondere zur Kostenerstattung. Auch blieben „gewisse Risiken für die Betreiber“, weil „die Grenze zwischen Marktbetrieb und Beitrag zur Netzstabilität“ noch unscharf sei.

Habeck hält an Kohleausstieg bis 2030 fest

Natürlich möchte Habeck als grüner Wirtschafts- und Klimaschutzminister nicht verantwortlich für eine Renaissance der Kohle sein. Die aktuelle Notlage werde letztlich „die ökologische Transformation beschleunigen“, meinte er gar beim jüngsten Treffen der Energieminister der G7-Staaten. Die Bundesregierung sekundierte am Mittwoch und betonte: „Das Ziel, den Kohleausstieg in Deutschland idealerweise bis 2030 zu vollenden, sowie die Klimaziele bleiben bestehen.“

Dies allerdings erst nach einem zumindest kurzfristigen Kohlecomeback. Nach am Mittwoch veröffentlichten Daten des Statistischen Bundesamtes hat sich im ersten Quartal dieses Jahres der Kohleanteil am Strommix erneut kräftig auf 31,5 Prozent erhöht, nachdem er bereits im windarmen Vorjahr gestiegen war. Damit war Kohle vor der Windkraft (30,1 Prozent) der wichtigste Energieträger in der Stromerzeugung. Braun- und Steinkohle ersetzen derzeit vor allem Strom aus Gaskraftwerken und aus den drei Ende 2021 planmäßig stillgelegten Atomkraftwerken.