Essen. Im neuen IW-Städteranking bleiben die Ruhrgebietsstädte weit hinten. Sie entwickeln sich dynamischer als andere und holen auf. Warum das dauert.
Das Ruhrgebiet holt in Sachen Wirtschaftskraft, Arbeitsmarkt und der Lebensqualität gegenüber anderen Regionen auf, dies allerdings eher im Schneckentempo. Dieser Schluss lässt sich aus dem neuen Städteranking des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) Köln ziehen. „Wir sehen im Ruhrgebiet klare Aufholbewegungen, es wurde viel angeschoben. Doch dieser Prozess dauert sehr lange“, sagte Mitautorin Vanessa Hünnemeyer unserer Redaktion.
Die Regionalökonomen des IW messen jährlich die Wirtschaftskraft und Lebensqualität aller 71 kreisfreien deutschen Städte. Die meisten Ruhrgebietsstädte liegen seit vielen Jahren weit hinten, so auch diesmal. Doch im so genannten Dynamikranking, das die Fortschritte in den Dutzenden Kriterien wie Arbeitsmarkt, Immobilien, Versorgung im Gesundheitswesen und der Bildung berücksichtigt, schieben sich vor allem die Schlusslichter wie Gelsenkirchen und Herne teils deutlich nach vorne.
Die letzten vier Plätze belegen Revierstädte
Wer die Revierstädte sucht, liest das aktuelle Ranking aber nach wie vor besser von hinten: Gelsenkirchen bleibt auf dem 71. und letzten Platz, mit Duisburg, Herne, Oberhausen und Hagen folgen beim Rückwärtslesen vier weitere Ruhrgebietskommunen. Mülheim ist als bundesweit 48. der IW-Studie zufolge die attraktivste Stadt an der Ruhr, vor Essen (51.), Dortmund (60.), Bochum (62.) und Bottrop (63.).
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Das Städteranking wird seit vielen Jahren von den süddeutschen Metropolen und Großstädten dominiert, die ersten vier Plätze belegen wie im Vorjahr München, Erlangen, Ingolstadt und Stuttgart. Dafür entscheidend sind ihre Wirtschaftskraft, die niedrige Arbeitslosigkeit, der im Süden besonders starke Immobilienboom und sehr gute Bildungs- und Gesundheits-Infrastrukturen.
In den Bereichen Wirtschaft und Arbeitsmarkt hinten
Die Wirtschaftsforscher werten in den vier Bereichen Wirtschaft, Arbeitsmarkt, Immobilien und Lebensqualität etliche Daten aus. Beim Arbeitsmarkt etwa geht es nicht nur um die Arbeitslosenquoten und das Ausbildungsangebot, sondern auch um die Abiturquote der Bewerber, die Beschäftigungsquote der Älteren und die Qualität der Arbeitsplätze, etwa die Ingenieursdichte. In diesem Bereich liegen fast alle Revierstädte wegen ihrer vielen Langzeitarbeitslosen und Niedriglohnjobs weit hinten. Auch Städte wie Essen, die etwa im Bereich Wirtschaft wegen ihres vergleichsweise hohen Pro-Kopf-Einkommens im vorderen Mittelfeld (30.) liegen.
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Bei der Wirtschaftskraft machen die sehr hohen Gewerbesteuersätze und die eher schwache Finanzkraft der Kommunen die Großstädte im Ruhrgebiet unattraktiv. Bei der Lebensqualität schneiden fast alle aber teils deutlich besser ab als im Gesamtranking. So liegt Mülheim hier bundesweit auf einem 18. Rang, Bottrop ist 37. Hier ziehen die IW-Regionalforscher Kriterien heran wie Grünflächenanteil, Krankenhausdichte, Wohnfläche je Einwohner und Anbindung ans Fernstraßennetz – alles Pluspunkte des Ruhrgebiets.
Niedrige Mieten finden die Menschen im Ruhrgebiet eher gut
Auch, dass der Immobilienmarkt zu den Minuspunkten zählt, dürfte die meisten hier lebenden Menschen eher freuen als stören. Denn hohe Mieten, knapper Wohnraum und kurze Vermittlungszeiten gelten Immobilienexperten als gute Indikatoren, weil sie eine Stadt für Investoren attraktiver machen. Die Mieterinnen und Mieter im Ruhrgebiet dürften daran freilich wenig Interesse haben.
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Die Entwicklung in allen Bereichen ist im Ruhrgebiet jedoch dynamischer als in vielen anderen Ballungsräumen und Großstädten. Die Studie misst auch, wie sich die einzelnen Werte in den vergangenen fünf Jahren entwickelt haben, und sieht das Revier auf dem Weg nach oben. Bottrop hat im Dynamikranking den größten Sprung von Platz 64 auf 46 gemacht, insbesondere die Wirtschaft entwickelt sich nördlich der Emscher sehr gut – Bottrop liegt in diesem Teilbereich bundesweit auf dem 9. Platz. Herne verbesserte sich vom 59. auf den 42. Platz – vor allem wegen großer Fortschritte auf dem Arbeitsmarkt. Das ist auch der Hauptgrund, dass die für ihre Negativrekorde bekannte Stadt Gelsenkirchen im Dynamikranking vom 65. auf den 61. Platz geklettert ist.
Der Rückstand war so groß, dass der Aufholprozess dauert
Dass die meisten Revierstädte trotz ihrer recht positiven Entwicklung beim aktuellen Niveau nach wie vor weit hinten liegen, erklärt IW-Forscherin Hünnemeyer mit dem aus der Vergangenheit geerbten großen Rückstand: „Die regionalen Unterschiede sind so groß, dass es sehr lange dauert, sie wettzumachen. Zumal auch die anderen Städte ja nicht stehen bleiben, sondern sich ebenfalls weiter verbessern.“ Sie sieht vor allem bei der Entwicklung einer Wasserstoffwirtschaft, mit deren Hilfe die Grundindustrie grün werden soll, enorme Potenziale im Ruhrgebiet. Doch bis sich das in den Daten niederschlage, werde es ebenfalls noch dauern.