Rheda-Wiedenbrück. Europas größter Schlachtkonzern fordert vom Handel, Fleisch teurer zu machen. Der Umsatz schrumpfte 2018, obwohl Tönnies mehr Tiere schlachtete.
Europas größter Schlachter hat den deutschen Einzelhandel dazu aufgerufen, Fleisch teurer zu machen. „Wir müssen aufhören, diese tolle Ware Fleisch zu verramschen und in Billigangebote zu treiben. Stoppt endlich diesen Preiskrieg“, sagte Miteigentümer Clemens Tönnies am Donnerstag bei der Vorlage der Jahresbilanz 2018 in Rheda-Wiedenbrück.
Die in Deutschland ohnehin schon niedrigen Schweinefleischpreise seien im vergangenen Jahr um weitere 12,6 Prozent gesunken, was den Tönnies-Absatz um 3,6 Prozent auf 6,65 Milliarden Euro gedrückt hat. „Unter diesen Dumpingpreisen leiden wir, vor allem aber leiden die Landwirte. Das muss aufhören“, so der Appell von Tönnies Richtung Aldi, Lidl & Co.
Der Unternehmer und Aufsichtsratschef des Fußballklubs Schalke 04 beklagte, seine Branche und die Landwirtschaft kämen in der öffentlichen Debatte um Billigfleisch zu schlecht weg. Tönnies kümmere sich um das Tierwohl, müsse sich aber ständig rechtfertigen für Billigfleisch, obwohl der Handel die Preise mache. „Das ist doch hirnrissig“, sagte er. Wenn die Haltung besser werden solle, müsse das auch jemand bezahlen, das Preisniveau entsprechend steigen.
Auch durch Billigfleisch aus den USA und Spanien stehe die Branche unter Druck, „die ersten trauen sich schon von einer Krise zu reden“, so Tönnies. Sein Unternehmen habe die erste Phase „gut überstanden“, womit er den erneuten Zugewinn an Marktanteilen meint. Die Tönnies Gruppe hat im vergangenen Jahr insgesamt 20,8 Millionen Schweine geschlachtet und 440.000 Rinder.
Tönnies gewinnt Marktanteile hinzu
Damit steigerten die Westfalen ihre Mengen gegen den sinkenden Trend, in den deutschen Schlachthöfen stagnierten die Zahlen. Zum Gewinn macht das Familienunternehmen keine Angaben, die sinkenden Preise hätten sich aber ausgewirkt, so Tönnies. Und an der Margen-Schraube lasse sich nicht mehr drehen. Sollte der Handel die Preise wieder anheben, fließe das Geld eins zu eins an die Landwirte weiter, „und da gehört es auch hin“.
Der Fleischriese erklärte, das von Bundesagrarministerin Julia Klöckner ab 2020 geplante Tierwohllabel zu unterstützen. Es soll in einer dreistufigen Kennzeichnung die Haltungsbedingungen der Tiere für den Verbraucher dokumentieren. Mehr Platz für die Tiere, Beschäftigungsmöglichkeiten, schonenderer Transport und Ferkel-Kastration unter Betäubung sollen dadurch belohnt und gefördert werden.
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Allerdings starten die großen Handelsketten Edeka, Rewe, Aldi, Lidl, Kaufland, Netto und Penny bereits in diesem April ein eigenes Siegel, das Verbraucher- und Tierschützer für besser halten. Es sieht vier Haltungsstufen vor, die unterste genügt nur den gesetzlichen Mindeststandards. Klöckner hebt für ihr Siegel hervor, dass bereits die unterste Stufe mehr verlangt. Das führt Kritikern zufolge aber dazu, dass ein großer Teil konventionell erzeugter Fleischprodukte gar nicht erfasst werde.
„Am Ende muss der Handel selbst entscheiden“, sagte Andreas Ruff, der für die Familienseite von Clemens’ Neffen Robert die Geschäfte führt. Er wünsche sich nur, dass die Kennzeichnung keine Nischenlösung sei, sondern in der Breite wirke. Clemens Tönnies legte sich dagegen fest: „Das staatliche Label wird eine höhere Akzeptanz haben. Deshalb glaube und hoffe ich, dass es sich durchsetzt und der Handel erkennt, dass ein Label reicht.“
Jeder zweite Beschäftigte arbeitet mit Werkvertrag
Tönnies beschäftigt in Deutschland unverändert rund 16.500 Mitarbeiter. Davon ist etwa jeder zweite über eine Werkvertragsfirma beschäftigt, teilte das Unternehmen auf Nachfrage mit. Diese Firmen beschäftigen zu einem großen Teil osteuropäische Arbeitskräfte, die dann bei Tönnies eingesetzt werden. Tönnies bezahlt die Personal-Unternehmen, die ihren Beschäftigten Mindestlohn zahlen müssen. Berichte über unzumutbare Unterbringungen und überhöhte Mietabzüge von den Löhnen haben in den vergangenen Jahren immer wieder für Schlagzeilen gesorgt. Die Gewerkschaft NGG hatte unlängst angekündigt, notfalls für die Beschäftigten vor Gericht bessere Bedingungen erstreiten zu wollen.
„In Deutschland finden wir kaum noch Mitarbeiter, die diese Tätigkeiten machen wollen“, bekräftigt Clemens Tönnies, „bei verhältnismäßig unattraktiven Arbeiten ist der Anteil der Werkverträge höher“. Gemeint sind etwa die Schlachtbetriebe, während in den Wurstfabriken mehr Stammpersonal arbeitet.
Geschäftsführer Ruff betonte, man wolle allen Mitarbeitern gute Arbeitsbedingungen bieten, Werkverträge seien für Tönnies „absolut notwendig“. Und für einen rumänischen Arbeiter liege der deutsche Mindestlohn um ein Vielfaches höher als daheim. Die Frage nach dem Kostenvorteil für Tönnies durch Werkverträge ließ Ruff unbeantwortet.
„In Deutschland will diese Tätigkeiten keiner machen“
Clemens Tönnies betonte, es würden ohnehin nur noch 18 Prozent der Belegschaft zum Mindestlohn bezahlt, denn: „Sie bekommen keinen Zerleger mehr für Mindestlohn.“ Der Anteil der Werkvertrags-Mitarbeiter sei zuletzt auch leicht gesunken, weil man mehrere Anbieter und damit ihr Personal übernommen habe.
In diesem Zusammenhang ließ Tönnies durchblicken, dass die Zustände bei diesen Unternehmen, die mit dem Verleih von Arbeitern Geld verdienen, offenbar auch in seinen Augen nicht optimal sind. „Wenn wir so einen Landen übernehmen, räumen wir erst einmal auf. Nicht jeder hat unsere Standards. Wir verbessern dann die Bedingungen, denn wenn uns die Leute weglaufen, können wir nicht mehr produzieren.“
Zu Schalke beantwortete Aufsichtsratschef Clemens Tönnies keine Fragen. Man wolle „Clemens doch nicht die Laune verderben“, bat Konzernsprecher Andre Vielstädte vorab.