Ruhrgebiet. . Aus sechs Altbergwerken wird künftig das Grubenwasser abgepumpt. Ein neues Konzept mit riesigen Tauchpumpen soll viel Personal und Geld sparen.
Die Sonne verabschiedet sich an diesem Morgen um 10.17 Uhr. Der offene Förderkorb, eben noch lichtdurchflutet, stürzt unter Tage, es bleiben vier matte Lichtkegel der Grubenlampen. Es geht runter auf die sechste Sohle, gut 400 Meter tief unter das Ruhrtal im Essener Süden. Aus diesen Schächten ist vor genau 50 Jahren das letzte Mal Kohle zu Tage gefördert worden. Seitdem fördern die Kumpel hier nur noch Wasser. 50 Jahre – das klingt viel und ist doch so wenig. Denn der Zeithorizont für das Pumpen ist: die Ewigkeit.
Die Zeche Heinrich in Essen-Überruhr ist eine von bald nur noch sechs Standorten zur Wasserhaltung im Ruhrgebiet. Was hier nicht abgepumpt wird, würde sich seinen Weg Richtung Norden suchen. Einfach, weil das Flöz hier im Süden gleich unter der Erde begann. Die ersten Kohlebergwerke entstanden hier – und schlossen als erste. Richtung Norden fällt die Kohleschicht ab, steil runter geht’s ab der A40, entsprechend tiefer liegen die Gruben. Auf der letzten aktiven Zeche in Bottrop fördern sie das schwarze Gold inzwischen aus 1300 Metern Tiefe ans Licht, bis Ende des Jahres auch hier Schicht ist.
Was bleibt, ist die Ewigkeitsaufgabe, das Grubenwasser so weit unten zu halten, dass es sich nirgends mit Grundwasser, das auch zur Trinkwassergewinnung genutzt werden könnte, vermischt. Mindestens 150 Meter sollen dazwischen liegen. Eine ambitionierte Aufgabe.
Die Seilfahrt führt senkrecht in die Vergangenheit. Seit hier 1968 der letzte Hobel fiel, hat sich im Grunde nichts verändert. Die Strecke ist gesichert mit Betonplatten, Querstreben aus Stahl, längs aber tatsächlich noch mit handgesägten Holzbalken. Der Berg scheint hindurch zu wollen, doch auf den zweiten Blick erweist sich das bedrohlich wirkende Geröll über den Balken als handverlesenes Mosaik aus Steinen, die beim Bau des Schachts zur Verstärkung des Stahl-Holz-Gerippes einzeln drapiert wurden.
Der Weg zur Pumpenkammer führt auf einer kurzen Strecke gar durch einen „Türstock“ – einen trapezförmigen, eckigen Gang als Relikt aus verdammt alten Zeiten. Aus gutem Grund werden die Strecken seit vielen Jahrzehnten mit halbrunden Tunneldecken gebaut, die weit stabiler sind. Für ein paar Sekunden ist das Wetter, also die in den Schacht ventilierte Frischluft, noch etwas kälter als eben.
Zehn Pumpen fördern das Grubenwasser aus dem „Sumpf“, in dem alles zusammenläuft – aus den umliegenden Strecken und einem tiefen Blindschacht. Ein Motor treibt die Pumpe mit 1,4 Megawatt an, „der ist stärker als ein Panzermotor“, sagt Steiger Marcel Dorl, der als Elektriker über die Pumpen wacht. Pro Minute hievt eine Pumpe 16 Kubikmeter Wasser, also 16 Tonnen an die Oberfläche. „Die Pumpen werden jede Woche gewartet, jedes einzelne Gummi“, sagt er.
Anlagensteiger Mike Hartung, der die Zeche Heinrich mit zwölf Kollegen am Laufen hält, fügt an: „Wir begehen die gesamte Strecke jeden Tag, schauen uns jedes Rohr an.“ Dazu gehört dann auch der 800 Meter lange Weg auf dem museumsreif aussehenden Schienen-Fahrrad zum „Damm Theodor“, der den Stollen abschotten kann. Die Luftmessung ist dort wie hier Routine, mit dem Kohlenbergbau ist auch das Grubengas gewichen.
Doch das Rad, die unzähligen Kabel, die ganze alte und neue Technik sollen bald dem Wasser weichen. Denn das Abpumpen unter Tage gehört nicht zum Konzept für die Ewigkeit. Das sieht vor, die letzte Sohle zu fluten und fortan das Wasser mit einer Tauchpumpe aus dem Schacht zu fördern, durch den wir runtergekommen sind. Er wird zu einem Brunnen, in den nur noch die Pumpe einfährt. Oben fließt das Grubenwasser in die Ruhr. In einem bräunlichen, weil eisenhaltigen und sauerstoffreichen Schweif ergießt es sich flussabwärts.
Die Zukunft steht in Duisburg-Walsum schon bereit: Eine 20 Meter hohe, torpedoförmige Riesenpumpe wartet darauf, im Schacht abzutauchen. Sie wiegt 24 Tonnen und schwebt frei. Damit sie nicht ins Schlingern gerät, dreht ein Aggregat links, eine zweite rechts herum, damit sich die Fliehkräfte aufheben.
Das Wasser in Schach zu halten und im Zweifel zu reinigen ist die wichtigste Aufgabe der künftigen RAG. Michael Drobniewski, Betriebsdirektor für die Grubenwasserhaltung, weiß um die Größe der Aufgabe. Auf einer Karte zeigt er sein Konzept. Grundidee ist, nach Ende des Kohlebergbaus das Wasser steigen und fließen zu lassen, um es an sechs zentralen Brunnen zu fördern. Die Tauchpumpen können den Wasserpegel steigen oder auch wieder sinken lassen. Das Konzept würde viel Personal und so viel Geld sparen. Und Energie: „Den Ausstoß an Kohlendioxid können wir halbieren“, sagt Drobniewski.
Wie schnell das Ruhrgebiet absaufen würde, wenn der Strom ausfiele und das letzte Dieselaggregat schlapp machte? „Wegen des Grubenwassers? Gar nicht – es würde weit unter der Oberfläche bleiben“, sagt er bestimmten Blickes. Eine Seen- und Auenlandschaft würde aus einem anderen Grund gleichwohl entstehen: Wenn jene Pumpen ausfielen, die an rund 600 Stellen im Ruhrgebiet das obere Grundwasser abzapfen, um die durch den Bergbau tiefer gelegte Landschaft urbar zu machen. Die RAG hat selbst 187 Polderpumpen, die meisten betreibt die Emschergenossenschaft.
Das Grubenwasser pumpen im Süden die drei Altbergwerke Heinrich, Friedlicher Nachbar und Robert Müser von weit unten direkt in die Ruhr. Im gesamten nördlichen Ruhrgebiet will die RAG das Wasser künftig unterirdisch Richtung Westen fließen lassen, um es dort in den Rhein zu pumpen. Die mit großem Aufwand renaturierte Emscher wäre dann frei von Grubenwasser.
Und damit von PCB, das an der Emscher-Einleitung nachgewiesen wurde. Der giftige Stoff wurde bis in die 80er-Jahre in Hydraulikölen eingesetzt. Die RAG werde alles tun, um die Belastung wie bisher unter den Grenzwerten zu halten, sagt Drobniewski. Falls nötig, werde das Grubenwasser vor Einleitung in die Flüsse gereinigt. Für eventuell benötigte Aufbereitungsanlagen werden deshalb an jedem Standort Flächen frei gehalten. Drobniewski ist es wichtig zu betonen, dass durch das geplante Ansteigen des Grubenwassers die PCB-Belastung laut Gutachten der vorigen rot-grünen Landesregierung sinken würde, weil es sich an Sedimenten festsetzen und so zum Teil unten bleiben würde.
Im Süden, unter der Ruhr, sei kein PCB im Grubenwasser, weil es erst nach Stilllegung der alten Zechen verwendet worden sei. Größtes Problem sei hier eher die Temperatur des bis zu 30 Grad warmen Wassers. Hat die Ruhr Niedrigwasser, muss die RAG die Einleitung bis zu drei Wochen stoppen können, damit der Fluss nicht zu warm wird.
Es geht aufwärts in Überruhr. Die Seile spannen sich, der Förderkorb ruckelt zwei, drei Mal, bevor er sich nach oben arbeitet. Die ersten Sonnenstrahlen seit zwei Stunden blenden. Es ist ein gutes Gefühl.