Essen. Interview mit RAG-Chef Schrimpf: Im Streit mit ehemaligen Bergleuten vor Gericht bleibt die RAG hart - trotz juristischer Niederlagen.

Vor zwei Jahren hat die letzte deutsche Steinkohlenzeche, Prosper-Haniel in Bottrop, ihren Betrieb eingestellt. Doch die Arbeit des Essener Bergbau-Unternehmens RAG geht weiter. RAG-Chef Peter Schrimpf spricht im Interview mit Ulf Meinke über das komplexe Projekt Kohleausstieg, den bevorstehenden Anstieg des Grubenwassers und den Streit mit ehemaligen Bergleuten um betriebsbedingte Kündigungen.

Herr Schrimpf, vor zwei Jahren haben Bergleute der RAG in Bottrop das letzte Stück deutsche Steinkohle gefördert. Aber nach wie vor beschäftigt Ihr Unternehmen noch knapp 1240 Mitarbeiter. Ist tatsächlich so viel zu tun?

Schrimpf: Ja. Wir sind in den vergangenen zwei Jahren gut vorangekommen, haben aber noch einige spezielle Arbeiten vor uns, insbesondere an unseren Standorten in Ibbenbüren und auf Prosper-Haniel in Bottrop. Wir wollen uns unter Tage zurückziehen und die Gruben besenrein verlassen. Alles, was rauszuholen ist, holen wir raus – Förderbänder, Motoren und andere schwere Geräte. Die Schächte werden mit Beton verfüllt. Außerdem installieren wir an unseren Standorten für die zukünftige Grubenwasserhaltung riesige Tauchpumpen. Wir wollen zukünftig alles von Übertage aus steuern. Viele weitere Aufgaben kommen hinzu, etwa im Zusammenhang mit Bergschäden und der Entwicklung ehemaliger Bergbauflächen.

Im vergangenen Jahr sind immerhin noch rund 2,1 Milliarden Euro aus der Staatskasse an die RAG geflossen. Dabei sollen die Steuerzahler möglichst nicht für die sogenannten Ewigkeitsaufgaben nach dem Ende des Steinkohlenbergbaus aufkommen. Wie passt das zusammen?

Schrimpf: Das Vorgehen und die finanziellen Beträge sind schon im Jahr 2007 mit der Politik verabredet worden und Teil des Steinkohlenfinanzierungsgesetzes. Dies sind Kosten für Stilllegungen und Altlasten. Vorgesehen ist auch, dass bis Ende 2025 noch weitere 1,2 Milliarden Euro fließen. Was die Finanzierung des Kohleausstiegs angeht, läuft alles planmäßig. Auch das Modell, dass auf Dauer die RAG-Stiftung für die Ewigkeitskosten aufkommt, funktioniert.

Hat die Corona-Pandemie die Arbeiten der RAG erschwert?

Schrimpf: Es ist erfreulich, dass wir bislang keine Infektionsketten im Unternehmen hatten. Die rund 40 Corona-Fälle, die wir verzeichnet haben, sind erkennbar im privaten Umfeld hervorgerufen worden. Ich bin auch stolz darauf, dass wir im gesamten vergangenen Jahr keinen Unfall unter Tage hatten. Das gelingt nur mit einer disziplinierten Mannschaft, in der die Motivation und Moral stimmen.

Im Streit um 160 betriebsbedingte Kündigungen von ehemaligen Bergleuten hat die RAG allerdings juristische Niederlagen einstecken müssen. In mehreren Fällen erklärten Landesarbeitsgerichte die Kündigungen für unwirksam. Gibt Ihnen das zu denken?

Schrimpf: Wir sind weiterhin davon überzeugt, richtig gehandelt zu haben. Das Verhalten der Kollegen, denen wir gekündigt haben, war schlicht unsolidarisch. Allen Beschäftigten, die nicht in den Vorruhestand wechseln konnten, haben wir mehrfach Angebote für alternative Arbeitsplätze gemacht – leider ohne Erfolg. Uns blieb am Ende nichts anderes übrig als die Kündigung.

Die Gerichte bemängeln, vor den Kündigungen hätte der Gesamtbetriebsrat eingeschaltet werden müssen, nicht nur die örtliche Mitarbeitervertretung in Bottrop.

Schrimpf: Wir halten diese Argumentation nicht für stichhaltig. Wir haben doch nicht die ganze RAG stillgelegt, sondern lediglich das Bergwerk Prosper-Haniel. Um unsere eigenen Argumente zu überprüfen, haben wir uns von renommierten Fachleuten beraten lassen, die unsere Position bestärkt haben und eine andere Rechtsansicht als die Gerichte vertreten. Wir geben in diesem Rechtsstreit den Kampf nicht auf.

Die Landesarbeitsgerichte haben aber keine Revision zugelassen.

Schrimpf: Wir streben daher eine Nicht-Zulassungsbeschwerde an und möchten damit erreichen, dass sich das Bundesarbeitsgericht der Sache annimmt. Unserer Einschätzung zufolge gibt es eine grundsätzliche Bedeutung der Thematik, da es beim Braunkohleausstieg zu ähnlichen Fällen kommen kann.

Noch benötigen Sie Bergleute unter Tage. Wann werden die Arbeiten an den Schächten abgeschlossen sein?

Schrimpf: Wir gehen davon aus, dass wir sämtliche Schächte im Jahr 2024 mit Beton verfüllt haben. Der Aufwand ist enorm. Schließlich reden wir über Schächte, die jeweils über einen Kilometer tief sind. Allein die Kosten für Beton erreichen eine dreistellige Millionenhöhe.

Den Wasserpegel unter Tage wollen Sie in absehbarer Zeit beträchtlich ansteigen lassen. Entstehen damit Gefahren für das Trinkwasser?

Schrimpf: Das gilt es zu verhindern. Der Schutz des Trinkwassers hat bei uns höchste Priorität. Mit den Halterner Sanden haben wir ein großes Trinkwasser-Areal, auf das wir Acht geben. Gleichzeitig ist es unser Anliegen, die Flüsse zu entlasten, insbesondere kleine Gewässer. Die Emscher wollen wir künftig komplett frei von Grubenwasser halten. Stattdessen leiten wir das Wasser über unterirdische Wege in Ruhr, Lippe und Rhein.

Im Grubenwasser befindet sich auch das Umweltgift PCB. Der Umweltverband BUND fordert, das Wasser aus dem Bergbau sollte gereinigt werden, bevor es in die Flüsse gelangt.

Schrimpf: Durch den Einsatz unserer Pumpen gelingt es uns, die Belastung des Wassers möglichst klein zu halten. Wir sind grundsätzlich offen für jede Technologie, die zusätzliche Verbesserungen bringt und auch verhältnismäßig ist. Es gibt derzeit kein gesichertes Verfahren, bei diesen großen anfallenden Wassermengen die bestehenden minimalen PCB-Mengen herauszufiltern. Zurzeit unterstützen wir Forschungsaufträge zu sicheren Messverfahren, die auch kleinste Mengen erfassen.

Auch nach dem Ende der Steinkohleförderung entstehen an vielen Stellen im Ruhrgebiet ja noch Bergschäden. Wie viele Meldungen haben Sie im vergangenen Jahr erreicht – und wie hoch waren die Kosten für die RAG?

Schrimpf: Wir haben im Ruhrgebiet rund 20.000 Fälle im Jahr 2020 registriert. Die zukünftigen Zahlen werden natürlich leicht rückläufig sein. Insgesamt geht es um eine dreistellige Millionenhöhe. Bei 90 Prozent der Fälle liegt der Schaden aber unter 5000 Euro.

Mit den ehemaligen Bergbauflächen befinden sich unter dem Dach der RAG große Areale, die entscheidend sein werden für die künftige wirtschaftliche Entwicklung des Ruhrgebiets. Wann entsteht zum Beispiel auf dem historischen Zechengelände von Prosper-Haniel in Bottrop etwas Neues?

Schrimpf: Im Schnitt dauert es etwa zehn Jahre, bis eine Bergbaufläche neu genutzt wird. Für Bottrop gibt es bereits erste Ideen. Möglicherweise kann ein Logistik-Standort entstehen. Wir brauchen noch eine gewisse Zeit, sind aber auf einem guten Weg.​