Essen. Die Ruhrgebietsstädte schmieden Pläne für die Nutzung der 15 Kohlekraftwerks-Standorte. Das Land NRW fordert auch einen Beitrag der Energieriesen.
Wenn bis spätestens 2038 alle deutschen Steinkohle-Kraftwerke stillgelegt sein werden, will das Ruhrgebiet vorbereitet sein. Angesichts der Gewerbeflächen-Knappheit ruhen auf den 15 Standorten in der Region große Hoffnungen, neue Unternehmen und Arbeitsplätze anzulocken.
„Wir haben gemeinsam die einmalige Chance, unser Glück selbst in die Hand zu nehmen. Die werden wir nutzen“, sagt Wirtschaftsförderer Rasmus Beck. „Ohne Zusammenarbeit untereinander wird das nicht funktionieren.“ Becks Business Metropole Ruhr hat vom Land NRW den Auftrag erhalten, gemeinsam mit den Kommunen Nutzungskonzepte für die Kraftwerksstandorte zu erarbeiten. Das fünfköpfige Projektbüro steht vor einer gewaltigen Aufgabe. Für insgesamt rund 900 Hektar Fläche – so groß wie 1260 Fußballfelder, gilt es, neue Verwendungszwecke zu finden. Bis zum Sommer 2020 sollen die Ideen für die vier identifizierten Handlungsfelder stehen: Flächenentwicklung; Mobilität und Infrastruktur; Energie und Klimaschutz; Innovation und Bildung.
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Der Bund hat zugesagt, die vom Ausstieg aus der Kohleverstromung betroffenen Regionen finanziell zu unterstützen. Deutschlandweit will die Bundesregierung eine Milliarde Euro für die wirtschaftliche Abfederung zur Verfügung stellen. Wieviel davon im Ruhrgebiet ankommen wird, ist noch offen. Christoph Dammermann, Staatssekretär im NRW-Wirtschaftsministerium, hat davon aber eine klare Vorstellung: „Wir wissen noch nicht, wann und in welcher Höhe das Geld zu uns fließen wird. Da in Nordrhein-Westfalen mit Abstand die meisten Steinkohlekraftwerke stehen, erwarten wir, dass der größte Teil des Betrages in unser Land fließen wird“, sagte er im Gespräch mit unserer Redaktion.
Landeswirtschaftsminister Andreas Pinkwart (FDP) erwartet, dass die Bundesregierung bis Mitte November einen Plan zur Abschaltung der Kohlekraftwerke vorlegen wird. „Es gibt kein Strukturstärkungsgesetz, wenn es nicht auch ein Kohleausstiegsgesetz gibt“, hatte Pinkwart in der vergangenen Woche gesagt. Das Stärkungsgesetz soll regeln, mit wieviel Geld die Kohleregionen bei der Bewältigung der Energiewende rechnen können. Unklar ist, in welcher Form und Höhe die Energiekonzerne entschädigt werden. Die Verhandlungen darüber sind im Gange. Uniper hat sein Kohlekraftwerk in Datteln noch gar nicht in Betrieb genommen. Und die Steag-Anlage in Duisburg-Walsum ist fast neu.
Wie die Standorte nach Ende der Kohleverstromung genutzt werden können, wird auch davon abhängen, ob die Betreiber an Ort und Stelle umweltfreundlichere Gaskraftwerke planen, die vor allem dann zum Einsatz kommen sollen, wenn wenig Wind- und Sonnenenergie verfügbar sind. Da Gaskraftwerke deutlich kleiner sind als Kohlemeiler, fühlen sich Land und Kommunen bei ihren Planungen durch diese Unwägbarkeiten aber nicht behindert.
„Wer ein Haus baut, sollte es auch wieder abreißen“
Die Landesregierung ist vielmehr der Auffassung, dass Konzerne wie RWE, Uniper und Steag für den Rückbau ihrer Kohlekraftwerke selbst verantwortlich sind. Das hatte Bauministerin Ina Scharrenbach (CDU) bereits im Sommer gefordert. Wirtschaftsstaatssekretär Dammermann wird jetzt noch deutlicher: „Wer ein Haus baut, sollte es auch wieder abreißen, wenn er es nicht mehr benötigt“, sagt er. Aber: „Als Land haben wir nur wenige Mittel in der Hand, die Kraftwerksbetreiber zur Übernahme der Rückbau-Kosten zu bewegen.“
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Alle Beteiligten sind sich einig, dass möglichst viele Kraftwerksstandorte auch künftig industriell oder gewerblich genutzt werden sollen. „Die Kraftwerksstandorte sind interessant für private Investoren. Für Knepper in Dortmund und das Steag-Kraftwerk Lünen gibt es bereits Konzepte für die Flächen“, meint Stefan Schreiber, Hauptgeschäftsführer der Dortmunder IHK und Beiratsvorsitzender der Business Metropole Ruhr. „Deshalb dürfen auch im Hinblick auf künftige Flächenknappheit aus den Standorten keine Natur- oder Landschaftsschutzgebiete werden.“
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Damit spielt Schreiber auf die erheblichen Verzögerungen bei der Verabschiedung des Regionalplans Ruhr ab, der auch die Nutzung der auslaufenden Kraftwerksstandorte regeln soll. Damit es zu keinen Verzögerungen kommt, fordert der Wirtschaftsvertreter vom Regionalverband Ruhr (RVR), der für die Planung im Revier verantwortlich ist, ein „Handlungskonzept für die nächsten zwei Jahre. Sonst laufen wir in einen Flächen-Engpass und die Kommunen können nicht investieren“, warnt Schreiber.
Mit seinem Vorstoß scheint er beim RVR offene Türen einzurennen. „Der Regionalverband Ruhr arbeitet an einer Lösung für die regionalen Kooperationsstandorte“, sagte eine Sprecherin auf Anfrage. Sie werde gerade mit der Politik abgestimmt. Zu den 23 geplanten Kooperationsstandorten, die sich mehrere Kommunen teilen, gehören auch die Kraftwerke.
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Die über lange Zeit im Ruhrgebiet gelebte „Kirchturmspolitik“ soll also bei der Ausgestaltung der Nachkohle-Ära endgültig in der Mottenkiste der Geschichte verschwinden. „Wir denken strukturpolitisch in regionalen Wirkungsräumen“, sagt Staatssekretär Dammermann und meint damit die Zusammenarbeit der Städte, die im Umfeld eines Kraftwerks liegen und von dessen Abschaltung betroffen sein werden. „Die Region hat große Spielräume, für welche Projekte sie sich ausspricht. Wir schauen darauf, was den besten Beitrag für die Wertschöpfung und die Beschäftigung vor Ort bringt.“
Auch der Landesregierung ist daran gelegen, dass die Verschiebung des Regionalplans nicht zu Verzögerungen bei wichtigen Projekten führt. „Im Sinne der Schadensbegrenzung“, so Dammermann, sollten rasch Änderungsverfahren zum aktuell geltenden Regionalplan beschlossen werden. „Das könnte etwa für die bereits stillgelegten Kraftwerks-Flächen Lünen, Voerde und Werne gelten. Besonders dringlich sind Fälle, bei denen die Investoren bereits vor der Tür stehen.“