Berlin. Immer mehr Menschen verschulden sich. Doch seit Anfang Juli gilt ein neues Insolvenzrecht für Verbraucher. Es soll einen rascheren Ausweg aus der Schuldenfalle ermöglichen. Verbraucherschützer sind allerdings skeptisch, ist die schnelle Schuldenfreiheit doch mit hohen Auflagen verbunden.
Trotz guter Konjunktur und sinkender Arbeitslosigkeit können mehr als sechs Millionen Menschen in Deutschland ihre Rechnungen nicht bezahlen. Sie sind überschuldet. Ein Schicksal, dass laut Wirtschaftsauskunftei Creditreform fast jeden zehnten Verbraucher trifft. In Städten wie Duisburg liegt die Schuldnerquote mit 15 Prozent sogar noch deutlich höher. Eine Scheidung, der Verlust des Arbeitsplatzes und in den letzten Jahren immer häufiger auch eine schwere Krankheit und zu hohe Konsumausgaben treiben die Menschen in die Schuldenfalle.
Mehr als 90.000 von Ihnen sahen im letzten Jahr keinen anderen Ausweg mehr, als bei Gericht einen Antrag auf die Eröffnung eines Verbraucherinsolvenzverfahrens zu stellen. Binnen sechs Jahren finanziellen Wohlverhaltens konnte man bislang einen Erlass seiner Restschulden erreichen und ohne weitere Pfändung des Einkommens wieder weitgehend normal am Wirtschaftsleben teilnehmen („Restschuldbefreiung“). Das soll nun schneller gehen. Der Gesetzgeber hat zum 1. Juli eine Reform des Verbraucherinsolvenzrechts in Kraft gesetzt. Wer seither den Weg in die Privatinsolvenz einschlägt, kann schon nach drei oder fünf Jahren wieder eine weiße Weste haben.
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Doch die Auflagen sind hart. Zu hart, meinen Verbraucherschützer. Denn die Schuldenfreiheit nach nur drei Jahren ist an sehr strikte Auflagen geknüpft. Die Betroffenen müssen in dieser Zeit mindestens 35 Prozent ihrer Außenstände abstottern. Hinzu kommen die Kosten für den Insolvenzverwalter, meist ein Rechtsanwalt, Gerichtskosten und weitere Auslagen. Wer mit 35.000 Euro in der Kreide steht, muss für die Express-Entschuldung oft 20.000 Euro oder mehr aufbringen, rechnet Birgit Höltgen von der NRW-Verbraucherzentrale vor. „Das ist zu viel, die Quote ist zu hoch“, kritisiert die Finanzjuristin.
Durch die hohen Nebenkosten summiert sich die Rückzahlungsquote
Denn durch die hohen Nebenkosten summiere sich die Rückzahlungsquote schnell auf 50 bis 60 Prozent der Schulden, teils sogar darüber. Wer so viel Geld aufbringen könne, etwa von Verwandten oder Freunden, fahre in der Regel aber besser mit einem außergerichtlichen Gläubigervergleich. „Die Reform wird deshalb in der Praxis wenig ändern, weil sie keine tiefgreifenden Änderungen am Insolvenzrecht für Verbraucher vorgenommen hat“, urteilt Höltgen.
Vorzeitige Restschuldenbefreiung nach fünf Jahren
Alles nur heiße Luft also? Nicht ganz. Etwas positiver bewerten die Verbraucherschützer aus Düsseldorf die vorzeitige Restschuldenbefreiung nach fünf Jahren. Diese können Verbraucher anstreben, die sich zutrauen, in dieser Zeit zumindest die Verfahrenskosten zu tragen.
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Je nach Höhe des Schuldenbergs sind das zwar auch einige Tausend Euro, doch der Rückzahlungsbetrag ist weitaus kleiner als beim beschleunigten Dreijahresplan. Neben den Verfahrenskosten muss hierbei aber auch, je nach Höhe des Einkommens und der Pfändungsgrenze, ein Teil der Forderungen an die Gläubiger zurückgezahlt werden. Wer nichts hat, zahlt nichts; wer (wieder) Geld verdient, muss seinen Gläubigern während der fünfjährigen Phase im finanziellen Abklingbecken einen Teil abtreten, der sich an der Höhe der pfändungsfreien Einkünfte bemisst.
Wegweisendes hat sich für die meisten Verbraucher nicht geändert
Kurzum: Wegweisendes hat sich für die meisten, vor allem für die armen Verbraucher mit der Gesetzesnovelle nicht geändert, auch wenn die Entschuldung künftig ein bisschen schneller möglich ist. Die meisten Betroffenen dürfen sich jetzt auf fünf statt auf sechs Jahre für ihren Weg aus der Schuldenfalle einstellen.
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Eine weitere Neuerung betrifft allerdings das sogenannte „Insolvenzplanverfahren“. Das gab es bislang nur für Unternehmen. Seit Anfang Juli können auch Verbraucher innerhalb von wenigen Monaten schuldenfrei sein, wenn sie sich mit ihren Gläubigern auf einen Fahrplan zur Rückzahlung einigen. Voraussetzung ist allerdings, dass sie einen maßgeblichen Teil ihrer Schulden begleichen können, die Höhe wird individuell ausgehandelt. Vorteil: Der wirtschaftliche Neustart kann sehr schnell gelingen und dürfte in den meisten Fällen billiger sein als beim oben erläuterten Dreijahresplan. Nachteil: Die meisten überschuldeten Privatpersonen dürften auch dafür kaum die benötigten Mittel aufwenden können. Für ärmere Menschen wie Hartz IV-Empfänger ist das also auch nichts.
Birgit Höltgen empfiehlt Verbrauchern mit finanziellen Schwierigkeiten, sich frühzeitig beraten zu lassen. „Die Meisten kommen zu spät, wenn sie schon hohe Schulden angehäuft haben“, hat die Verbraucherschützerin beobachtet. Wer früh Hilfe suche, könne statt einer Verbraucherinsolvenz viel bessere Wege wie einen Schuldenvergleich mit den Gläubigern einschlagen, sagt Höltgen.