Frankfurt. . Zentralbankchef Drahgi hat selbst die Finanzmärkte mit der Größe seines Programms zum Anleihen-Verkauf überrascht. Die Geldschwemme soll eine Deflation in der Euro-Zone verhindern.

Im Kampf gegen eine drohende Deflation und die anhaltende Wirtschaftskrise in der Euro-Zone holt die Europäische Zentralbank (EZB) zum nächsten großen Schlag aus: Ab März will sie Monat für Monat Staatsanleihen der Euro-Staaten, Anleihen europäischer Institutionen und Unternehmen im Volumen von 60 Milliarden Euro kaufen. Bis September 2016 pumpt die Notenbank damit 1,14 Billionen Euro in den Bankensektor, die sie elektronisch erzeugt, also quasi frisch druckt.

Dass die Geldschwemme derart gigantisch ausfällt, überraschte auch die Finanzmärkte – im Positiven. Der Dax schloss am Abend mit dem Rekord 10 430 Punkten.

Aufgabe für die Bundesbank

Möglicherweise läuft das Programm noch länger, sollte sich die Inflationsrate bis Herbst nächsten Jahres nicht erkennbar wieder der Marke von knapp zwei Prozent nähern, wie EZB-Präsident Mario Draghi nach der mit Spannung erwarteten Sitzung des EZB-Rates in Frankfurt sagte. Mit dem Volumen des Programms, deren aktueller Umsetzung dem Vernehmen nach unter anderem Bundesbank-Präsident Jens Weidmann und die deutsche EZB-Direktorin Sabine Lautenschläger widersprochen haben, übertrifft die EZB die höchsten Erwartungen von Volkswirten. Sie hatten mit 500 Milliarden bis maximal einer Billion Euro gerechnet.

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Von Stefan Schulte

Gekauft werden sollen nur Anleihen mit Top-Bonitätsnoten und einer Laufzeit zwischen zwei und 30 Jahren. Dies soll entsprechend der Kapitalanteile der jeweiligen Notenbanken an der EZB erfolgen: Damit entfällt der Großteil der Käufe auf die Bundesbank, die 28 Prozent des EZB-Kapitals hält. Dahinter: Frankreich und Italien. Zwölf Prozent der Käufe sollen auf Anleihen europäischer Institutionen wie der Europäischen Investitionsbanken (EIB) oder der EU entfallen. Nur bei diesen Papieren soll es eine gemeinsame Haftung aller 19 Euro-Notenbanken geben.

Draghi zufolge fiel die Entscheidung, das Programm im März zu starten, mit großer Mehrheit. „Wir haben sehr intensiv und mit unterschiedlichen Meinungen diskutiert“, sagte der Italiener. Einmütig seien alle Ratsmitglieder, und damit offenbar auch Bundesbank-Chef Weidmann, der Meinung gewesen, dass Anleihekäufe ein legales geldpolitisches Instrument der EZB seien und zu ihrem „Werkzeugkasten“ gehörten. Aber etliche Ratsmitglieder plädierten offenbar für weiteres Abwarten bis zur Umsetzung des Programms.

Wechselkurs sei wichtig, aber kein Ziel der Geldpolitik

Die schwache Inflation, die in der Euro-Zone im Dezember mit minus 0,2 Prozent in den negativen Bereich gerutscht war, nannte Draghi neben der schwachen Wirtschaftsentwicklung als Hauptgrund für das 1,1 Billionen Euro schwere Anleiheprogramm. Untersuchungen zufolge werde die Preissteigerungsrate in der Euro-Zone auch in den nächsten fünf Jahren – ohne Berücksichtigung der Anleihekäufe – nur bei 0,3 und in den nächsten zehn Jahren bei 0,9 Prozent liegen. Preisstabilität erkennen die Notenbanker aber erst bei einer Rate von knapp zwei Prozent.

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Ein rasches Anziehen der Inflation erwartet Draghi nicht. „Seit drei Jahren haben wir den Leitzins mehrfach auf ein historisches Tief gesenkt. Wir haben mehrere große Sonder-Kreditpakete für die Banken aufgelegt und Staatsanleihen gekauft, trotzdem sehen wir keine Inflation“. Auch auf die Frage nach dem Eurokurs, der gestern nur unmittelbar nach Bekanntgabe des Programms abrutschte und dann wieder über die Marke von 1,16 Dollar stieg, reagierte Draghi gelassen. Der Wechselkurs sei wichtig, aber kein Ziel der Geldpolitik. Klar ist, dass Sparer auch aufgrund des jüngsten EZB-Entscheids weiter mit sehr niedrigen Zinsen leben müssen. Allerdings bleiben im Gegenzug auch Kredite billig.

Die Folgen für die Verbraucher im Überblick

Der EZB-Präsident warnte die Regierungen der Euro-Länder, das Anleihe-Programm nun als Anreiz für höhere Staatsausgaben und zum weiteren Schuldenmachen zu betrachten. Jetzt sei die Politik vielmehr mit der Umsetzung der notwendigen Reformen am Zug.

BÖRSEN: Die Geldschwemme der Notenbanken ist der Schmierstoff für die Aktienmärkte. Da viele andere Geldanlagen wegen niedriger Zinsen kaum noch etwas abwerfen, stecken Investoren ihr Geld in Aktien. Die Kurse steigen. Experten warnen allerdings, dass dadurch Blasen an den Aktienmärkten entstehen können.

STAATSANLEIHEN: Durch die Käufe dürften die Renditen der Papiere, zum Beispiel Bundesanleihen, weiter sinken. Das trifft Besitzer von Anleihen oder Anleger, die Geld in Anleihefonds investiert haben.

SPARZINSEN: Die Anleihekäufe haben zwar keine direkten Folgen für die Zinsen auf Sparbuch und Co. Allerdings dürfte die EZB die Leitzinsen nicht erhöhen, solange das milliardenschwere Programm läuft. Die Zeiten bleiben also noch eine ganze Weile mau für Sparer. Die Geldpolitik der EZB "belastet die Sparer und gefährdet die private Altersvorsorge", warnt die Deutsche Kreditwirtschaft. Finanzexpertin Dorothea Mohn vom Verbraucherzentrale Bundesverband rät, noch stärker als bisher die Kosten für Sparprodukte verschiedener Anbieter zu vergleichen.

ALTERSVORSORGE: Das Geld der Lebensversicherer steckt vor allem in Staatsanleihen. Schon jetzt fällt es den Unternehmen angesichts der niedrigen Zinsen immer schwerer, die hohen Renditenversprechen für Altkunden am Kapitalmarkt zu erwirtschaften. Die Folge: Die Rendite von Produkten zur privaten Altersvorsorge sinkt. Das Kaufprogramm verstärke den Druck auf festverzinsliche Wertpapiere, kritisiert der Präsident des Branchenverbandes GDV, Alexander Erdland. "Das macht es uns jetzt noch schwerer, den Menschen gute Angebote für ihr Alter zu machen."

IMMOBILIEN: Kredite für den Kauf der eigenen vier Wände sind durch den Leitzins nahe Null, zu dem sich Geschäftsbanken Geld bei der EZB besorgen können, billiger geworden.

STAATSVERSCHULDUNG: Sinken die Zinsen von Staatsanleihen, muss der Staat weniger zahlen, wenn er Geld am Kapitalmarkt aufnimmt. Noch vor der EZB-Entscheidung verkaufte der Bund erstmals eine fünfjährige Bundesobligation mit Nullzins. Anleger erhalten also keine laufende Zinszahlungen. Ob Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble die Ersparnis an die Bürger weitergibt, ist allerdings fraglich.

EURO: Minizinsen und Geldflut schwächen den Euro gegenüber anderen Währungen, weil Anlagen in die Gemeinschaftswährung weniger lukrativ sind. Für die exportorientierte deutsche Wirtschaft ist ein schwacher Euro gut, weil sie ihre Produkte auf dem hartumkämpften Weltmarkt billiger anbieten kann. Das kann Arbeitsplätze sichern und die Konjunktur beflügeln. Beim Tanken könnte der schwächere Euro zu höheren Preisen führen. Denn Rohöl und Benzin werden international in Dollar gehandelt. Zu einem Problem an den Zapfsäulen würde dies aber erst, wenn parallel Rohöl drastisch teurer wird. Das ist derzeit jedoch nicht der Fall, der Rohölpreis sinkt seit geraumer Zeit.

REISEN: Der Urlaub in Nicht-Euroländern wird bei einem schwächeren Euro teurer. Das gilt vor allem für Reisen in die Schweiz, in die USA sowie in Länder, in denen der Dollar als offizielles Zahlungsmittel gilt. (mit dpa)

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