Berlin. Könnte die Lokführergewerkschaft bei ihrer Urabstimmung zum Streik geschummelt haben? Sie bestreitet das - doch die Deutsche Bahn fordert Klarheit. Anlass waren Berechnungen eines Arbeitsrechtlers. Im Tarifstreit ist noch immer keine Lösung in Sicht. Bringt eine Streikpause die Streithähne zurück an den Verhandlungstisch?
Die Lokführergewerkschaft GDL hat den Vorwurf von Unstimmigkeiten bei der Urabstimmung zum laufenden Streik zurückgewiesen. "Nach der Arbeitskampfordnung und der Satzung der GDL ist die Urabstimmung rechtens und absolut wasserdicht", teilte die Gewerkschaft am Sonntag in Frankfurt mit. "Wäre dem nicht so, stünden wir schon längst vor Gericht." Laut GDL hatten sich vor dem Streik 91 Prozent der an der Abstimmung teilnehmenden Mitglieder für einen Arbeitskampf bei der Deutschen Bahn ausgesprochen.
Die "Bild am Sonntag" berichtete, es bestünden jedoch Zweifel, ob bei der Urabstimmung wirklich die erforderliche Mehrheit der stimmberechtigten GDL-Mitglieder zustande kam. Anstatt der notwendigen 75 Prozent Zustimmung hätten mutmaßlich nur knapp 74 Prozent für den Streik votiert. Dies hätten Berechnungen des Arbeitsrechtlers Manfred Löwisch ergeben.
Bahn fordert Klarheit von Gewerkschaft
"Zu den 91 Prozent kann man nur gelangen, wenn man nicht die Zahl der stimmberechtigten, sondern die geringere Zahl der tatsächlich abstimmenden Mitglieder zugrunde legt", sagte der Jurist der Zeitung.
Eine Bahn-Sprecherin forderte auf Anfrage der Nachrichtenagentur dpa Klarheit von der Gewerkschaft: "Schon im ureigenen Interesse und dem ihrer Mitglieder muss die GDL das möglichst schnell und lückenlos aufklären" - auch, um zu wissen, was von den Streiks zu halten sei.
Nach Angaben eines GDL-Sprechers lief der Streik am Sonntag wie geplant: "Die Kollegen ziehen mit." Nach wie vor sei die Beteiligung sehr hoch, es gebe zahlreiche Zugausfälle. Darüber hinaus wollte sich die GDL nicht weiter zu den Vorwürfen bei der Urabstimmung äußern.
GDL spricht von siebentägiger Streikpause ab Montag
Der Chef der Lokführergewerkschaft GDL, Claus Weselsky, hat eine siebentägige Streikpause ab Montag in Aussicht gestellt. "Ich denke, dass wir über die nächste Woche reden und dass wir dort eine Pause einlegen von mindestens sieben Tagen", sagte Weselsky am Samstagabend im ZDF-"heute-journal". Dieses Wochenende müssen Reisende aber nach wie vor mit erheblichen Einschränkungen rechnen. Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) forderte Bahn und GDL erneut auf, den festgefahrenen Tarifkonflikt schnell zu entschärfen.
Zum Beginn oder Ende der Herbstferien in neun Bundesländern trafen die Lokführer mit ihrem Streik am Samstag die Bahnkunden hart. Etwa zwei Drittel der Fernzüge standen seit dem frühen Samstagmorgen still. Auch Regionalbahnen fuhren nur nach einem Ersatzfahrplan. Die GDL will den Streik trotz wiederholt geäußerter Verhandlungsbereitschaft der Deutschen Bahn bis zum Montagmorgen durchziehen.
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Weselsky sagte am Nachmittag in Dresden, es sei unvermeidbar, Reisende zu beeinträchtigen. Auf den Vorwurf, Streiks in der Ferienzeit auszurufen, entgegnete er: "Es ist immer Hauptreisezeit, an sieben Tagen in der Woche."
GDL hatte Freitag Tarifangebot der Bahn abgelehnt
Ein neues Tarifangebot der Bahn hatte die GDL am Freitag abgelehnt. Dieses sah für die Lokführer eine dreistufige Einkommenserhöhung um insgesamt 5 Prozent bei einer Vertragslaufzeit von 30 Monaten vor. Von dem Konzern erwartete die Gewerkschaft "verhandelbare Angebote". Am Ende entscheide die Bahn, "ob wir in den Verhandlungsmodus kommen oder in den nächsten Arbeitskampf", sagte Weselsky.
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Bedingung der GDL für Tarifgespräche mit der Bahn ist es, neben den Lokführern auch für das übrige Zugpersonal wie Zugbegleiter oder Bordgastronomen zu verhandeln. Für diese Berufsgruppen führt jedoch die größere Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) die Gespräche.
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Dobrindt forderte die GDL zur Rückkehr an den Verhandlungstisch auf. "Wenn in Tarifverhandlungen konkrete Angebote auf dem Tisch liegen, sollte verhandelt werden", sagte der CSU-Politiker der Zeitung "Bild am Sonntag". Die Bahn sei das zentrale Verkehrsmittel in Deutschland mit Millionen Fahrgästen täglich. Tarifauseinandersetzungen wie auch Streiks seien ein elementarer Bestandteil der Tarifautonomie, "dazu gehört aber auch die Verpflichtung zum verantwortungsvollen Umgang damit, das heißt auch die Folgen für betroffene Dritte möglichst gering zu halten", sagte Dobrindt.
ADAC: Auf Straßen überraschend wenig Verkehr trotz Lokführerstreiks
Auf den deutschen Straßen war nach Angaben des ADAC am Wochenende überraschend wenig los - trotz Lokführerstreiks, schönen Ausflugswetters und Herbstferien in elf Bundesländern. "Auf den Autobahnen ist es heute genauso erstaunlich ruhig wie am Samstag", sagte eine Sprecherin des Automobilclubs am Sonntag. "Wir waren etwas überrascht."
Der ADAC hatte mit dichten Staus gerechnet. Tatsächlich gab es auf den traditionellen Staustrecken wie etwa der Münchner Ostumfahrung A99, in Ballungsgebieten und an Baustellen Behinderungen. "Aber nicht mal auf der A8 war viel Stau", hieß es.
Schon am Samstag "war der Verkehr eher wie an einem normalen ruhigen Samstag und nicht wie an einem Ferien-Wochenende mit Streik", sagte die Sprecherin. Die Bundesbürger hätten sich offensichtlich sehr gut informiert und entsprechend reagiert.
Einen Ansturm verzeichneten die ADAC-Post-Busse: "Wir hatten dieses Wochenende 50 Prozent mehr Buchungen, und wir haben alle verfügbaren Reisebusse aktiviert." Die meistgefragten Strecken seien Frankfurt-Köln, Hamburg-Münster und Berlin-Hannover gewesen, jeweils in beide Richtungen. Die meisten Kunden seien Wochenendpendler. Beim ADAC-Mitfahr-Club habe es an diesem Wochenende 16 Prozent mehr Anfragen gegeben. (dpa)