Düsseldorf. . Gut gemeint ist bekanntlich das Gegenteil von gut gemacht. Das neue Vergabegesetz sollte gewährleisten, das nur solche Firmen öffentliche Aufträge erhalten, die soziale und ökologische Mindeststandards einhalten. Daraus wurde ein endloser Papierkrieg - der nichts bringt, weil Kontrollen fehlen.

Das „Deutschlandhaus“ in Essen ist eine Kathedrale des Bauens. Elegante 20er-Jahre-Architektur, Paternoster, einst das erste Hochhaus der Stadt. Hier residieren seit bald 100 Jahren Essens Planer und Ingenieure.

Im dritten Stock sitzt Uwe Paulokat und wuchtet eine dicke Akte auf den Tisch. Die Ausschreibungsunterlagen für eine Straßenerneuerung im Süden der Stadt. Paulokat ist beim „Amt für Straßen und Verkehr“ für die Auftragsvergaben zuständig. Er soll darüber berichten, wie er ein „bürokratisches Monster“ bändigt. Als solches bezeichnen Kritiker das neue „Tariftreue- und Vergabegesetz“ des Landes, das Grundlage für Paulokats Ar­beit ist.

Zuerst Spott - inzwischen handfester Streit

Seit zwei Jahren tobt im Landtag, in den Kommunalverbänden und Wirtschaftsvereinigungen ein erbitterter Streit um die öffentliche Auftragsvergabe. Rot-Grün schreibt seit 2012 per Gesetz eine Reihe von sozial-, umwelt- und gesellschaftspolitischen Standards vor: Wer für die öffentliche Hand baut, putzt, repariert oder liefert, muss seinen Mitarbeitern nicht nur einen Stundenlohn von 8,62 Euro zahlen, sondern auch nachhaltige Materialen verwenden oder verhindern, dass „weibliche Beschäftigte lächerlich gemacht, eingeschüchtert, angefeindet oder in ih­rer Würde verletzt werden“, wie es in einer amtlichen Verpflichtungserklärung heißt.

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Wurde zunächst nur darüber gespottet, dass sich ein Dachdecker-Betrieb kaum zur Einrichtung ei­nes „Eltern-Kind-Zimmers“ bewegen lasse, geht es inzwischen um handfeste juristische Auseinandersetzungen. Die Vergabekammer Arnsberg etwa lässt vom Europäischen Gerichtshof prüfen, ob eine Stadtverwaltung überhaupt einem polnischen Dienstleister Lohnuntergrenzen diktieren kann. Einige Kommunen gehen dagegen vor, dass ihre Auftragsvergaben an private Busunternehmen plötzlich nicht mehr möglich sein sollen. In einer Gemeinde am Niederrhein erhielt das teuerste Unternehmen den Zuschlag für die örtliche Müllabfuhr, bloß weil es die modernsten und damit umweltfreundlichsten Autos vorweisen konnte.

Strafen gab’s in Essen noch nicht

Uwe Paulokat umfasst im Essener Amt einen Stoß Papier seiner Akte. „30 Seiten weniger“ hätte seine Ausschreibung, wenn es das Tariftreue- und Vergabegesetz nicht gebe, überschlägt er. Trotzdem habe man sich in seiner Behörde mit den neuen Auflagen arrangiert.

Essen vergibt im Tiefbau weiterhin rund 2000 Aufträge mit einem Gesamtvolumen von etwa 26 Millionen Euro. Der Kreis der Firmen, die von der Straßenpflasterung bis zur Brückenreparatur und Laternenwartung für die Stadt arbeiten, sei derselbe geblieben. „Auch vor dem Tariftreue- und Vergabegesetz wurde bei uns ja kein Pflaster aus indischen Steinbrüchen verbaut“, bemerkt Paulokat.

Das Formular-Unwesen nimmt irreale Dimensionen an

Die Stadt Essen hat Formulare entwickelt, mit denen sich Auftragnehmer unter Androhung von Vertragsstrafen dazu bekennen müssen, Löhne einzuhalten, Frauen und Familien zu fördern oder ethisch korrekte, nachhaltige Materialien zu verwenden. Eine Vertragsstrafe ist noch nie ausgesprochen worden – schon weil man nicht sämtliche Angaben der Firmen überprüfen kann. „Die Richtigkeit muss in einigen Bereichen unterstellt werden“, bekennt Amtsleiter Dieter Schmitz. Seine Ingenieure und Verwaltungsexperten sind keine Buchprüfer und haben schlicht keine Zeit, bei Außenterminen die betriebliche Kinderbetreuung in Augenschein zu nehmen.

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Mancherorts hat der gut gemeinte Versuch der Öffentlichen Hand, ein besonders vorbildlicher Auftraggeber zu sein, ein bürokratisches Eigenleben geboren. In Düsseldorf etwa verursachen Ausschreibungen inzwischen einigen Ärger. Ein Reinigungsunternehmen, das städtische Gebäude säubern soll, moniert ein neues 145-seitiges Pflichtenheft mit Probereinigungen, raumgenauen Qualitätsanalysen und Geschäftsberichten der letzten zwei Jahre. In der Bearbeitungszeit dieses Formularkrieges hätte man mehrere Schulen gewischt.

Amt wünscht sich Kontrolle

FDP und CDU im Landtag unternehmen gerade einen neuen Anlauf, das Gesetz zu kippen. NRW-Wirtschaftsminister Garrelt Duin (SPD) zeigt sich inzwischen offen, die Regeln zu „entschlacken“. Man müsse sich fragen lassen, wie lange man sich „um die Ohren hauen lasse“, ein richtiges Ziel mit hohem bürokratischen Aufwand befrachtet zu haben, sagt er.

Ein Praktiker wie Essens Amtsleiter Schmitz erwartet zumindest eine Kontrolle des gesetzlichen Erfolges: „Wir wollen uns ja nicht mit uns selbst beschäftigen.“