Essen. . Konzernchef Heinrich Hiesinger droht bei der Hauptversammlung in Bochum Gegenwind der Aktionäre. Vor dem Treffen rückt Thyssen-Krupp den Fokus auf zukunftsträchtige Geschäftsfelder. Neben dem traditionellen Stahlgeschäft soll der Anlagenbau eine immer wichtigere Rolle im Konzern spielen.

Der angeschlagene Stahl- und Industriekonzern Thyssen-Krupp geht kurz vor der Hauptversammlung in die Offensive. Schon vor dem Aktionärstreffen am kommenden Freitag in Bochum wirbt Vorstandschef Heinrich Hiesinger in der Öffentlichkeit um Verständnis und Geduld. Es gebe zwar noch „Großbaustellen“ im Unternehmen, aber auch Fortschritte bei der Sanierung.

Außer der amerikanischen Stahlsparte mit dem verlustreichen Werk in Brasilien seien alle fünf weiteren Geschäftsfelder des Konzerns mit seinen weltweit rund 157 000 Beschäftigten profitabel, betonte Hiesinger im „Deutschlandfunk“. Sei es die europäische Stahlsparte, der Vertrieb von Rohstoffen, der Bau von Maschinen-Komponenten, Industrie-Anlagen oder Aufzügen – überall verdiene Thyssen-Krupp Geld. Wie es scheint, will Hiesinger vor der Hauptversammlung Optimismus verbreiten.

Denn dem Konzernchef, der mittlerweile drei Jahre an der Spitze von Thyssen-Krupp steht, droht beim Aktionärstreffen Gegenwind der Investoren. Im vergangenen Jahr hatte das Unternehmen einen Verlust von 1,5 Milliarden Euro verbucht – zuvor war bereits ein Fehlbetrag in Höhe von fünf Milliarden Euro angefallen. Wann der Konzern wieder schwarze Zahlen schreiben wird, ließ Hiesinger offen. Für das Problem-Stahlwerk in Brasilien konnte der Konzernchef bislang keinen Käufer finden, der Verkauf des Edelstahlgeschäfts an den finnischen Konzern Outokumpu ist zum Teil gescheitert.

Neben dem Stahlgeschäft soll der Anlagenbau eine immer wichtigere Rolle spielen

Thyssen-Krupp rückt nun den Fokus gezielt auf zukunftsträchtige Geschäftsfelder. Neben dem traditionellen Stahlgeschäft soll zum Beispiel der Anlagenbau eine immer wichtigere Rolle im Konzern spielen. Um Wachstumschancen besser nutzen zu können, bündelt Thyssen-Krupp nun seine Aktivitäten unter dem Dach der Sparte „Industrial Solutions“ mit Sitz in Essen. Mit rund 19 000 Beschäftigten zähle die neu geschaffene Thyssen-Krupp-Tochterfirma zu den weltweit führenden Anlagenbauern, heißt es im Konzern. Traditionsreiche Betriebe wie Uhde, Fördertechnik und Polysius gehen in der neuen Sparte auf.

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„Durch die Wachstumsdynamik, die wir entfalten wollen, werden zusätzliche Arbeitsplätze entstehen“, versprach Hans Christoph Atzpodien, der Vorstandschef von Industrial Solutions, im Gespräch mit der WAZ. Die deutschen Standorte – beispielsweise in Dortmund und Beckum – sollen erhalten bleiben und durch die Fusion „langfristig gestärkt“ werden.

„Wir haben klare Wachstumsziele“, sagte Atzpodien. „Zuletzt erreichten wir rund 5,6 Milliarden Euro Jahresumsatz, mittelfristig sind acht Milliarden Euro möglich.“ Allein der klassische Anlagenbau – früher Uhde, Fördertechnik und Polysius – stehe für rund 3,5 Milliarden Umsatz und 11 000 Mitarbeiter. „Hier sehen wir in den nächsten Jahren das wesentliche Wachstumspotenzial.“

Die weltweite Nachfrage nach Energie, Rohstoffen und Industriegütern sei für Thyssen-Krupp ein Wachstumstreiber, berichtete der Manager. Gute Geschäfte verspreche sich der Konzern insbesondere in Nordamerika, Asien und im pazifischen Raum.

Bau von Chemie-, Raffinerie- oder Zementanlagen mit der Marke Thyssen-Krupp

„Sowohl Uhde als auch Fördertechnik und Polysius fehlten bisher die Größe und das weltweite Netzwerk, um auch in den Wachstumsregionen die eigenen Stärken voll ausspielen zu können“, erklärte Atzpodien. „Das ändert sich nun mit der neuen Aufstellung.“ Der Zusammenschluss bringe Thyssen-Krupp mehr Schlagkraft und habe nicht vorrangig zum Ziel, Einsparpotenziale zu heben.

„Auch wenn in der Vergangenheit in der Öffentlichkeit eher der Stahl im Mittelpunkt stand, wenn es um Thyssen-Krupp ging: Der Konzern verfügt über jahrzehntelange Erfahrung beim Bau von Chemie-, Raffinerie-, Tagebau- oder Zementanlagen“, betonte Atzpodien. Die „nicht gerade einfache Situation im Konzern“ bremse die Anlagenbauer von Thyssen-Krupp nicht. „Von Krise kann beim Anlagenbau keine Rede sein. Im Gegenteil: Wir befinden uns auf Wachstumskurs.“

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Einzelteile von Thyssen-Krupp mehr wert als das Gesamtunternehmen

Auch die Aufzugsparte von Thyssen-Krupp gilt als Ertragsperle. So entsteht die Situation, dass Einzelteile von Thyssen-Krupp derzeit mehr wert sind als das Gesamtunternehmen an der Börse. Eine solche Gemengelage lockt häufig Finanzinvestoren an, die etwa auf Unternehmensverkäufe oder Börsengänge von Konzernteilen spekulieren. Bei Thyssen-Krupp hält der schwedische Finanzinvestor Cevian mittlerweile knapp elf Prozent der Anteile und kann daher Druck auf das Management ausüben.

„Für mich ist und bleibt Cevian so eine Art Heuschrecke“, zitiert die Nachrichtenagentur Reuters Konzernbetriebsratschef Wilhelm Segerath. „Wir beobachten die mit Argusaugen“, sagt auch Stahl-Betriebsrat Günter Back. Reuters berichtet auch von Spekulationen, Hiesinger könnte sich „früher oder später vom Stahlgeschäft trennen“. Der Konzernchef hatte sich in der Vergangenheit wiederholt gegen einen Abschied vom Stahl ausgesprochen.

Heinrich Hiesinger nicht „amtsmüde“

Seit dem Amtsantritt von Hiesinger vor drei Jahren ist der Aktienkurs von Thyssen-Krupp deutlich gefallen. Hiesinger räumte ein, dass die Einzelteile von Thyssen-Krupp derzeit „mehr wert sind“ als der Konzern als Ganzes. Sein Ziel sei, die „Lücke zwischen dem heutigen theoretischen Wert der Einzelteile und dem Wert von Thyssen-Krupp“ an der Börse zu schließen. Der Gewinn aus den Zukunftsgeschäften müsse stärker ins Gewicht fallen als die Verluste aus den Großbaustellen des Konzerns, sagte Hiesinger.

Sein aktueller Vertrag läuft noch bis Ende September nächsten Jahres. Er sei jedenfalls keineswegs „amtsmüde“, betonte der Vorstandschef. Schließlich sei seine Aufgabe bei Thyssen-Krupp „noch nicht abgeschlossen“.