Brüssel. Die EU-Kommission will den massiven deutschen Exportüberschusses prüfen - im schlimmsten Fall drohen Strafzahlungen. Denn die Wirtschaftslokomotive Europas verstößt seit Jahren gegen EU-Regeln. Deutsche Politiker reagieren verärgert auf den Vorstoß.

Der anhaltend hohe Exportüberschuss Deutschlands und die Folgen für Europas Wirtschaft sind ins Visier der EU-Kommission geraten. EU-Kommissionschef José Manuel Barroso kündigte am Mittwoch in Brüssel eine eingehende Prüfung seiner Behörde an. In Deutschland stößt dies auf heftige Kritik.

"Eins ist klar: Wir kritisieren nicht Deutschlands Wettbewerbsfähigkeit oder seine Exportleistung", sagte EU-Wirtschaftskommissar Olli Rehn. Im Gegenteil, fügte Barroso hinzu: "Wir hätten gerne mehrere Deutschlands in Europa."

Es solle jedoch untersucht werden, ob Deutschland mehr tun könne, um die wirtschaftlichen Ungleichgewichte zwischen den EU-Ländern zu verringern. Als mögliche Schritte nannte der Kommissionschef eine Stärkung der Binnennachfrage und eine Öffnung des Dienstleistungssektors.

Deutschland verstößt gegen EU-Regeln

Deutschland steht seit Jahren wegen seiner starken Überschüsse im Außenhandel international in der Kritik. Zuletzt war der Unmut über Europas Wirtschaftslokomotive immer lauter geworden, heftige Kritik kam auch von der US-Regierung. Vergangenes Jahr exportierte Deutschland nach Angaben des Statistischen Bundesamtes Waren im Wert von knapp 1096 Milliarden Euro und führte Güter für fast 906 Milliarden Euro ein. Der Überschuss in der Außenhandelsbilanz betrug 2012 somit 190 Milliarden Euro.

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Allerdings verstößt Deutschland gegen EU-Regeln: Demnach darf der Außenhandelsüberschuss eines Landes im Durchschnitt von drei Jahren nicht über sechs Prozent liegen. Deutschlands Exportplus übersteigt jedoch seit 2006 diesen Wert - und wird dies der EU-Kommission zufolge auch bis mindestens 2015 tun.

"Konjunkturlokomotive Deutschland ausgebremst"

Es ist das erste Mal, dass die EU-Kommission eine solche Prüfung gegen Deutschland einleitet. Barroso und Rehn kündigten diesen Schritt bei der Vorstellung eines Berichts an, mit dem die Kommission die Mitgliedstaaten vor möglichen wirtschaftlichen Ungleichgewichten warnt.

Insgesamt sind 16 EU-Staaten von einer solchen Prüfung betroffen. Im Frühjahr will die EU-Kommission mitteilen, ob der deutsche Exportüberschuss ein übermäßiges wirtschaftliches Ungleichgewicht darstellt. Reding kündigte eine "offene Prüfung ohne vorgefertigte Schlussfolgerungen" an.

In Deutschland stößt die Untersuchung auf heftige Kritik. "Die deutschen Exporterfolge beruhen auf wettbewerbsfähigen Qualitätsprodukten", sagte der Vorsitzende der CDU/CSU-Gruppe im Europaparlament, Herbert Reul. "Ausgerechnet die europäische Konjunkturlokomotive Deutschland bremsen zu wollen, würde ganz Europa international zurückwerfen."

Die Untersuchung dürfe auf keinen Fall zu einer Schwächung Deutschlands führen, warnte der FDP-Chef im EU-Parlament Alexander Graf Lambsdorff. "Ziel der Politik muss sein, die Wettbewerbsfähigkeit in den Krisenländern zu erhöhen."

In letzter Konsequenz könnten Strafzahlungen drohen

Die EU-Kommission stellte klar, dass die Prüfung auch im Interesse Deutschlands sei. Schließlich bedeute der Überschuss, dass deutsches Geld nicht im Inland, sondern im Ausland investiert werde. Als Gegenmittel sieht die EU-Kommission etwa eine Stärkung der Binnennachfrage etwa durch Lohnerhöhungen oder einen Mindestlohn sowie eine Senkung der hohen Steuer- und Abgabenbelastung, insbesondere für Geringverdiener. Zudem könne Deutschland den Wettbewerb im Dienstleistungssektor beleben, unter anderem im Baugewerbe.

Die Prüfungen der wirtschaftlichen Ungleichgewichte können in letzter Konsequenz zu Strafzahlungen in Höhe von 0,1 Prozent der Wirtschaftsleistung führen. Deutschland setzte vor zwei Jahren aber eine Erklärung der EU-Finanzminister durch, nach der Exportüberschüsse nicht bestraft werden sollen. (afp)