Berlin/Wiesbaden. Nach Jahren der Lohnzurückhaltung sind die Arbeitskosten in Deutschland in den vergangenen zwei Jahren gestiegen. Knapp ein Drittel mehr als im EU-Durchschnitt kostet eine Stunde Arbeit hierzulande. Im Vergleich mit anderen westeuropäischen Staaten liegt Deutschland damit im Mittelfeld, wie das Statistische Bundesamt am Dienstag mitteilte.

Wie viel Geld können und sollen Unternehmen für Arbeit ausgeben? Seit jeher streiten darüber Arbeitgeber und Mitarbeiter. In Deutschland hinkten bis 2010 viele Jahre lang Lohnentwicklung und Arbeitskosten deutlich hinter den meisten anderen europäischen Staaten hinterher - das trug auch einen wichtigen Teil zur Wettbewerbsfähigkeit bei. Doch Arbeit wird in Deutschland spürbar teurer. In den vergangenen beiden Jahren sind die Arbeitskosten in der Privatwirtschaft kräftiger gestiegen als im EU-Schnitt - erstmals seit Beginn der statistischen Zeitreihe im Jahr 2001.

Gut so, finden die einen - und hoffen, dass es noch ein Weilchen so weitergeht. Vorsicht, warnen andere Experten. Sie sorgen sich um die Wettbewerbsfähigkeit des Standorts Deutschland - und um Arbeitsplätze.

Nach Abzug der Inflation ein Plus von 0,5 Prozent

Für viele Arbeitnehmer ist das Plus bei den Arbeitskosten im vergangenen Jahr zunächst eine gute Nachricht: "Die gestiegenen Arbeitskosten spiegeln die gestiegenen Löhne und Gehälter wider", sagt der Leiter des WSI-Tarifarchivs der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung, Reinhard Bispinck. "Es steht zu hoffen, dass dieser Trend sich fortsetzt und verstärkt."

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Nach einer längeren Flaute war 2012 das dritte Jahr in Folge mit einem Reallohnplus für die Arbeitnehmer - nach Abzug der Inflation blieb Berechnungen des Statistischen Bundesamtes zufolge ein Plus von 0,5 Prozent pro Kopf. "Das ist nicht überragend viel, aber immerhin ein Zuwachs", sagt Bispinck.

Der Arbeitskostenexperte Christoph Schröder vom arbeitgebernahen IW Köln erklärt den Anstieg der Arbeitskosten zum einen mit höheren Tarifabschlüssen 2011 und 2012 als in den Jahren zuvor. "Zum anderen werden die Arbeitskräfte in Deutschland knapp", sagt der Experte. "Der Verhandlungsspielraum auf Arbeitnehmerseite wird größer, weil die Unternehmen mehr dafür tun müssen, gute Arbeitskräfte zu bekommen."

"Exportmodell hat krisenverschärfend gewirkt"

Er warnt vor den möglichen Folgen steigender Arbeitskosten. "Die Unternehmen müssen aufpassen, dass sie nicht an Wettbewerbsfähigkeit verlieren." Die Lohnstückkosten in der deutschen Industrie liegen seinen Angaben zufolge ein Siebtel höher als noch 2007. "Höhere Arbeitskosten belasten die Unternehmen und müssen mit höherer Produktivität wettgemacht werden. Wenn die Produktivität nicht ausgebaut werden kann, stehen Arbeitsplätze auf dem Spiel."

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Tarifexperte Bispinck sieht keine Gefahr für die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands, der Anstieg der Arbeitskosten sei durch eine sehr hohe Produktivität gedeckelt. "Sie hat sich in den letzten zehn Jahren verbessert - allerdings zum Preis einer sehr gedämpften Binnenentwicklung", sagt Bispinck. Diese gelte es nun weiter zu stärken. "Wir sind darauf angewiesen, dass wir ein reales Plus bei Löhnen und Gehältern haben und stärker balanciertes Wachstum. Bei den staatlichen Haushalten soll konsolidiert werden, Unternehmen sind zurückhaltender mit Investitionen, da ist es besonders wichtig, dass die private Nachfrage wächst."

Er kritisiert, Deutschland habe wegen des starken Exportüberschusses stark auf Kosten seiner Nachbarn gelebt. "Das Exportmodell hat krisenverschärfend gewirkt", sagt Bispinck. "Wenn wir diesen Trend stoppen oder sogar umkehren würden, wäre das für die wirtschaftliche Entwicklung in Europa sehr sinnvoll. Es würde den Krisenländern helfen, schneller wieder auf die Beine zu kommen."

In Ländern wie Italien oder Spanien legten die Arbeitskosten in der Privatwirtschaft 2012 deutlich schwächer zu als in Deutschland - im Vergleich stieg ihre Wettbewerbsfähigkeit. Für Griechenland rechnen die Statistiker sogar mit einem Rückgang der Arbeitskosten um rund 7 Prozent.

Wie sich die Arbeitskosten in Deutschland weiter entwickeln werden, hängt stark von den noch anstehenden Tarifrunden ab. Die wichtige Metall-Tarifrunde hat gerade erst begonnen, auch im Einzelhandel steht in diesem Jahr ein Abschluss an.