Berlin. . Werkverträge eindämmen, niedrige Einstiegslöhne bekämpfen - Verdi-Chef Frank Bsirske fordert im Interview ein Ende von Scheinwerkverträgen, über die tariflich vereinbarte Löhne umgangen werden. Er will ein Verbandsklagerecht und eine Hotline, über die Verstöße gemeldet werden können.
Sie schuften für wenige Euro in der Stunde. Frank Bsirske, Chef der Gewerkschaft Verdi, sieht in der Beschäftigung von Menschen ohne festen Stundenlohn und niedrig vergüteten Werkvertrag ein Riesenproblem – vor allem, wenn sie reguläre Jobs ersetzen. Bsirske forderte im Interview eine Anschwärz-Hotline, wo Verstöße gemeldet werden können.
Herr Bsirske, was stört Sie an Werkverträgen?
Frank Bsirske: Werkverträge können in Einzelfällen Sinn machen. Aber wir sind gegen die Praxis, die jetzt Platz gegriffen hat...
...wie stark?
Bsirske: ...massenhaft – und die darauf abzielt, mit Scheinwerkverträgen reguläre Jobs zu ersetzen und die Löhne zu drücken.
Auch im Handel?
Bsirske: Früher haben reguläre Beschäftigte die Ware in die Regale eingeräumt und sortiert. Solche Aufgaben wurden längst ausgelagert. Das machen jetzt Menschen mit Werkverträgen zu Hungerlöhnen.
Das heißt?
Bsirske: Offiziell haben wir im Einzelhandel Tarife von zwölf Euro. Dagegen wurden bei den Werkverträgen nur vier bis fünf Euro gesetzt.
Verdi und IG Metall zu Werkverträgen
Werkverträge sind indirekt auch Thema in den laufenden Tarifverhandlungen im Einzelhandel. Die Arbeitgeber fordern neue, niedrige Lohngruppen für einfache Tätigkeiten. Dann müssten Arbeiten wie das Regaleinräumen nicht mit Werkverträgen ausgelagert werden, so das Argument.
Verdi lehnt das ab, will wie in Tarifrunden sonst üblich nur über Lohnerhöhungen reden. Dass die Arbeitgeber zu Jahresbeginn sämtliche Manteltarifverträge gekündigt haben und so eine Neuordnung der Lohngruppen erzwingen wollen, wertete Verdi als Affront.
Die IG Metall hat unlängst einen anderen Weg im Kampf gegen Werkverträge eingeschlagen. Gewerkschafts-Vizechef Detlef Wetzel erklärte sich für 2014 grundsätzlich bereit, über die Einstiegslöhne für einfache Tätigkeiten zu verhandeln. Dies aber nur in einem Gesamtpaket, das Werkverträge eindämmt.
Die hat das Arbeitsgericht Bremen doch für sittenwidrig erklärt.
Bsirske: Stimmt. Nur: Daraufhin haben die Firmen, die solche Räumtätigkeiten anbieten, einen Arbeitgeberverband gegründet. Der schloss mit dem Deutschen Handlungsgehilfenverband DHV, einer Gefälligkeitsgewerkschaft, einen Tarifvertrag mit Löhnen zwischen sechs Euro und 6,50 Euro ab. Das war seinerzeit weniger als der Mindestlohn in der Leiharbeit, der damals bei 7,01 Euro im Osten und 7,89 Euro im Westen lag. Auf diesem Umwege wurden die sittenwidrigen Löhne legal und erhielten eine tarifliche Weihe. Jetzt werden sogar die Leiharbeiter verdrängt.
Reden wir über Einzelfälle?
Bsirske: Nein. Im Lebensmitteleinzelhandel sind Scheinwerkverträge eine sehr verbreitete Praxis. Genauso wie Scheinselbstständigkeit bei den Paketdiensten. In der Druckindustrie reden wir über Anteile zwischen 5 und 30 Prozent. Sehr stark verbreitet sind sie auch im Schlachthofbereich, bis zu 90 Prozent. Das betrifft vor allem Osteuropäer, die doppelt und dreifach ausgebeutet werden: Der Lohn, die Arbeitsbedingungen und die Unterkünfte sind miserabel. Das ist seit langem bekannt. Im europäischen Raum häufen sich die Klagen darüber, in Dänemark zum Beispiel. Es ist auch kein Zufall, dass Belgien die EU-Kommission aufrief, etwas gegen die Dumpinglöhne in Deutschland zu unternehmen. Es besteht ein hoher Handlungsdruck. Aber die Bundesregierung lässt das Problem schleifen. Sie schaut zu.
Sie könnten die Einstiegstarife für einfache Jobs absenken, dann wäre das Gefälle nicht so krass.
Bsirske: Niedrige Einstiegstarife verhindern keine Scheinwerkverträge. Ganz generell finde ich: Vom Lohn eines Vollzeit-Jobs muss man anständig leben können.
Sind denn Werkverträge nur ein Phänomen im Niedriglohnsektors?
Bsirske: Nein, wir haben Werkverträge in der Autoindustrie auch in Ingenieurbereichen.
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Das heißt aber auch, dass Sie das Problem mit Mindestlöhnen allein nicht in den Griff bekommen.
Bsirske: Da bin ich bei Ihnen. Wir müssen mehrere Maßnahmen kombinieren. Wir müssen per Gesetz sicherstellen, dass Werkverträge in reguläre unbefristete Arbeitsverträge umgewandelt werden, sobald bestimmte Kriterien erfüllt werden. Und wir wollen, dass die Betriebsräte über den Einsatz von Werkvertragsunternehmen mitbestimmen. Und einen gesetzlichen Mindestlohn brauchen wir auch. In der Summe kann dieser Mix von Maßnahmen helfen, den Missbrauch einzudämmen.
An welche Kriterien denken Sie?
Bsirske: Wenn die Tätigkeit auf Weisung des Arbeitgebers erfolgt, wenn jemand in den normalen Abläufen des Betriebes integriert wird, wenn es sich um Aufgaben handelt, die vorher von Stammbelegschaften erledigt wurden. Oder: Wenn die Aufgabe mit Material und Werkzeug des Auftraggebers erledigt wird. Wenn zwei dieser Kriterien erfüllt sind, dann sollte man von Scheinwerkverträgen ausgehen. Dann liegt es am jeweiligen Unternehmen, den Verdacht zu widerlegen. Stichwort: Beweislastumkehr.
Muss ein Verbandsklagerecht her?
Bsirske: Der einzelne Arbeitnehmer schreckt oft davor zurück, seine Rechte einzuklagen. Ein Verbandsklagerecht wäre sehr hilfreich, weil es die Bekämpfung der Scheinwerkverträge erleichtern würde. Die Gewerkschaft könnte dann als Verband handeln. Das Verbandsklagerecht sollte man um weitere Komponenten ergänzen. Die Briten können zum Beispiel über eine Hotline melden, wo der gesetzliche Mindestlohn missachtet wird. Davon machen auch viele Unternehmer Gebrauch.
Sie schwärzen ihre Konkurrenten an?
Bsirske: Zu recht. Weil Lohndumping eine unfaire Konkurrenz ist. So eine Hotline wäre ein wirksames Mittel. Damit könnte man die Kontrolle der Einhaltung eines gesetzlichen Mindestlohnes in Deutschland erleichtern.