Düsseldorf. Akkordarbeit bei Hungerlöhnen, undurchsichtige Werkverträge, nicht genug Gesundheitsschutz: In etlichen großen Fleischbetrieben Nordrhein-Westfalens ist das vor allem für Ausländer die Realität. Kontrolleure entdeckten haarsträubende Zustände.
In der nordrhein-westfälischen
Fleischindustrie sind Verstöße gegen den Arbeitsschutz an der Tagesordnung. In
etlichen Großbetrieben wurden ausufernde Arbeitszeiten, undurchsichtige
Werkverträge mit Billigkräften aus dem Ausland und mangelhafte
Gesundheitsvorsorge aufgedeckt. Das ergab eine Sonderkontrolle der staatlichen
Arbeitsschutzverwaltung.
NRW-Arbeitsminister Guntram Schneider (SPD) zog am Dienstag in
Düsseldorf eine alarmierende Bilanz: "Es gibt keine Großen, wo nichts
festgestellt wurde. Alle verstoßen gegen Gesetze." Der Minister will prüfen
lassen, ob er nach Abschluss laufender Verfahren Namen nennen kann.
Arbeiter unter "menschenunwürdigen Bedingungen"
"Oft werden Menschen, insbesondere aus Mittel- und Osteuropa, unter
menschenunwürdigen Bedingungen zu Hungerlöhnen in Deutschland beschäftigt",
stellte der Minister fest. Bei der Sonderaktion wurden 24 Großbetriebe und 27
Werkvertragsnehmer überprüft. In zwei Drittel dieser Fälle wurden
Arbeitsschutzmängel festgestellt, darunter Arbeitszeiten bis zu 13,5 Stunden
täglich.
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"In einem Unternehmen wurden mehr als 300 Verstöße in einem Monat
gegen die werktägliche Arbeitszeit festgestellt", berichtete der Minister. Der
Firma droht nun ein Bußgeld in Höhe von 20.000 Euro. Für Fleischproduzenten, die
sich etwa mit Millionensummen bei Fußballbundesligavereinen engagieren könnten,
seien solche Summen "nicht gerade abschreckend", räumte der Minister ein. Die
größte Strafe sei aber nicht das Bußgeld, sondern der Imageschaden, wenn der
Missbrauch bekanntwerde, warnte der Minister.
Zunehmender Missbrauch bei Werkverträgen
Eine Ursache des Übels sieht der SPD-Politiker im zunehmenden
Missbrauch von Werkverträgen. Gemeinsam mit Niedersachsen und dem Saarland will
NRW im Bundesrat einen Gesetzentwurf vorlegen, der die Umgehung
arbeitsrechtlicher Verpflichtungen ausschließen soll.
"Es gibt Betriebe, die ihre Produktion zu über 90 Prozent durch
Werkvertragsmitarbeiter durchführen lassen", berichtete Schneider. Nur
Vorarbeiter und Verwaltungspersonal seien noch fest angestellt. "Die
Betriebsstrukturen werden quasi aufgelöst." Dies könne man durch Quoten
begrenzen.
In einigen Betrieben seien bis zu 15 Werksvertragsunternehmen
gleichzeitig tätig. So komme es zu undurchsichtigen Subunternehmer-Ketten.
"Manche Beschäftigte wissen nicht mehr, wer ihr Arbeitgeber ist."
Haarsträubende Bedingungen bei Fleischzerlegung
Die Kontrolleure trafen in den Fleischzerlegungsbetrieben auf
haarsträubende Bedingungen: Beschäftigte, die am Fließband mit extrem scharfen
Messern und dünnen Klingen stundenlang Fleischstücke zerschneiden, arbeiteten
gefährlich nah nebeneinander. Anleitungen in der eigenen Sprache gab es nicht.
Fehlanzeige auch bei der arbeitsmedizinischen Vorsorge. Wer durch Unfall oder
Krankheit ausfällt, fliegt.
Weil sie das noch so geringe Entgelt dringend brauchen, wagen die
Betroffenen aber keine offene Beschwerde. Deswegen können Subunternehmer häufig
ungestraft dreiste Ausflüchte vorbringen. Schneider schilderte Beispiele: "Zwar
seien Beschäftigte mehr als 13 Stunden auf dem Werksgelände gewesen, hätten aber
nur acht Stunden gearbeitet." Entlassungen nach Krankheit wurden mit
auslaufenden Befristungen oder mangelnder Leistung gerechtfertigt. "Das sind
frühkapitalistische Bedingungen", sagte Schneider.
Grünen-Fraktionschef spricht von "moderner Sklaverei"
Betroffene können sich auch anonym an eine Beschwerdestelle im
Düsseldorfer Arbeitsministerium wenden. Unter der Telefonnummer 0211/8553311
würden alle Anliegen unabhängig von der Branche so schnell wie möglich und
diskret bearbeitet, versicherte Schneider.
Grünen-Fraktionschef Reiner Priggen nannte die Arbeitsbedingungen in
den Fleischfabriken "moderne Sklaverei". Vor allem auf den Schlachthöfen hätten
sich "Parallelarbeitswelten" mit überzogenen Arbeitszeiten und Unterbezahlung
entwickelt, kritisierte er in einer Mitteilung. Notfalls müssten Löhne und
Wohnverhältnisse der Beschäftigten kontrolliert werden. (dpa)