Berlin. Die schlechte Arbeitsmarktsituation in den europäischen Krisenstaaten lockt immer mehr Zuwanderer nach Deutschland. Mehr als eine Million Menschen verlegten 2012 ihren Wohnsitz in die Bundesrepublik - ähnlich viele waren es zuletzt 1995.
Die Wirtschaftskrise in Europa macht Deutschland für Zuwanderer so attraktiv wie seit fast 20 Jahren nicht. Im vergangenen Jahr zogen 369.000 Menschen mehr nach Deutschland als fortgingen. Das sei der höchste Wert seit 1995, teilte das Statistische Bundesamt am Dienstag mit. Besonders deutlich stieg die Zuwanderung aus den Euro-Krisenstaaten Griechenland, Italien, Portugal und Spanien: Unter dem Strich kamen aus diesen Ländern 68.300 nichtdeutsche Zuwanderer oder über 80 Prozent mehr als 2011. "Es gibt eine Umlenkung in Europa weg von den traditionellen Zuwanderungsmagneten, die jetzt in der Wirtschaftskrise sind", sagte der Zuwanderungsexperte Herbert Brücker zu Reuters.
Deutschland verzeichnet erst seit 2010 wieder einen Überschuss zwischen Zu- und Fortzügen. Insgesamt zogen 2012 nach den vorläufigen Zahlen 1,081 Millionen Ausländer und Deutsche nach Deutschland, 712.000 Menschen verließen das Land. Arbeitsmarktexperten bewerten dies positiv: Zuwanderung trägt neben steigender Erwerbstätigkeit von Frauen und Älteren dazu bei, die Auswirkungen des Bevölkerungsschwundes auf das Arbeitskräftepotenzial zu verringern.
Statistik gibt keinen Beleg für Armuts-Migration
Ob die Einwanderer erwerbstätig sind, ergibt sich aus der Statistik nicht. Daten der Bundesagentur für Arbeit (BA) zeigen aber, dass auch die Beschäftigung von Arbeitnehmern aus den zehn EU-Beitrittsstaaten der Jahre 2004 und 2007 wie auch aus den Euro-Krisenstaaten Griechenland, Italien, Portugal und Spanien (GIPS-Staaten) deutlich gestiegen ist. Für die vom Städtetag beklagte Armutszuwanderung vor allem aus Bulgarien und Rumänien sieht der Wissenschaftler Brücker bundesweit kaum Belege. Die Sozialhilfequote für Bulgaren und Rumänen sei geringer als für die Ausländer in Deutschland insgesamt.
Unter dem Strich stieg die Zuwanderung nach Deutschland im vergangenen Jahr um 32 Prozent. Nimmt man nur die nichtdeutschen Zuwanderer, kamen 387.000 mehr Menschen als fortzogen. Davon kamen 306.900 aus Europa. Die zehn EU-Beitrittsstaaten wie Polen steuerten im Saldo rund 186.000 Zuwanderer bei, davon wiederum Rumänien und Bulgarien rund 70.700. Hinzu kamen die GIPS-Staaten: Deren Saldo von 68.300 Zugewanderten entspricht einer Zunahme um 30.900 oder 83 Prozent im Vergleich zu 2011.
Die meisten Zuwanderer aus Polen, Rumänien, Ungarn und Bulgarien
Die Zuwachsraten im Saldo sind deutlich höher als die Zunahmen bei den Zuzügen, weil der Anstieg der Wegzüge geringer ausfiel. So zogen aus Spanien 9000 oder 45 Prozent mehr Menschen nach Deutschland. Da die Zahl der Fortzüge aus Deutschland nach Spanien aber nur um 20 Prozent zulegte, stieg im Saldo die Zuwanderung aus Spanien um 65 Prozent auf 18.800 Einwanderer. Ein ähnliches Bild zeigt sich für Griechenland, das wie Spanien eine Arbeitslosenquote von über 50 Prozent hat.
Die meisten ausländischen Zuwanderer im Saldo kamen 2012 aus Polen (68.100), Rumänien (45.700), Ungarn (26.200) und Bulgarien (25.000). Die Zahl der Zuwanderer aus Italien stieg um 120 Prozent auf unter dem Strich 21.300.
Rund 300 000 Zuwanderern jährlich könnten den demografisch bedingten Rückgang an Arbeitskräften in Deutschland fast aufhalten, bei 400 000 Zuwanderern pro Jahr sinke die Zahl der Fachkräfte kaum noch, sagt Johann Fuchs vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) der Bundesagentur für Arbeit in Nürnberg.
Die FDP wertete die Rekordeinwanderungszahlen als "erstklassige Nachrichten". Deutschland brauche aber über den binneneuropäischen Arbeitsmarkt hinaus "eine echte Willkommenskultur, um Talente aus der ganzen Welt konkret einzuladen und aktiv anzuwerben", sagte FDP-Politiker Johannes Vogel. Das Einwanderungsrecht müsse weiter modernisiert werden. (rtr)