Mainz. . Geht es nach Carsten Kühl, dann berechnen die Deutschen ihre Steuern demnächst selbst und überweisen sie dann ans Finanzamt. Carsten Kühl (SPD) ist Finanzminister in Rheinland-Pfalz. Er wünscht sich die Finanzämter als reine Kontrollinstanz. Hat sein Vorschlag Chancen? Fragen und Antworten zum Thema.

Steuerzahler sollen zukünftig ihre Steuern selbst berechnen und an das Finanzamt überweisen. Dort wird nur noch kontrolliert. Diesen Vorschlag machte jetzt Carsten Kühl (SPD), Finanzminister des Landes Rheinland-Pfalz. Hat dieser Vorschlag Chancen?

Wer ist Carsten Kühl?

Carsten Kühl ist zwar „nur“ Finanzminister eines relativ kleinen Bundeslandes, doch spricht er auch für die Landesfinanzminister der SPD regierten Bundesländer – und das sind ja zuletzt immer mehr.

Was schlägt er jetzt vor?

Das Zauberwort heißt: Selbstveranlagung. Es bedeutet, dass jeder seine Steuer selbst ausrechnet und den Bescheid auch selbst erstellt. Die Finanzämter sollen dann prüfen, ob die Bürger etwas falsch gemacht haben – versehentlich oder absichtlich.

Was soll das bringen?

Die gut ausgebildeten Finanzbeamten sollen ihre Arbeitszeit nicht damit vergeuden, Daten abzutippen, sondern stattdessen lieber fertige Bescheide überprüfen oder vor Ort kontrollieren.

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Damit soll der Druck auf diejenigen, die bei der Steuererklärung schummeln und unentdeckt bleiben, steigen. Kühl verweist darauf, dass durch die demografische Entwicklung die Zahl der Finanzbeamten sinken wird und die verbleibenden Mitarbeiter des Fiskus immer weniger Zeit für ihre Kernaufgaben hätten.

Wie wird derzeit kontrolliert?

Einfach ausgedrückt: Je höher das Einkommen, desto genauer wird hingesehen. Dahinter steckt nicht die Annahme, dass die Großverdiener mehr betrügen, sondern, dass eine falsche Angabe den Fiskus bei einem hohen Steuersatz mehr kostet als bei einem niedrigen. Zudem gibt es Grenzen, bei denen automatisch genauer hingesehen wird, etwa bei sehr hohen Fahrtkosten, Betriebsausgaben, Reisekosten, Rürup-Renten oder sehr hohen Ausgaben für vermietete Immobilien. Jede Oberfinanzdirektion setzt sich da eigene Schwerpunkte, die häufiger wechseln. Doch die Quote der Intensivprüfungen liegt deutlich unter zehn Prozent.

Steht Minister Kühl mit seinem Vorschlag allein da?

Nein, der Vorschlag ist vielmehr Jahre alt. Prof. Roman Seer von der Ruhr-Universität Bochum fordert seit langem die Selbstveranlagung. Er ist Beirat der Deutschen Steuerjuristischen Gesellschaft und war mehrere Jahre ihr Vorsitzender.

Was sagt der Wissenschaftler?

Seer steht Kühls Vorschlag grundsätzlich positiv gegenüber und bescheinigt ihm auch Fachkompetenz. Er geht aber davon aus, dass im ersten Schritt Unternehmen zur Selbstveranlagung verpflichtet werden.

Dafür spräche, dass bereits heute so gut wie kein Unternehmen ohne steuerliche Beratung auskäme und deswegen gut aufbereitete Daten zur Verfügung stünden.

Und die Bürger?

Für den einfachen Steuerzahler erhofft sich Seer in einigen Jahren ein elektronisches Steuerkonto, vergleichbar mit dem Online-Banking, wie es bei Banken und Sparkassen üblich ist.

Wie soll das funktionieren?

Der Steuerpflichtige gibt seine Daten entweder selbst ein – so wie beim Steuerprogramm „Elster“ bereits heute – und lässt dann vom Programm seine Steuer ausrechnen. Auch dies können die Programme bereits heute. Oder er geht zur Lohnsteuerhilfe beziehungsweise einem Steuerberater. Die Steuern werden zeitnah gezahlt oder zurückgefordert. Der Staat würde nämlich weiterhin bei der Lohnsteuer sofort zugreifen.

Gibt es so etwas woanders schon?

In Deutschland etwa bei der Umsatzsteuer. Außerdem in anderen Ländern, wie den USA und Großbritannien. Die USA haben weniger Finanzbeamte als die Deutschen bei einer weit höheren Zahl an Steuerpflichtigen.

Liegt das am deutschen Steuerrecht

Da sagt Prof. Seer ganz klar „Nein“. Das deutsche Steuerrecht sei im Vergleich zu anderen wirtschaftlich entwickelten Ländern nicht einfach, aber es sei im Vergleich auch nicht übertrieben komplex, auch wenn er sich eine Vereinfachung wünscht.

Was sagen die Praktiker?

Der Vorsitzende der Deutschen Steuergewerkschaft (DStG) in NRW, Manfred Lehmann, hält den Vorschlag für verfehlt. Eine Selbstveranlagung habe seine Gewerkschaft bisher abgelehnt und sie bleibe dabei: Der Steuerpflichtige ist mit dem deutschen Steuerrecht überfordert. „Der normale Arbeitnehmer hat doch schon ein Problem, wenn er den korrekten Arbeitnehmeranteil der Krankenkasse eintragen soll“, sagt Lehmann im Gespräch mit der WR – und meint das nicht als Vorwurf an den Steuerzahler. Das deutsche Steuerrecht sei für Laien einfach nicht durchschaubar. Die Finanzbeamten müssten bei einer Selbstveranlagung in Folge viel mehr korrigieren. Der Steuerzahler liefe zudem Risiko, aus Unkenntnis zum Steuerbetrüger zu werden.

Was schlägt die DStG vor, um die Finanzämter zu entlasten?

Die sogenannte „vorausgefüllte Steuererklärung“. Dieses Projekt würde seit einiger Zeit vorbereitet und sei auch in wenigen Jahren einsetzbar. Dabei kann jeder Steuerpflichtige seine Steuererklärung im Internet aufrufen. Dort werden Daten der Sozialkassen oder aus Riesterverträgen schon vollautomatisch eingetragen. Ab diesem Jahr sollen die Daten bereits zusammengeführt werden. Der Steuerzahler muss aber weiterhin noch Werbungskosten und andere individuelle Zahlen eintragen.