Essen. Der Ankauf gestohlener Bankdaten aus der Schweiz hat zu einer Debatte über Steuerehrlichkeit geführt. Manfred Lehmann, Chef der Steuergewerkschaft in NRW, registriert ein neues Klima der Freundlichkeit. Ein Interview.
Der Ankauf gestohlener Schweizer Bankdaten CDs durch das Land Nordrhein-Westfalen hat bundesweit zu einer Debatte über Steuerehrlichkeit geführt. Der Chef der Steuergewerkschaft in Nordrhein-Westfalen, Manfred Lehmann, glaubt: Das hat das Klima zwischen Bürger und Finanzämtern nachhaltig entspannt.
Verschärft gerade ein härteres Vorgehen der Finanzbeamten und der Steuerfahnder das Klima?
Manfred Lehmann: Nein. Weder gehen sie verschärft vor noch ist das Klima schlechter geworden. Im Gegenteil. Die nach dem Kauf der Steuer-CD entstandene Gerechtigkeitsdebatte hat zur Entspannung geführt. Unsere Beamten werden freundlicher behandelt. Und unsere Kollegen helfen auch den Steuerbürgern, wenn jemand Fehler gemacht hat. Da hat sich auf beiden Seiten etwas positiv entwickelt. Man sieht sich gemeinsam in einem Solidarverbund.
Spricht nicht dagegen, dass der Bundesfinanzhof den Steuerbehörden Operationen in der rechtlichen Grauzone vorwirft und der Datenschutzbeauftragte vor einem Übermaß beim Kontenabruf warnt?
Lehmann: Nein. Vor allem im Bereich der Oberfinanzdirektion Münster gibt es die so genannten Flankenschutz-Einsätze, die der Bundesfinanzhof kritisiert. Beamte des Innendienstes und der Steuerfahndung kommen zusammen zum Hausbesuch, um zum Beispiel Angaben zu einem absetzbaren Arbeitszimmer zu überprüfen.
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Aber der Fahnder ist dort nicht in der Funktion des Fahnders, der normalerweise in einem Strafverfahren arbeitet. Er sagt, dass er im Auftrag des Finanzamtes mitkommt. Er darf auch nicht ohne Zustimmung eine Wohnung betreten.
Können überraschte Bürger das unterscheiden?
Lehmann: Die Idee hat sich so entwickelt, weil ein Fahnder im Außendienst vielleicht auch mehr Erfahrung mitbringt. Ich gebe aber zu, dass es nicht ganz einfach ist für die Bürger, das auseinanderzuhalten.
Wie weit ist dieser Auftritt im Doppelpack verbreitet?
Lehmann: Im Rheinland eher nicht. Dort helfen Fahnder den Finanzamts-Kollegen bei Fragen am Schreibtisch. Aber auch in den Regierungsbezirken Arnsberg und Münster, wo in den letzten Jahren solche gemeinsamen Hausbesuche öfter vorgekommen sind, wird der Flankenschutz heute nur auf Sparflamme genutzt. Das liegt auch daran, dass der Finanzamts-Innendienst so stark ausgedünnt ist, dass Hausbesuche weniger stattfinden.
Wie stark ist das Personal in den Finanzämtern geschrumpft?
Lehmann: Im Kölner Raum auf 85 Prozent der früheren Stärke. Im Ruhrgebiet etwa auf 90 Prozent. Die Ursache liegt darin, dass zwischen 1998 und 2008 so gut wie keine Leute eingestellt wurden und die Pensionierungswelle rollt. Nur Steuerfahndungen liegen personell bei 100 Prozent. Das ist politisch gewollt.
Ist dann überhaupt sichergestellt, dass auch den kleinen Steuersünden noch nachgegangen wird?
Lehmann: Menschen gucken in den Finanzämtern tatsächlich immer weniger in die Fälle. Aber seit fünf Jahren werden normale Steuerzahler in einem weitgehend automatisierten Verfahren überprüft.
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Der Computer sieht nach, ob eine Steuererklärung schlüssig ist. Erst wenn er Widersprüche entdeckt, gucken sich unsere Kollegen das an. Eine vollständige Fallbearbeitung können sich unsere Kollegen ohne IT-Unterstützung nicht mehr erlauben.
Wie entwickelt sich Steuerehrlichkeit?
Lehmann: Die kleinen Mogeleien gibt es wie früher. Umsatzsteuerbetrug lässt nach. Ich nehme an, dass das Volumen der Hinterziehung gleich geblieben ist. In großen Fällen ist es mehr geworden. Das macht den Kollegen bei der dünnen Personaldecke zu schaffen. Denn die Steuerhinterziehung hat sich professionalisiert. Wenn sich Leute aus dem Bereich der organisierten Kriminalität zusammentun und gegenseitig fingierte Rechnungen schreiben, dann muss die Steuerfahndung schon mit 20-köpfigen Ermittlungstrupps vorgehen und mit Telefonüberwachung, um vor Gericht den Nachweis zu bringen.
Das Land will die Oberfinanzdirektionen Rheinland und Westfalen zusammenlegen.
Lehmann: Das ist nicht nachvollziehbar. Es erschwert die Chance der Finanzämter, zum Beispiel in Rechtsfragen Fachantworten einzuholen.