Essen. . Die im Sommer in NRW eingeführte Umlage für alle Pflegebetriebe hat für 2200 zusätzliche Ausbildungsstellen gesorgt, sorgt aber auch für bis zu 14 Prozent höhere Tarife. Die Folge: Pflegebedürftige bestellen Leistungen ab, weil sie sie nicht mehr bezahlen können.
Die Pflegedienste und Altenheime haben ein veritables Nachwuchsproblem. Aktuell sind in NRW rund 2100 Stellen frei, und es dauert immer länger, sie zu besetzen, aktuell 135 Tage – die Anbieter suchen einen ganzen Monat länger nach einer Fachkraft als noch vor einem Jahr. Das ist verbunden mit Überstunden für das knappe Personal sicher nicht förderlich für die Qualität der Pflege.
Die Landesregierung steuert seit vergangenen Sommer gegen – mit einer Ausbildungsumlage, die sämtliche Pflegeanbieter zahlen müssen. Sie wirkt – 2200 zusätzliche Ausbildungsstellen meldet das Gesundheitsministerium NRW für 2012. Unangenehme Nebenwirkung: die ambulante Pflege wird dadurch teurer. Die Patienten zahlen bis zu 14 Prozent mehr.
2,18 pro Tag und Heimbewohner
Während früher die Ausbildung nur von denen finanziert wurde, die auch ausbildeten, müssen nun alle die Umlage zahlen – ob sie ausbilden oder nicht. Heime zahlen 2,18 Euro pro Tag und Bewohner. Ambulante Dienste zahlen eine Umlage, die abhängig ist von der Höhe der Leistungen des Patienten. Das Geld wird gesammelt und an die Betriebe ausgezahlt, die ausbilden.
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Die Anbieter schlagen die Umlage in der Regel voll auf die Preise um. Das hat sehr unterschiedliche Auswirkungen für die alten Menschen. Wer viel ausbildet, erhält mehr Geld aus der Umlage als er zahlt. Wer wenig oder gar nicht ausbildet, zahlt drauf. Weil bisher fast nur die Heime ausbilden, wird es für sie meist sogar günstiger. „Die Heime haben vorher zwischen 80 Cent und fünf Euro pro Tag für ihre Azubis auf die Patienten auf den Pflegesatz umgelegt, die meisten aber weniger als 2,18 Euro. In vielen Häusern ist der Pflegesatz gesunken, in manchen gestiegen“, sagt Erik Lanzrath, Pflege-Finanzexperte der Caritas.
Ambulante Pflegedienste bildeten bislang kaum aus
Die ambulanten Dienste haben dagegen bisher kaum ausgebildet. Denn Azubis, die zu Hausbesuchen mitfahren, können nicht so viel helfen wie im Heimbetrieb. Sie mussten nun ihre Preise erhöhen. Von Aufschlägen zwischen fünf und sechs Prozent spricht die Caritas. Sechs bis sieben Prozent nennt der Landesverband freie ambulante Pflegedienste (LfK). Weil der Zuschuss der Pflegekasse gleich bleibt, zahlen die Betroffenen den Aufschlag allein, für sie beträgt die Erhöhung demnach 10 bis 14 Prozent.
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Gesundheits- und Pflegeministerin Barbara Steffens (Grüne) verteidigt ihr Modell. „Es ist gerecht, dass die Kosten gleichmäßig auf alle verteilt werden“, sagte sie dieser Zeitung. Dass dies auch Patienten treffe, sei nicht zu verhindern. „Es zahlen aber nur die Patienten mehr, deren Pflegedienste bisher nicht oder nur in sehr geringem Maße ausgebildet haben.“
Lieber wäre es Steffens allerdings, auch die Pflegekassen würden sich an der Ausbildung beteiligen. „Forderungen von NRW an den Bund, dies zu ändern, wurden bisher abgelehnt“, sagt die Ministerin. So werde die Ausbildung der so dringend benötigten neuen Pflegekräfte ausschließlich von den Betroffenen gezahlt und vom Land, das die schulischen Ausbildungskosten übernimmt.
Verband spricht von "grandiosem Erfolg"
Steffens betont, durch die Umlage sei die Zahl der Pflege-Azubis 2012 um mehr als 20 Prozent gestiegen. Das reiche noch nicht aus, um den Fachkräftemangel zu beheben, sei aber „ein erster großer Erfolg gegen den drohenden Pflegenotstand“. Das unterstreichen auch Diakonie, Caritas und die freien Anbieter. Deren Verband, der rund 700 vorwiegend kleine Pflegedienste vertritt, spricht von einem „grandiosen Erfolg“, obwohl die ambulanten Dienste rein finanziell die Verlierer der Umlage sind.
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Allerdings gebe es eine unerwünschte Folge der Umlage, die nicht im Sinne einer guten Pflege sei, sagt LfK-Geschäftsführer Christoph Treiß. Eine aktuelle Umfrage unter den Diensten habe ergeben, dass fast jeder dritte der von einer Preissteigerung Betroffenen der Pflegestufe 1 daraufhin Leistungen abbestellt habe. Und zwar im Schnitt um zehn Prozent, was in etwa der Preiserhöhung entspricht.
Menschen sparen an eigener Pflege
Die Patienten lassen sich also weniger pflegen, damit es nicht teurer wird. Das kostet die ambulanten Dienste Umsatz und hat den unerwünschten sozialen Effekt, dass an der Pflege gespart wird, wo den Leuten das Geld fehlt. Treiß sieht hier eine „Ungleichbehandlung im Vergleich zur stationären Pflege“. Denn alle Heimbewohner zahlen die gleiche Umlage von 2,18 Euro pro Tag, während ambulante Patienten mehr Umlage zahlen, wenn sie mehr Leistungen erhalten.
Dass Menschen offenbar an ihrer eigenen Pflege sparen, zeige, wie wichtig es sei, dass sich die Pflegeversicherung an den Ausbildungskosten beteilige, so Ministerin Steffens. Sie betont aber, Sozialhilfeempfänger müssten keine Mehrkosten befürchten.