Berlin. Der Vorstandsvorsitzende des größten deutschen Energieunternehmens Eon, Johannes Teyssen, sieht vorerst wenig Chancen für die umstrittene Gasförderung aus tiefen Schichten. “Für größere Feldversuche sehe ich derzeit noch keine Bereitschaft“, sagte Teyssen. “Aber wir können nicht vor jeder neuen Technik kategorisch zurückschrecken.“
Eon-Chef Johannes Teyssen sieht die deutsche Energiewende wegen der zunehmenden Kohleverstromung auf einer wenig klimafreundlichen Spur. Im Interview mit der Deutschen Presse-Agentur droht er mit der Schließung eigener Gaskraftwerke und erläutert die Auswirkungen des Fracking-Booms in den USA. Für Deutschland sieht der Vorstandsvorsitzende des größten deutschen Energieunternehmens bei dieser Gas-Förderung aus tiefen Schichten auf absehbare Zeit nur wenig Potenzial.
Minister Altmaier musste gerade trotz mehr Ökostroms einen steigenden CO2-Ausstoß vermelden. Handelt es sich derzeit angesichts der zunehmenden Kohleverbrennung überhaupt um eine Energiewende?
Teyssen: "Es ist noch nicht richtig geklärt, was wir eigentlich meinen mit Energiewende. Wenn Sie die Bürger auf der Straße fragen, sagen viele: Es geht doch um das Ende der Kernenergie. Andere sagen, es geht um die Dekarbonisierung, also möglichst wenig CO2 im System. Aus meiner Sicht brauchen wir klare Ziele, bevor wir uns über die verschiedenen Wege dorthin streiten. Dazu gehören auch ehrgeizige Klimaschutzziele - und zwar ehrgeizigere als bislang. Denn sonst würde auch bei weiter wachsendem Anteil der Erneuerbaren Energien der größte Teil unserer Energieversorgung weiter schmutziger werden."
Ohne eine Reform des EU-Emissionshandels mit Verschmutzungsrechten haben gerade Sie mit ihren vielen Gaskraftwerken ein Problem, während RWE mit vielen Kohlekraftwerken gut dasteht. Wenn der CO2-Preis für Ausstoßrechte so niedrig bleibt und die Kohleverstromung damit lukrativ, was passiert dann?
Teyssen: "Die meisten deutschen Gaskraftwerke, die nicht auch Wärme produzieren, sind von der Schließung bedroht. Dabei werden gerade Gaskraftwerke dringend gebraucht, um die Stabilität der Stromversorgung sicherzustellen. Das Problem ihrer mangelnden Wirtschaftlichkeit ist nicht nur eine Frage der Betriebsstunden, sondern vor allem der Marge, die man pro Stunde erwirtschaften kann."
Da sieht es wohl schlecht aus, weil Wind- und Solarenergie und eben Kohle die Gaskraftwerke vom Markt drängen, oder?
Teyssen: "Im Augenblick sind die Margen überwiegend negativ. Eine negative Marge können sie mit beliebig viel oder wenig Betriebsstunden multiplizieren, das Ergebnis bleibt immer schlecht. Darüber hinaus geht die Zahl der Betriebsstunden deutlich zurück. Unsere Kraftwerke in Irsching bei Ingolstadt laufen statt früher 4000 bis 5000 Stunden aktuell zwischen 1000 und 2000 Stunden pro Jahr. Und dabei sprechen wir über die modernste und effizienteste Anlage in Deutschland mit einem Wirkungsgrad von mehr als 60 Prozent."
Was passiert, wenn es so weiter geht?
Teyssen: "Für uns ist klar: Wenn die Wirtschaftlichkeit der Kraftwerke nicht wiederhergestellt wird, müssen wir sie außer Betrieb nehmen. Deshalb ist jetzt die Politik dringend gefordert."
Was kann der Staat denn tun, damit Eon das Kraftwerk nicht auseinanderschraubt und woanders wieder aufbaut?
Teyssen: "Es geht nicht um eine bestimmte Summe pro Betriebsstunde, sondern darum, dass diese Kraftwerke für einige Jahre als strategische Reserve dem Netzbetreiber zur Verfügung gestellt werden und wir dafür einen fairen Ausgleich erhalten. Die Kraftwerke würden dann nicht mehr am Markt teilnehmen, aber weiter Rückgrat der Stromversorgung bleiben."
Die Bundesregierung will nur unter strengen Auflagen die neuartige Gasförderung aus tiefen Gesteinsschichten in Deutschland zulassen. Ein Fehler mit Blick auf die klimaschädlichere Kohle-Renaissance?
Teyssen: "Die Fracking-Technik ist nicht neu in Deutschland, sie wurde bisher schon vereinzelt genutzt. Für größere Feldversuche sehe ich aber derzeit noch keine Bereitschaft. Wie schon in der Vergangenheit bei solchen Projekten sollten wir daher zunächst vorsichtig weitere Erfahrungen sammeln und die Technik weiterentwickeln."
Hat so eine Risikotechnologie nach dem Widerstand gegen Atomkraft und CO2-Speicherung überhaupt eine Chance in Deutschland?
Teyssen: "Ein gewisses Risiko besteht. Aber wir können nicht vor jeder neuen Technik kategorisch zurückschrecken. Wenn der Nachweis gelingt, dass die eingesetzten Chemikalien beherrschbar sind, dann kann Fracking auch in Deutschland eine Perspektive haben. Dafür bedarf es aber eines langen Atems."
Wie verändert sich der Energiemarkt durch die Fracking-Revolution in den USA?
Teyssen: "Kurzfristig durch den Effekt, dass die USA nicht mehr so viel Kohle verbrennen, sondern stattdessen zunehmend eigenes Gas. Die ursprünglich für die USA bestimmte Kohle wird verstärkt nach Europa verkauft, und das wachsende Angebot führt zu tendenziell niedrigeren Kohlepreisen. Auch deshalb haben Kohlekraftwerke wirtschaftliche Vorteile gegenüber Gaskraftwerken. Und der europäische Emissionshandel, der besonders effizienten Kraftwerken einen Vorteil verschaffen sollte, liegt derzeit völlig am Boden. Das ist gerade mit Blick auf den Klimaschutz ein eher unbefriedigendes Phänomen."
Wenn die Amerikaner "Selbstversorger" werden, was bedeutet das für unsere Versorgungssicherheit?
Teyssen: "Für Europa als Kontinent mit der höchsten Energieimportdichte werden die Risiken steigen. Beispielsweise wird die Straße von Hormus bislang von den USA geschützt, sie könnte für die Amerikaner aber an Bedeutung verlieren. Damit kann es riskanter werden, von Öl- und Gastransporten durch geopolitisch schwierige Gebiete abhängig zu sein. Deshalb brauchen wir in Europa mehr Unabhängigkeit von den großen interkontinentalen Handelswegen."
Diese Entwicklungen spielen in der deutschen Debatte derzeit eine eher untergeordnete Rolle, hier geht es vor allem um die Kosten. Was halten Sie von Umweltminister Altmaiers Strompreisbremse?
Teyssen: "Das politische Signal der Bundesregierung ist ein wichtiger und richtiger Aufschlag für eine dringend zu führende Diskussion. Es muss uns gelingen, die Kosten für den Umbau der Energieversorgung auf das absolut Notwendige zu begrenzen. Strom muss bezahlbar bleiben - für die Wirtschaft genauso wie für die privaten Kunden. Über die Details der Vorschläge lässt sich sicher streiten, aber nicht über das Ziel. Die Grenzen der Belastbarkeit vor allem für den Mittelstand und die Haushalte sind in Sicht."