Essen. Zwei Jahre lang trugen die Wirtschaftsförderer mühsam Daten zusammen. Jetzt steht schwarz auf weiß fest: Dem Ruhrgebiet gehen die Gewerbeflächen aus. Spätestens in acht Jahren wird es keine Neuansiedlungs- und Expansions-Areale mehr geben. Der Ruf nach Abbau von Restriktionen wird laut.
Als erste Wirtschaftsmetropole Deutschlands haben die 53 Ruhrgebietskommunen eine Bestandsaufnahme ihrer verfügbaren Gewerbeflächen vorgenommen. Die Bilanz ist ernüchternd: Wenn nicht rasch zusätzliche Gebiete ausgewiesen werden, sind die Reserven für Betriebserweiterungen und -neuansiedlungen spätestens in acht Jahren erschöpft.
Die Großstädte drückt der Gewerbeflächenmangel schon jetzt: So muss der Bio-Lieferservice „Flotte Karotte“ Essen den Rücken kehren, weil er im Süden der Stadt kein geeignetes Baugrundstück findet. Der 28-Mitarbeiter-Betrieb weicht nach Bochum aus. Dort kämpfte der Mittelständler Roland Lohsträter zwei Jahre gemeinsam mit der Bochumer Wirtschaftsförderung für die Umwidmung eines firmeneigenen Grundstücks von landwirtschaftlicher in gewerbliche Nutzung. Ohne Erfolg. Die Dämmstoff-Fabrik Philippine baut nun neu – in Castrop-Rauxel.
„Untergenutzte Flächen mobilisieren“
Immerhin bleiben beide expandierende Unternehmen dem Ruhrgebiet treu. Die Überwindung der Stadtgrenzen ist auch das Ziel, das Thomas Westphal, Geschäftsführer der Wirtschaftsförderung Metropole Ruhr GmbH mit seinem gestern vorgelegten Marktbericht „Gewerbliches Flächenmanagement Ruhr“ erreichen will: „Jetzt gibt es keine Ausreden mehr. Wir müssen untergenutzte Flächen mobilisieren. Voraussetzung dafür ist, dass alle Akteure – Kommunen, Grundstückseigentümer, Regionalplanung, das Land NRW – weiterhin eine große Mitwirkungsbereitschaft zeigen.“
Zwischen Wesel und Hamm sowie Haltern und Velbert gibt es zwar ein Potenzial von 2721 Hektar, die für Ansiedlung von Gewerbe und Industrie geeignet sind. 43 Prozent dieser Flächen sind aber nicht unmittelbar nutzbar, weil sie mit Altlasten verseucht sind, weil Infrastruktur fehlt oder der jetzige Eigentümer nicht verkaufen will. Besonders rar sind Flächen, die zehn Hektar und größer sind. Allein die 40 größten Neuansiedlungen im Ruhrgebiet zwischen 2005 und 2010 haben 370 Hektar in Anspruch genommen. Darin sehen die Wirtschaftsförderer einen Beleg dafür, dass große Areale nachgefragt sind.
Restriktionen abbauen
Der politische Druck ist unbestritten: „Es gibt Anlass zur Sorge, dass es zu einem Gewerbeflächen-Engpass kommt“, sagte Günther Horzetzky, Staatssekretär im NRW-Wirtschaftsministerium. Auch Martin Tönnes vom Regionalverband Ruhr, der gerade den ersten Regionalplan für das Ruhrgebiet aufstellt, sieht „Handlungsbedarf“. Er forderte alle 53 Kommunen auf, als „Gesamtregion“ der Flächennot zu begegnen.
Chefwirtschaftsförderer Thomas Westphal gibt den Verantwortlichen eine Reihe von Werkzeugen an die Hand, die genutzt werden könnten, um 1577 Hektar Gewerbeflächen zusätzlich an den Markt zu bringen, ohne die „grünen Wiesen“ anzutasten. Dazu gehören der Abbau von Restriktionen, welche die Entwicklung eines Areals behindern, sowie ein regional organisierter Flächentausch.