Essen. Eine Million Elektroautos sollen nach dem Willen von Bundeskanzlerin Angela Merkel bis 2020 auf deutschen Straßen unterwegs sein. Ein ambitioniertes Vorhaben: Bis heute ist das Netz an Stromtankstellen noch so dünn, dass fast jede Fahrt mit einem batteriegespeisten Elektroauto zu einem Abenteuer wird. Ein Erfahrungsbericht.
Elektroautos sind eine feine Sache. Sie sind leise, stoßen keine Abgase aus und sorgen auch sonst für ein reines Gewissen, vorausgesetzt, man „tankt“ Ökostrom. Wenn da nicht die geringe Reichweite, die langen Ladezeiten und vor allem der hohe Kaufpreis wären. Wer sich trotzdem darauf einlässt, der kann was erleben. Ein Erfahrungsbericht.
Die Angst vor dem leeren Akku, sie fährt ständig mit. Gebannt starren wir auf die bunt blinkende Bordanzeige unseres Nissan Leaf und zuckeln mit konstant 105 Kilometern pro Stunde über die A43 Richtung Münster. 95 Kilometer sind es von Essen aus, 130 Kilometer zeigte der Reichweitenmesser an, als wir losfuhren. Doch kurz vor der Ausfahrt Senden kommen Zweifel, ob der Saft noch reicht. Bloß nicht zu viel Gas geben, das quittiert die Anzeige mit noch weniger Restkilometern. Als wir die Stadtgrenze passieren, sind noch etwa 20 Kilometer übrig. Geschafft, das sollte bis zur nächsten Stromtanke reichen.
Vorbereitung ist das halbe Elektrofahrer-Leben
Im Mai 2010 hatte Kanzlerin Merkel die Autobosse zum Elektromobilitätsgipfel geladen. Und sie kamen zahlreich, machten aber auch klar, dass eine Elektroauto-Offensive nicht so einfach machbar sei, schon gar nicht ohne Kaufanreize für die Kunden. Angela Merkel ließ sich dadurch nicht beirren, formulierte Ziele. Eine Million E-Autos sollten bis 2020 auf deutschen Straßen unterwegs sein. Ambitioniert – das Kraftfahrtbundesamt zählt damals gerade einmal 5000 reine Elektroautos ohne zusätzlichen Verbrennungsmotor.
Vorbereitung ist das halbe Elektrofahrer-Leben: Vor dem Start haben wir im Netz nachgeschaut, ob sich eine Strom-Tankstelle in der Nähe unseres Ziels befindet. Keine 200 Meter entfernt soll eine RWE-Säule stehen, auf dem Gelände einer Westfalen-Tankstelle. Tut sie auch – nur funktioniert sie leider nicht. Das Personal schüttelt den Kopf: „Mit der Säule haben wir nichts zu tun, wir haben auch keine Einweisung bekommen.“ – „Aber da steht doch auch der Name Ihrer Tankstellenkette drauf?“ Erneutes Kopfschütteln: „Die wurde hier einfach nur aufgestellt.“
Deutsche Autobauer tun sich schwer mit serienreifen E-Autos
Die deutschen Autobauer tun sich noch schwer mit serienreifen Elektro-Pkw. In den vier Vorzeigeregionen für Elektromobilität droht deshalb Stillstand. Bayern und Niedersachsen weigern sich nach Aussage des Bundesverbandes eMobilität, E-Mobile aus ausländischer Produktion zu bestellen, Berlin und Baden-Württemberg nicht. Unser japanischer Nissan hätte dort also gute Karten.
Das Kabel an der Säule in Münster passt zwar, aber es fließt kein Strom. Zum Glück ist dort wenigstens eine Hotline-Nummer genannt. Der Mitarbeiter ist sehr freundlich, versucht zu helfen, findet die Stromquelle aber leider nicht in seinem Computersystem. „Ich kann Ihnen nur anbieten, Sie zur nächsten Säule zu lotsen“, sagt der RWE-Mann. „Doch die ist etwa 7,5 Kilometer entfernt.“ Müsste aber noch passen, immerhin haben wir noch für rund 16 Kilometer Saft.
RWE hat 650 Stromtankstellen in Deutschland
Deutschlands zweitgrößter Energieriese hat bereits Millionen in den Aufbau eines eigenen Versorgungsnetzes gesteckt. Allein in Deutschland zählt der Essener RWE-Konzern 650 Stromtankstellen mit in der Regel zwei Anschlüssen. RWE stellt nicht nur „Tanken“ auf, sondern besorgt, wenn gewünscht, auch das Management. Der Konzern betreibt nach eigenen Angaben „zurzeit für 44 Stadtwerke und Energieversorger öffentliche Ladepunkte in Deutschland“. Dazu gehören auch DEW in Dortmund, EVO in Oberhausen oder ELE in Gelsenkirchen.
Wir haben uns verfahren, trotz Navi die Tankstelle nicht sofort gefunden, an der die nächste Stromsäule stehen soll. Es ist 21.30 Uhr, als wir endlich ankommen, zwei Stunden seit unserer Ankunft bei Säule Nummer eins. Im Cockpit flimmert eine rote Warnleuchte, die Frau im Navi weist mit sanfter Stimme darauf hin, dass wir schleunigst eine Stromquelle auftun sollten. Wir buchen zwölf Stunden Ladezeit, so hat es Nissans 37 000 Euro teures „Blatt“, das bedeutet „Leaf“ auf deutsch, errechnet.
Sechseinhalb Stunden Ladezeit haben ausgereicht
Erst kürzlich bat Kanzlerin Merkel erneut zum Elektrogipfel nach Berlin – und war deutlich zurückhaltender als noch vor zwei Jahren: Die Elektrifizierung des Autoverkehrs in Deutschland werde so einfach nicht machbar sein.
Am nächsten Morgen zur Tanke zurückgekehrt, ist der Nissan voll geladen. 6,5 Stunden hat das gedauert. Die vorher gebuchten zwölf Stunden wären nur nötig gewesen, wenn er an einer normalen Haussteckdose gehangen hätte. 160 Kilometer Reichweite zeigt das „Blatt“ beim Einsteigen an. Zwei Ampeln später sind es nur noch 130. Fahren wir wieder nur 105 „Sachen“, sollte das aber bis Essen reichen . . .