Essen. . Der Essener Konzern sagt seinen Börsengang ab. Das Kuratorium des Mehrheitseigners RAG-Stiftung zog die Reißleine wegen des schlechten Marktumfeldes. Frühestens in einem Jahr soll ein neuer Versuch unternommen werden.
Der Börsengang des Evonik-Konzerns ist gescheitert, zum zweiten Mal. Das war absehbar, als die Euro-Krise nach Griechenland auch Spanien mit Macht einholte. Die Investoren wollten nicht das für Evonik bezahlen, was sich die Gesellschafter RAG-Stiftung und CVC vorstellten.
Kaum zwölf Milliarden Euro für den Gesamtkonzern wären es geworden, wenn überhaupt. Drei Milliarden mehr hatten die Gesellschafter im Sinn. Montag also tagte das politisch besetzte Kuratorium der Stiftung und zog die Reißleine. Nach dem Börsengang interruptus 2009 nun zum zweiten Mal, allerdings deutlich kürzer vor Vollendung.
Investitionen von sechs Milliarden Euro
Und nun? „Die RAG-Stiftung wird sich zügig mit dem Partner CVC zusammensetzen und über die weitere Strategie beraten“, sagte Stiftungschef Wilhelm Bonse-Geuking dieser Zeitung. Klar sei aber, dass ein Börsengang für „mindestens ein Jahr“ vom Tisch ist. Der Finanzinvestor CVC teilte mit, ein Börsengang zu einem späteren Zeitpunkt sei nach wie vor erklärtes Ziel. CVC, der seinen 25,01-Prozent-Anteil im Paket veräußern oder ab 2013 auch im Alleingang Aktien abgeben könnte, ließ beide Möglichkeiten unkommentiert.
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Evonik-Chef Klaus Engel bezeichnete den Stopp des Börsengangs als nachvollziehbar: „Evonik ist zu wertvoll, um sie kurzfristig und zu jedem Preis herzugeben“, heißt es in einem Schreiben an die Mitarbeiter, das der WAZ Mediengruppe vorliegt. Die unternehmerische Entwicklung, festgelegt in dem Programm „Evonik 2016“, sei davon nicht berührt. Der Konzern plant, sechs Milliarden Euro in das Spezialchemiegeschäft zu investieren. „Wir sind immer davon ausgegangen, alle Wachstumsprojekte für die kommenden Jahre aus eigener Kraft und mit eigenen Mitteln umzusetzen.“
Politische Querelen
Bonse-Geuking wies Vorwürfe zurück, der Börsengang sei Ende März deutlich zu spät gestartet worden. „Ein Börsengang dauert in der Vorbereitung drei Monate, und die Aussichten der generellen Geschäftsentwicklung waren im Dezember höchst unsicher.“ Allerdings waren auch politische Querelen um die Frage der Neubesetzung des Vorstands der RAG-Stiftung für den späten Starttermin verantwortlich. Gewerkschaft IG BCE und SPD sprachen sich für den ehemaligen Wirtschaftsminister und Ex-Evonik-Chef Werner Müller als Nachfolger für Bonse-Geuking aus, das Bundesfinanzministerium blockierte damals auch unter dem Eindruck heftigsten Widerstands des früheren NRW-CDU-Chefs Norbert Röttgen. Ende März dann verlängerte das Kuratorium angesichts der Patt-Situation den Vertrag des Stiftungsvorstands um maximal ein Jahr, um den Börsengang nicht weiter zu gefährden.
Die Debatte um die Chefposten dürfte nach der Sommerpause auf den Tisch kommen. Man werde das Thema zwar nicht forcieren, hieß es gestern in Kreisen der Gewerkschaft IG BCE, „nach Absage des Börsengang kann man sich aber der Frage der Führung neu zu wenden“. Nach den Sommerferien besetzt die NRW-Regierung drei Posten des Kuratoriums neu, einen davon dem Vernehmen nach mit einem Grünen-Politiker. Spätestens dann geht die Führungsfrage in eine neue Runde.
Reiche IG BCE
Zumal es im rot-grünen Koalitionsvertrag heißt, bei der Ausrichtung von Evonik sollten „industrielle Kernkompetenzen am Standort NRW weiterentwickelt werden“. Es kommt nicht allzu oft vor, dass ein einzelnes Unternehmen per Regierungswillen zur Lieblingsfirma erkoren wird. Dahinter könnte die Idee von einer Zusammenlegung der Spezialchemie-Unternehmen in NRW unter Evonik-Dach stecken. IG-BCE-Chef Michael Vassiliadis hatte jedenfalls im Februar 2010 die Regierung aufgefordert, als Moderator für eine strukturelle Neuentwicklung zu fungieren.
Sicherlich geht es der IG BCE auch um Investitionen in den Umbau des Steinkohleförderers RAG zu einem Unternehmen mit erneuerbaren Energien, im seltenen Einklang mit den Grünen. Und zu guter Letzt hat die Gewerkschaft ein fundamentales Eigeninteresse an Evonik und der Stiftung, da sie an dem gemeinsamen Wohnungsunternehmen Vivawest (130 000 Wohnungen) schätzungsweise mit 25 Prozent beteiligt sein wird. Wirtschaftsprüfer ermitteln derzeit den Wert von Vivawest, taxiert wird er auf 3,5 bis vier Milliarden Euro.