Essen. . Angesichts der Finanzmarkt-Turbulenzen kann die RAG-Stiftung ihre Preisvorstellungen für die Spezialchemie-Tochter derzeit wohl kaum durchsetzen.
„Wer macht denn so was?“ Der Slogan, mit dem der einstige Bergbaukonzern RAG im Sommer 2007 seine Sparten Chemie (Degussa), Strom (Steag) und Wohnen unter dem Dach der von der Politik mitgestalteten Evonik AG präsentierte, bekommt knapp fünf Jahre später ganz neue Aktualität. Längst sind die Sparten Steag und Wohnen in neue Partnerschaften eingebracht. Da fragt sich mit Blick auf die verbliebene Evonik derzeit mancher: „Wer macht denn so was?“ – einen gut aufgestellten Spezialchemie-Konzern ausgerechnet jetzt an die Börse zu bringen?
Börsengang schon einmal verschoben
Die Zeichen stehen nicht gut für den als größten europäischen Börsengang des Jahres avisierten (und schon in der Vergangenheit mehrfach verschobenen) Coup. Ursprünglich sollten die Papiere des gar als Dax-Aspiranten gehandelten Unternehmens am 25. Juni erstmals angeboten werden. Doch das scheint zunehmend fraglich. Nicht nur die Finanznöte Griechenlands, Spaniens und anderer Euro-Länder, sondern vor allem die von den USA, China und anderen Wirtschafts-Weltmächten ausgehenden Rezessions-Ängste sorgen an den Börsen für ein Klima, das die Kauflaune von Investoren spürbar bremst. „Evonik ist ein sehr gutes Unternehmen, und der Markt wäre auch bereit dafür“, sagte gestern der Manager eines Investmentfonds. „Aber im Moment muss man entweder beim Preis oder beim Volumen Abstriche machen“. Sprich: Entweder die Aktien günstiger anbieten oder durch eine geringere Stückzahl die Nachfrage anheizen, um so den Preis zu treiben. Gerade Letzteres gilt aber spätestens seit dem verkorksten Facebook-Börsengang als durchsichtiges und absolut unpopuläres Manöver. Groß dürfte bei Investoren die Sorge sein, dass ein derart „künstlich“ getriebener Einstandskurs binnen Tagen einbricht.
Eine Preissenkung aber dürfte ebenfalls nicht in Frage kommen. 15 Milliarden Euro soll die gesamte Evonik aus Sicht der RAG wert sein. Eine Börsenbewertung von 12 Milliarden Euro nannte ein anderer Fondsmanager gestern für eher vorstellbar. Ein Abschlag ist aber schon deshalb kaum vorstellbar, weil man sowohl bei der Evonik-Mutter RAG-Stiftung als auch bei Evonik selbst zu stolz auf die erreichten Um- und Aufbau-Leistungen der vergangenen Jahre ist, um den Konzern nun unter Wert zu verkaufen. Vielmehr will auch der Finanzinvestor CVC, dem ein Viertel von Evonik gehört, einen Teil seiner Anteile möglichst hochpreisig versilbern.
Vor allem aber ist die RAG-Stiftung selbst auf einen möglichst hohen Erlös angewiesen – schließlich ist es ihre Aufgabe, mit dem Geld aus dem Evonik-Verkauf künftig die Kosten des Bergbaus zu finanzieren – und zwar bis in alle Ewigkeit. Stimmen die Szenarien, wird man unter dem Ruhrgebiet, dem Niederrhein und dem Saarland womöglich noch länger als die Laufzeit von Atommüllendlagern Grubenwasser abpumpen müssen, das sonst in alten Strecken und Schächten so hoch steigt, bis es irgendwann tief liegende Regionen über Tage überflutet. Dieser wirtschaftliche Zusammenhang wird schon beim Blick aus der Evonik-Chefetage in der Konzernzentrale am Essener Hauptbahnhof deutlich: Knapp fünf Kilometer Luftlinie entfernt steht die Welterbe-Zeche Zollverein, von deren 14. Sohle aus die Grubenwasser zahlreicher alter Essener Schachtanlagen in die 950 Meter höhere gelegene Emscher gepumpt werden. Rund 9000 Liter pro Minute – und das nur an einem Standort des alten Kohlereviers.
Doch selbst wenn der Börsengang, für den die Banken noch bis Freitag intensiv bei Fondsmanagern und anderen institutionellen Anlegern werben wollen, noch einmal verschoben werden sollte, muss an Rhein, Ruhr und Saar vorerst niemand nasse Keller fürchten. Bislang werden die Pump- und sonstigen Ewigkeitskosten des Bergbaus aus den Evonik-Gewinnen finanziert. Das könnte auch erst einmal noch so weitergehen, besagt eines von vier Szenarien der RAG-Stiftung zum Thema Evonik. Auch deshalb hat Stiftungs-Chef Wilhelm Bonse-Geuking am Wochenende klar und deutlich erklärt, den Börsengang „abbrechen“ zu wollen, wenn die Voraussetzungen nicht stimmen – allen voran eine ordentliche Bewertung für Evonik.
Lösung für die Bergbaukosten
Letztlich wäre aber auch eine Absage des Börsengangs nur ein Aufschub. Irgendwann muss es eine langfristige Lösung für die Bergbaukosten geben – eben eine für die Ewigkeit. Und dass diese Lösung so vernünftig finanziert ist, dass nicht am Ende noch der Staat mit Steuergeldern einspringen muss, darauf dürften Politiker wie die Ministerpräsidentinnen von NRW und dem Saarland sowie der Bundesfinanz- und der Bundeswirtschaftsminister achten. Am Montag soll das Stiftungs-Kuratorium, dem sie angehören, erneut zusammenkommen – womöglich, um die Börsengang-Pläne dann vorerst erneut zu begraben.