Düsseldorf. Der Börsengang des Düsseldorfer Chemie-Riesen Evonik steht nach Informationen der Nachrichtenagentur Reuters vor dem Aus. Ein Börsengang würde wohl zu wenig Geld in die Kassen des Unternehmens spülen. Noch bis Freitag geht die Suche nach Investoren weiter, dann soll eine Entscheidung fallen.
Die Euro-Schuldenkrise und die daraus folgenden Markt-Turbulenzen drohen die Pläne für einen der seit Jahren größten Börsengänge in Deutschland zunichtezumachen. Die Eigner des Chemieriesen Evonik werden bei einem Sprung auf das Börsenparkett nach derzeitigem Stand bei weitem nicht die Milliarden-Erlöse erzielen, die sie sich für einen Anteilsverkauf zum Ziel gesetzt haben, erfuhr die Nachrichtenagentur Reuters am Sonntag aus Kreisen des RAG-Kuratoriums, dem Aufsichtsrat des Evonik-Mehrheitseigners RAG-Stiftung. Die Börsen-Pläne stünden deshalb vor dem Aus, die endgültige Entscheidung wolle das Kuratorium in einer Sitzung am 18. Juni fällen. "Die Entwicklung auf den Finanzmärkten seit Ende Mai bewirkt eine zunehmende Unsicherheit, ob Erlöse erreichbar sind, die dem Wert der Evonik gerecht werden", hatte die RAG-Stiftung zuvor eingeräumt.
Das mächtige Kuratorium der RAG-Stiftung hatte am Nachmittag in einer Telefonkonferenz über die Börsenpläne beraten. Das Gremium ist auch politisch bestimmt: Ihm gehören unter anderem die Ministerpräsidentinnen der Kohle-Länder Saarland und Nordrhein-Westfalen, Vertreter der Bundesregierung sowie der Gewerkschaft IG BCE an. In den Gesprächen der Banken mit Investoren sei die angestrebte Mindestbewertung für den Gesamtkonzern von 15 Milliarden Euro bislang deutlich verfehlt worden, erfuhr Reuters nach den Gesprächen aus Kreisen des Kuratoriums. Die Bewertung liege derzeit eher bei zwölf Milliarden Euro, hieß es weiter. Dies begründe sich unter anderem daraus, dass der bei Börsengängen übliche Abschlag auf den Unternehmenswert sehr deutlich über den ursprünglich angepeilten zehn Prozent liege.
Galgenfrist bis Freitag
Die Banken sollten nun weitere Gespräche mit potenziellen Käufern der Evonik-Anteilsscheine führen und hätten dabei noch eine "Galgenfrist" bis Freitag, die Investoren von der wirklichen Werthaltigkeit des Chemieriesen zu überzeugen, hieß es weiter. Ein Sprecher der RAG-Stiftung wollte die Angaben nicht kommentieren.
Eine "angemessene Bewertung" und "Transaktionssicherheit" seien unabdingbare "Voraussetzungen für den Börsengang", betonte die Stiftung in einer Erklärung. Gebe es diese nicht, "wird der IPO der Evonik abgebrochen", betonte die Stiftung. Noch in dieser Woche solle es weitere Gespräche mit Investoren geben. Die Stiftung ist Mehrheitseigner von Evonik, die übrigen 25,01 Prozent der Anteile liegen beim Finanzinvestor CVC. Deutsche Bank und Goldman Sachs sind führend an den Vorbereitungen für den Börsengang beteiligt.
Ein mögliches Ausscheiden Griechenlands aus dem Euro und die Schieflage von Banken in Spanien sorgen bereits seit Wochen für Turbulenzen und fallende Kurse an den Börsen. Erst am Wochenende hatte Spanien nach langem Widerstand angekündigt, doch Finanzhilfen aus dem Euro-Rettungsfonds zur Rekapitalisierung maroder Banken beantragen zu wollen. In einer Woche wählen die Griechen zudem ein neues Parlament. Die Wahl am 17. Juni gilt als eine Weichenstellung für den Verbleib des Landes in der Euro-Zone. Am 18. Juni soll den Kreisen zufolge dann das Kuratorium erneut beraten.
Evonik - vom Mischkonzern zum spezialisierten Chemieunternehmen
Evonik hatte sich in den vergangenen Jahren vom Mischkonzern zu einem auf Spezialchemie fokussierten Unternehmen gewandelt. Der Börsengang sei nun der "nächste logische Schritt", hatte CVC-Vertreter Steve Koltes angekündigt. Im vergangenen Jahr hatte Konzernchef Klaus Engel mit einem Umsatz von 14,5 Milliarden Euro und einem operativen Ergebnis (bereinigtes Ebitda) von 2,768 Milliarden Euro Rekordergebnisse vorlegen können. Im laufenden Jahr werde der operative Ertrag "auf oder leicht über" den Werten des Vorjahres liegen, hatte Engel angekündigt.
Die Stiftung selbst will die möglichen Milliarden-Einnahmen aus dem Anteilsverkauf einsetzen, um die Folgekosten des 2018 auslaufenden deutschen Steinkohlebergbaus zu decken, der unter ihrem Dach gebündelt ist. Damit beobachten auch die Steinkohleländer Nordrhein-Westfalen und Saarland sowie der Bund genau, welchen Erlös ein Anteilsverkauf in die Kassen der Stiftung spülen könnte. Hat sie nicht ausreichend Mittel, müsste eines Tages der Steuerzahler für die Folgekosten des Bergbaus gerade stehen. (rtr)