Bochum/Rüsselsheim. . Die Lage beim angeschlagenen Autohersteller Opel ist einem Medienbericht zufolge offenbar dramatischer als bisher bekannt. Laut streng vertraulicher Produktionspläne sei das Stammwerk Rüsselsheim nur zu 65 Prozent ausgelastet, Bochum zu 77 Prozent. Um eine Werkschließung in Europa komme Opel laut Experteneinschätzung nicht herum.
Der angeschlagene Autohersteller Opel leidet offenbar stärker als bisher bekannt unter seinem schwachen Absatz. Wie das Magazin "Focus" am Samstag unter Berufung auf die streng vertrauliche Produktionsplanung des Unternehmens berichtet, ist das Stammwerk Rüsselsheim nur zu 65 Prozent ausgelastet. Im polnischen Gliwice (62 Prozent), im spanischen Saragossa (59), und in den englischen Werken Luton (57) und Port Ellesmere Port (55) sei sogar noch weniger zu tun.
In Eisenach, wo ab 2013 der Kleinstwagen Adam vom Band laufen soll, seien Maschinen und Anlagen nur zu 66 Prozent ausgelastet, in Bochum zu 77 Prozent. Ein Opel-Sprecher sagte auf dapd-Anfrage, das Unternehmen gebe aus Wettbewerbsgründen generell keine internen Produktionsplanungen preis. Die "Focus"-Zahlen würden daher nicht kommentiert.
Laut "Focus" wird Opel bis Jahresende nur rund eine Million Autos bauen - bei Kapazitäten für 1,6 Millionen. Der Branchenexperte Stefan Bratzel von der Fachhochschule in Bergisch Gladbach sagte dem Magazin, die Opel-Mutter General Motors (GM) "kommt in Europa nicht darum herum, ein Werk zu schließen".
Betriebsrat stellt Sanierungsbeitrag infrage
Rainer Einenkel, Betriebsratschef des Opel-Werks in Bochum, das von Schließung bedroht ist, stellte derweil den Sanierungsbeitrag der europäischen GM-Beschäftigten in Höhe von jährlich 265 Millionen Euro infrage. Er sagte dem Magazin: "Wir bezahlen doch nicht für die eigene Beerdigung."
Die dramatischen Berichte über die Zukunft des angeschlagenen Autoherstellers haben inzwischen Politiker aller Lager aufgeschreckt. Die Ministerpräsidenten der vier deutschen Bundesländer mit Opel-Werken, darunter Hannelore Kraft (SPD) aus Nordrhein-Westfalen, schickten am Freitag ein gemeinsames Warnsignal an GM. "Wir werden die deutschen Standorte nicht auseinanderdividieren lassen", heißt es in der gemeinsamen Erklärung.
Hessens Ministerpräsident Volker Bouffier sagte in Richtung GM, es könne nicht akzeptiert werden, dass über Wochen niemand wisse, wie es mit den Opel-Werken weitergehe. "Das führt zu einer massiven Verunsicherung", beklagte der CDU-Politiker im Hessischen Rundfunk. Bouffier und sein Mainzer Amtskollege Kurt Beck (SPD) kommen am Montag zur Unterstützung der Belegschaft zu einer Betriebsversammlung ins Werk Rüsselsheim.
In den vergangenen zehn Jahren verlor GM mehr als zehn Milliarden Euro mit Opel. Im ersten Quartal 2012 ging die Verlustserie mit einem Minus von rund 250 Millionen Euro weiter.
Spekulationen über Citroen-Produktion in Rüsselsheim
Unterdessen sind am Wochenende weitere Planspiele an die Öffentlichkeit gedrungen mit Spekulationen über die künftige Aufgabenverteilung im Bündnis zwischen Opel-Mutter General Motors und des Autoherstellers PSA Peugeot Citroen. Das Opel-Stammwerk in Rüsselsheim bei Frankfurt könnte statt des Kompaktwagens Astra die Citroen-Mittelklasse-Limousine C5 produzieren, berichtete die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" am Samstag ohne Quellenangabe. Die Opel-Unternehmensleitung habe der Belegschaft angeboten, der C5 könne in einigen Jahren in Rüsselsheim vom Band laufen - als Ausgleich für den Astra, den das Unternehmen nach Gewerkschaftsangaben lieber in Polen oder Großbritannien produzieren will.
Ein Opel-Sprecher kommentierte den Bericht lediglich mit den Worten: "Es gibt viele Überlegungen, aber noch keine Entscheidung."
Zuletzt hatte es auch Spekulationen gegeben, als Ausgleich für den VW-Golf-Konkurrenten Astra könnte die Produktion des Familienwagens Zafira aus dem Werk Bochum nach Rüsselsheim geholt werden. Die Fabrik in der strukturschwachen Ruhrgebietsstadt könnte dann geschlossen werden, fürchten Arbeitnehmer. "Spiegel Online" hatte am Donnerstag berichtet, GM wolle Opel die Entwicklung des Zafira hingegen entziehen. Statt in Rüsselsheim solle der nächste Zafira von Peugeot in Frankreich konstruiert werden. Im Entwicklungszentrum Rüsselsheim seien dadurch mehrere hundert Arbeitsplätze bedroht - was von Opel jedoch dementiert wurde.
Opel und seine britische Schwestermarke Vauxhall kämpfen seit langem mit Verlusten. Die Kosten sollen mit Hilfe eines weiteren Sparpakets abermals gedrückt werden. Bis 2014 sind Kündigungen und Werksschließungen ausgeschlossen. PSA Peugeot Citroen - nach Volkswagen Europas zweitgrößter Autohersteller - steckt wirtschaftlich in einer prekären Lage - unter anderem wegen der Absatzkrise in Südeuropa.
Hessens Ministerpräsident Bouffier hat angekündigt, an einer Opel-Betriebsversammlung am Montag in Rüsselsheim teilzunehmen. Opel-Chef Karl-Friedrich Stracke habe ihm versichert, dass das Werk "in seiner jetzigen Form" erhalten bleibe. Die Regierungschefs der vier Bundesländer mit Werken des angeschlagenen Autobauers versicherten den Beschäftigten ihre Unterstützung, machten jedoch keine konkreten Zusagen. GM dürfe den Opel-Standort Deutschland nicht länger infragestellen, forderten die Ministerpräsidenten von Nordrhein-Westfalen, Thüringen, Hessen und Rheinland-Pfalz in einer gemeinsamen Erklärung. (dapd/rtr)