Essen. Depression, Burnout und Angstzustände bescheren bundesweit 53,5 Millionen Krankheitstage. Gründe sind Stress und drohende Arbeitslosigkeit. NRW-Trend eher “moderat“.

Die Zahl der Fehltage am Arbeitsplatz wegen psychischer Erkrankungen und Verhaltensstörungen ist einem Pressebericht zufolge in den vergangenen Jahren drastisch gestiegen. Wurden 2001 bundesweit noch 33,6 Millionen solcher Arbeitsunfähigkeitstage registriert, waren es 2010 schon 53,5 Millionen, wie laut "Frankfurter Rundschau" (Montagsausgabe) aus der Antwort der Bundesarbeitsministeriums auf eine Anfrage der Linken-Fraktion hervorgeht. Der Anteil dieser Erkrankungen an allen Arbeitsunfähigkeitstagen kletterte demnach von 6,6 auf 13,1 Prozent.

Als Gründe für den Anstieg werden den Angaben zufolge steigende Anforderungen und erhöhte Eigenverantwortung genannt, aber auch der flexiblere Einsatz des Personals und Unterbrechungen bei den Beschäftigungsverhältnissen. Viele Leiharbeiter arbeiteten unter Rahmenbedingungen, "die die Gesundheit negativ beeinflussen können". Zur Unzufriedenheit im Job komme unter anderem ein schlechterer Zugang zu Gesundheitsförderungsmaßnahmen.

Besonders gefährdet sind den Angaben zufolge Frauen. 2010 gingen rund 39.000 weibliche Beschäftigte aufgrund psychischer Erkrankungen in die Erwerbsminderungsrente. Das entspreche fast einer Verdoppelung im Vergleich zum Jahr 2000. Die Bundesregierung sieht der Stellungnahme zufolge allerdings keinen Bedarf dafür, rechtliche Maßnahmen einzuleiten. Es gelte zunächst einmal, den Wissens- und Kenntnisstand zu verbreitern. Erst dann könne entschieden werden, ob konkrete Schutzmaßnahmen vorgeschrieben werden müssten.

NRW-Zahl steigt "moderat"

Laut NRW-Gesundheitsministerium fällt der Anstieg psychischer Erkrankungen "moderater" aus als auf Bundesebene. Aber nur, weil die bisherigen Fallzahlen bereits über dem Bundesdurchschnitt liegen. Dies geht aus dem Landesgesundheitsbericht 2011 hervor, der im März 2012 veröffentlicht wurde. Im Bereich psychischer Erkrankungen macht der Bericht vor allem zwei Entwicklungen aus: Bei den Frühberentungen liegen psychische Erkrankungen mit großem Abstand an erster Stelle, bei Rehabilitationsmaßnahmen an zweiter (nach Muskel- und Skeletterkrankungen).

Grundlage des Berichts sind die Krankendaten von 2000 bis 2009, sowohl ambulant als auch stationär. Im letzten Berichtsjahr wurden allein 124.000 Frauen und 148.000 Männer wegen psychischer Erkrankungen im Krankenhaus behandelt. Innerhalb der letzten zehn Jahre sind die Fälle um 22 % angestiegen - der Anstieg fällt bei Frauen wie Männern nahezu gleich aus. Allerdings werden Männer meist wegen Alkoholabhängigkeit behandelt. Frauen leiden demgegenüber deutlich häufiger unter Depressionen. Das macht gut ein Drittel der Frauen aus, die sich im Krankenhaus stationär behandeln lassen.

Behandlung meist ambulant

Das gesamte Ausmaß psychischer Erkrankungen lässt sich allerdings nicht an den Krankenhauszahlen ablesen. Diese geben nur einen kleinen Teil wieder, denn die überwiegende Zahl der Patienten wird laut NRW-Gesundheitsbericht ausschließlich ambulant behandelt. Bei den vier häufigsten Diagnosen liegt die "Depressive Episode" an erster Stelle (gefolgt von somatischen Erkrankungen, Reaktionen auf schwere Belastungen und Anpassungsstörungen sowie Angststörungen). Dies geht aus einer Analyse der Kassenärztlichen Vereinigungen Nordrhein und Westfalen-Lippe von 2009 hervor. Jede dieser Diagnosen betrifft Frauen doppelt so häufig wie Männer.

1,4 Millionen Depressionserkrankte

Statistisch betrachtet sind acht Prozent aller NRW-Bürger an einer Depression erkrankt und lassen diese ambulant behandeln. Dies macht rund 1,4 Millionen behandelte Patienten aus. Auch hier sind wieder Frauen (11 Prozent) doppelt so häufig betroffen wie Männer (5 Prozent).

Und: Je älter man wird, um so höher liegt die Wahrscheinlichkeit ist es an einer Depression zu erkranken. Bei der Gruppe der über 50-jährigen Frauen erkranken bereits 16 Prozent an einer Depression (50 bis 54 Jahre), bei der Gruppe der über 85-Jährigen sind es 18 Prozent.

Im Durchschnitt 41,3 Krankheitstage

Ein Analysebaustein des 2011-Landesgesundheitsbericht ist die Frage nach der Arbeitsfähigkeit. Wessen Psyche erkrankt, der ist in NRW länger arbeitsunfähig als Menschen die sich gegen Krebs behandeln lassen. Genau 41,3 Arbeitsunfähigkeitstage listet zum Beispiel die Statistik der Betriebskrankenkasse BKK für ihre erwerbstätigen Mitglieder auf.

Damit führen psychische Erkrankungen die Liste der Krankentage auf Platz Eins an, und sie liegen zudem dreimal so hoch wie die mittlere Krankheitsdauer aller Arbeitsunfähigkeitsfälle (13,7 Tage). Auch hier sind Frauen stärker betroffen als Männer, ihre Erkrankungsrate liegt um 29 % über der der Männer. Häufigster Grund war mit rund 13.000 Fällen die Depression (Anteil 27 %). Sie dauerte durchschnittlich 55,1 Tage bei Frauen und 57,2 Tage bei Männern.

Boom bei Vorsorge und Reha

Eigentlich kann der NRW-Gesundheitsbericht positives vermelden: Die Gesamtzahl aller Rehabilitationsbehandlungen blieb zwischen 2004 und 2009 nahezu unverändert. Allerdings haben sich die Gründe, warum eine Reha notwendig wurde, massiv verschoben. Bisher führten Krebserkrankungen, neue Hüftgelenke oder die Gesundung nach einem Herzinfarkt die Liste an. Gut 15 Prozent der Behandlungen entfielen auf psychische Erkrankungen.

Doch mittlerweile stieg die Behandlungszahl psychischer Erkrankungen um fast die Hälfte. Das macht in 2009 rund 50.600 Behandlungen aus, welche infolge von psychischen Krankheiten und Verhaltensstörungen durchgeführt wurden. Zwei Drittel aller Reha-Maßnahmen entfallen hierbei auf Frauen. Ein Ende des Anstiegs ist nicht in Sicht: Das NRW-Gesundheitsministerium vermeldet bei Depressionserkrankungen einen "rapiden Anstieg" der Reha-Maßnahmen um mehr als 20 % pro Jahr.

Psychischer Druck führt zur Frühverrentung

Blickt man ins NRW-Berichtsjahr 2009 gingen allein 14.344 Versicherte aufgrund psychischer Erkrankungen in Frührente. Depression, Angstzustände und somatische Störungen machen damit den häufigsten Ursache für eine Frühberentung aus. Bei den Frauen erfolgte aus diesem Grund fast die Hälfte aller Frühverrentungen, bei den Männern waren es mehr als ein Drittel. Zwischen 2004 und 2009 verdoppelten sich die Fälle bei den Frauen auf 49% und liegen somit fast doppelt so hoch wie bei den Männern (+27 Prozent). Das ist problematisch, findet das Landesgesundheitsministerium. Denn: Diese Entwicklung entspricht "nicht dem allgemeinen Trend", schließlich sind die Frühberentungszahlen insgesamt eher rückläufig.

(Mit Material von dapd)