Brüssel. . Die Börsen stürzen weltweit ab, die Euro-Krise spitzt sich zu und ein Mann hat wohl einen gehörigen Anteil an dem Chaos: EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso hat mit seinen Äußerungen zum Euro-Rettungsfonds Öl ins Feuer gegossen.
Erst vor zwei Wochen haben europäische Politiker den Euro-Gipfel weitgehend als Erfolg gefeiert und sich anschließend etwas beruhigter in die Sommerpause verabschiedet. Nun spitzt sich die Euro-Krise wieder zu und EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso regte inmitten der ohnehin schon nervösen Märkte eine Debatte über eine Aufstockung des Euro-Rettungsfonds an. Die Nachrichtenagentur dapd hat am Freitag mit Christoph Rieger, Leiter Zinsstrategie bei der Commerzbank, gesprochen.
EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso hat eine Neubewertung des Euro-Rettungsfonds EFSF verlangt - zu Recht?
Christoph Rieger: Barroso hat damit sicherlich noch einmal Öl ins Feuer der Märkte gegossen und das Gegenteil von dem bewirkt, was er erreichen wollte - nämlich, die Märkte zu beruhigen. Vor zwei Wochen hat er das Gipfel-Paket als großes, glaubwürdiges Paket verkauft und jetzt sagt er, dass das alles nichts Richtiges ist. Damit hat er den Märkten einen Bärendienst erwiesen und sicher nicht zur Beruhigung beigetragen, sondern weitere Unsicherheit geschürt.
Hätte man den Euro-Rettungsfonds nicht gleich auf ein angemessenes Volumen aufstocken sollen statt jetzt den „piecemeal approach“ zu wählen, also stückchenweise aufzustocken?
Rieger: Ein Volumen von ein oder zwei Billionen hätte die Märkte sicherlich mehr beeindruckt. Die 440 Milliarden Euro reichen momentan für Portugal, Irland und Griechenland, aber wenn Italien und Spanien unterstützt werden sollen, sind wir schnell an der Kapazitätsgrenze. Allerdings ist eine großzügigere Aufstockung in einigen Ländern politisch schwer vermittelbar.
Unter anderem auch in Deutschland?
Rieger: Ja.
Barroso hat also den Zeitpunkt schlecht gewählt, um eine neue Debatte zu den Gipfel-Beschlüssen anzuregen?
Rieger: Die Märkte wollen eine klare Linie. Das wäre das Beste, um sie zu beruhigen, und nicht, die Gipfel-Beschlüsse infrage zu stellen.
EZB-Chef Jean-Claude Trichet sagte bei der Pressekonferenz am Donnerstag, sobald die Beschlüsse vom Gipfel vollständig umgesetzt seien, könnte die EZB mit der Intervention am Anleihemarkt aufhören. Glauben Sie daran?
Rieger: Das Problem ist, dass der EFSF nicht nur die rechtliche Möglichkeit, sondern auch die Mittel haben muss. Selbst wenn die EFSF-Reform im Schnelldurchgang umgesetzt wird und der Rettungsfonds am Sekundärmarkt intervenieren darf, hat er nicht die Mittel. Dazu muss der EFSF Geld am Markt aufnehmen, also selbst Anleihen begeben, und das dauert sicherlich länger als nur ein paar Monate. Ein Ausweg könnte darin bestehen, wenn der EFSF die Interventionen im Repo (Anm. d. Red.: Repos sind Rückkaufvereinbarungen, Repo-Satz ist der vereinbarte Zins) bei der EZB finanzieren könnte. Die EZB kann als Zentralbank die Mittel selbst kreieren. Sie befürchtet allerdings zu Recht, dass sie da ein Fass ohne Boden aufmacht. Denn die Marktteilnehmer könnten die Interventionen nutzen, um ihre Beteiligungen abzustoßen.
Bei welchem Volumen lagen die Interventionen der EZB in den vergangenen Tagen?
Rieger: Ich vermute, dass das Volumen war nicht allzu groß war, da auch die Liquidität nicht vorhanden war. Der EZB ging es darum, ein Signal zu setzen.
Aber dieses Signal ist bei den Märkten doch offensichtlich nicht angekommen?
Rieger: Es war eben nur ein halbherziges Signal, weil jeder an den Märkten weiß, dass die EZB nur Portugal und Irland gekauft hat, wo die Spreads (Anm. d. Red.: Zinsaufschläge) auch schon vorher reingekommen waren.
Was ist nötig, damit sich die Anleihemärkte beruhigen?
Rieger: Solange die Märkte sehen, dass die EZB nur portugiesische und irische Staatsanleihen kauft, werden sie sich nicht nachhaltig beruhigen. Die EZB müsste dazu Fakten schaffen und spanische und italienische Anleihen kaufen. Und es hängt natürlich davon ab, was die Politik jetzt entscheidet.
Barroso hat ja in seinem Schreiben deutlich gemacht, dass er Diskussionsbedarf sieht. Bundeskanzlerin Angela Merkel, der französische Präsident Nicolas Sarkozy und der spanische Regierungschef José Luis Rodríguez Zapatero wollten noch am (heutigen) Freitag telefonieren. Wann wird weiter gegipfelt?
Rieger: Sollten die Märkte heute nicht zur Ruhe kommen, würde es mich nicht überraschen, wenn noch am Wochenende ein kleiner Krisengipfel stattfindet - als Beruhigungspille für die Märkte, also noch vor Eröffnung der asiatischen Börsen am Montag.
Einige Experten spekulieren bereits über eine drohende Große Depression. Wie schätzen Sie die Krise ein?
Rieger: Wir rechnen nicht damit, dass die Krise so aus den Fugen gerät, wie es damals nach der Lehman-Pleite der Fall war. Es ist allerdings schwierig, eine nachhaltige Beruhigung auf absehbare Zeit vorherzusagen. Es kommt jetzt darauf an, was die Politik entscheidet. Die Risiken haben jedenfalls zugenommen, dass die Finanzkrise wieder stärkere Spuren in der Realwirtschaft hinterlassen wird. (dapd)