Essen. Die Finanzmärkte nehmen einen Staat nach dem anderen ins Visier. Die Ursachen sind höchst verschieden. DerWesten analysiert die Situation der Krisen-Länder. Eine Prognose, wer sich rausziehen kann und wer noch tiefer im Schuldensumpf versinken wird.
Die USA stehen vor der Staatspleite, Griechenland versinkt immer tiefer im Schuldensumpf und Italien springt hinterher. Es kann einem die Luft wegbleiben in der täglichen Flut apokalyptischer Finanznachrichten. Der gleich zu Beginn der Griechenlandkrise vor mehr als einem Jahr befürchtete Domino-Effekt scheint tatsächlich einzutreten.
Die Finanzmärkte, so die allgemeine Wahrnehmung, stürzen sich erst auf den einen, dann auf den anderen Krisenstaat. Doch was wie die reine Willkür gieriger Geldmakler wirkt, hat in jedem einzelnen Fall gute Gründe. Und sehr unterschiedliche dazu. Die einen ersticken an ihren Schulden, bei den anderen darbt die Wirtschaft und Belgien findet schlicht keine neue Regierung.
Ein Überblick darüber, welches Land warum in der Krise steckt und wie seine Chancen stehen, mit oder ohne Hilfe wieder herauszukommen:
USA - fast pleite, aber noch immer kreditwürdig
Die USA haben ein gigantisches Schuldenproblem: Würde man Europa als ganzes betrachten – es stünde weit besser da als die USA. Die Amerikaner haben mehr als 14 Billionen US-Dollar (10 Billionen Euro) Schulden aufgetürmt. Damit haben sie mehr Schulden als sie in einem Jahr erwirtschaften können. Präsident Barack Obama warnt bereits vor einer nahenden Zahlungsunfähigkeit der USA.
Dass die drei großen Ratingagenturen den USA dennoch die höchste Bonitätsnote geben, erscheint widersinnig. Zwar drohen sie nun mit einer Abstufung, aber nur auf die zweithöchste Stufe. Warum? Die Amerikaner haben einen unschätzbaren Vorteil: Ihr Dollar ist die Weltwährung und speist die Finanzwelt. Deshalb haben sie bis dato keine Probleme, Käufer für Staatsanleihen zu finden. Die Finanzmärkte sind sicher, dass die USA immer an genug frisches Geld kommen, um ihre Altschulden bedienen zu können. Dieses Vertrauen wiederum führt zu niedrigen Zinsen.
Doch die USA haben es mit dem Schuldenmachen übertrieben. Selbst die niedrigen Zinsen drohen den Haushalt zu sprengen, weil allein im laufenden Jahr neue Schulden von 1,6 Billionen Dollar hinzukommen.
Die Prognose: Demokraten und Republikaner werden sich wie üblich in letzter Sekunde auf ein Sparpaket einigen und so die Märkte beruhigen.
Italien - im Visier der Spekulanten
Italien hat ein Führungsproblem: Die Schuldenquote von 120 Prozent der Wirtschaftskraft ist die höchste nach Griechenland – und dennoch nicht annähernd so dramatisch. Denn gut die Hälfte halten Gläubiger im eigenen Land, die Auslandsschulden liegen im internationalen Durchschnitt. Deshalb halten bei Italien tatsächlich die meisten Experten die Rekordzinsen für überzogen, sprich für reine Spekulation.
Nahrung gibt den Spekulanten allerdings die Regierung selbst. Sie ist heillos zerstritten, weshalb die Märkte nicht an das 47-Milliarden-Sparpaket von Finanzminister Tremonti glauben. Es soll in diesem Sommer vom Parlament verabschiedet werden.
Die Prognose: Italien hat es selbst in der Hand, die Märkte zu beruhigen. Das avisierte starke Signal ist entscheidend.
Spanien - in der eigenen Strukturkrise
Spanien hat ein Wachstums-Problem: Hätte es Europa wirklich nur mit einer Schuldenkrise zu tun, Spanien ginge es bestens. Die Iberer haben mit die geringste Schuldenquote. Dass die Finanzmärkte ihrer Zahlungskraft dennoch misstrauen, liegt an einer ausgewachsenen Krise der Wirtschaft. Sie schrumpfte im vergangenen Jahr sogar leicht, die Arbeitslosigkeit ist mit 20,9 Prozent die höchste in Europa, von den Jugendlichen ist fast jeder zweite ohne Job.
Die Finanzmärkte sorgen sich zudem um die spanischen Sparkassen. Sie haben unzählige Immobilienkredite vergeben, von denen niemand weiß, wie viel davon nach dem Platzen der Immobilienblase noch zurückgezahlt werden kann.
Die Prognose: Madrid will die Sparkassen teilprivatisieren. Gelingt das, geht’s bergauf.
Portugal - im Sog des tiefen Misstrauens
Portugal hat ein Image-Problem: Die Portugiesen können es derzeit niemandem recht machen. Sie haben sich frühzeitig unter Europas Rettungsschirm gestellt und anschließend mehrere schmerzhafte Sparpakete gegen den Widerstand aus der Bevölkerung durchs Parlament gebracht – doch die Märkte danken es ihnen nicht.
Die Schuldenquote von 93 Prozent der Wirtschaftskraft ist ein Problem, liegt aber weit unter den Zahlen Griechenlands oder Italiens. Dennoch strafen die Geldmärkte die Portugiesen mit immer höheren Zinsen auf Staatsanleihen ab. Das hat viel mit verlorenem Vertrauen zu tun: Sie glauben der Regierung in Lissabon nicht, dass sie ihre Sparversprechen auch einhält.
Die Prognose: Die Portugiesen werden wohl ein zweites Hilfspaket der EU benötigen.
Griechenland - inmitten einer Dauerkrise
Griechenland hat nur Probleme: Die griechische Regierung steckt in einem tiefen Dilemma: Sie muss sparen, spart aber auch die Wirtschaft kaputt. Dadurch wird der Staat noch weniger einnehmen und immer wieder Probleme haben, seine Zinsen zu zahlen. Dass die Ratingagenturen griechische Anleihen als Ramsch mit hohem Ausfallrisiko bewerten, ist gut nachvollziehbar. Zumal die Rufe nach einem Schuldenschnitt täglich lauter werden.
Dass Europas Finanzminister darüber diskutieren, auf wie viel Geld auch private Gläubiger verzichten müssen, bewertet die Ratingagentur Standard & Poor’s als teilweisen Zahlungsausfall.
Die Prognose: Griechenland erhält ein neues Hilfspaket und eine Umschuldung. Doch selbst dann wird es noch Jahrzehnte unter der Krise leiden.
Belgien - seit einem Jahr ohne Führung
Belgien hat ein Regierungsproblem: Belgien ist das jüngste Ziel der Finanzmärkte. Die Schulden drücken, aber das Land hat enormes Potenzial: Die Belgier sind reicher und produktiver als die Deutschen und haben ihren Willen, im Notfall radikal zu sparen, schon einmal bewiesen.
Das belgische Problem ist ein politisches: Seit einem Jahr ist das Land führungslos. Die abgewählte Regierung führt noch immer die Geschäfte, eine neue ist nicht in Sicht. Investoren bestrafen Ungewissheiten, denn sie verleihen Geld für zehn und mehr Jahre. Entsprechend sehen die Ratingagenturen den Ausblick „negativ“. Folge: Die Zinsen steigen, der Staat investiert weniger, die noch gute Wirtschaftskraft leidet.
Die Prognose: Ohne Regierung droht eine Abwärtsspirale.
Irland - auf dem Weg aus der Krise
Irland hatte ein Bankenproblem: Die Iren sind als erstes Land unter den europäischen Rettungsschirm geschlüpft. Die 85 Milliarden brauchten die Kelten aber nicht in erster Linie, um Auslandsschulden zu tilgen, sondern um ihre Banken zu retten. Die waren unter der geborstenen Immobilienblase ins Wanken geraten und benötigten Staatshilfe.
Nachdem die Wirtschaft im Jahr 2010 geschrumpft war, wächst sie mittlerweile wieder – im ersten Quartal um 1,3 Prozent. Der Handel boomt, es werden mehr Güter exportiert als vor der Krise. Ökonomen trauen Dublin sogar zu, als erstes Land den Rettungsschirm aus eigener Kraft zu verlassen. Die Rating-Agentur Moodys ist allerdings pessimistisch. Sie stufte Irland gestern herab.
Die Prognose: Mit der Wirtschaft erholt sich die Finanzlage.