Essen. Ob Fantasy-Epos, Polit-Thriller oder Büro-Satire: Mit Serien kann man Führung lernen, sagt Medienexpertin Biehl und erklärt, wie.
Wer als Chef oder Chefin im neuen Jahr einen besseren Job machen möchte, kann dicke Management-Bücher wälzen – oder stundenlang fernsehen. Klingt zu einfach? Die Medienwissenschaftlerin Brigitte Biehl muss lächeln. Nein, auch mit Serien, selbst jenen mit Drachen, Mordfällen oder machtbesessenen Realpolitikern, könne man Führung lernen, sagt die 46-Jährige. Sie forscht seit Jahren auch an der Fernuniversität Hagen genau zu diesem Thema, hat sich unlängst an der Hagener Fakultät für Wirtschaftswissenschaft habilitiert und jetzt sogar nachgewiesen, dass Serien überhaupt erst die Lust am Führen wecken können.
„Wir können viel von Serien lernen“, sagt Biehl, „wenn wir wissen wie.“ Allzu einfach ist das Lernen am Bildschirm nämlich dann doch nicht: Wer sich auf dem Sofa nur berieseln lassen will, wird damit nicht viel klüger werden. „Man muss schon aktiv hinschauen“, sagt Biehl. Und das will - eben - gelernt sein.
Viele kündigen, weil sie mit ihrer Führungskraft unzufrieden sind
Selten war gute Führung im Job so wichtig. Der Fach- und Arbeitskräftemangel speist die Selbstsicherheit vieler Beschäftigter. Sie trauen sich inzwischen eher zu, den Arbeitgeber zu verlassen, weil die Chance auf eine schnelle Neuanstellung in immer mehr Branchen größer wird.
Schon 2019 hat eine Forsa-Umfrage gezeigt, dass ein Drittel der Angestellten wenigstens ein Mal mit dem Gedanken gespielt hat, wegen des Chefs oder der Chefin den Job aufzugeben. Eine McKinsey-Studie aus dem Jahr 2022 hat das bestätigt: Unzufriedenheit mit Führungskräften wird darin als zweihäufigster Kündigungsgrund in Deutschland aufgeführt.
Führung ist nicht nur Rhetorik und Fachwissen
Biehls Studierende beschäftigen sich auch mit Leadership Development, also der Führungskräfteentwicklung. Identitätsarbeit sei dabei ein großer und wichtiger Teil, sagt die Professorin für Medien- und Kommunikationsmanagement. „Es geht nicht nur um Fachwissen oder Rhetorik, sondern um die Frage, wer man als Führungskraft sein will.“
Bei der Suche nach einer Antwort können Serien laut der Fachfrau aus zwei Gründen helfen: Sie begleiteten das Publikum lange und zeigten, wie sich Personen entwickelten. Selbst in Fantasy-Geschichten würden zudem Dinge erzählt, die man nachempfinden könne: „Es geht um Liebe, um Loyalität, um Emotionen, die wir kennen und an die wir anknüpfen können.“
Führungskräfte in Game of Thrones: Was man vom Drachenfeuer lernen kann
Um daraus zu lernen, braucht es laut Biehl drei Schritte. Zunächst müsse man lernen, Führungsrollen und -stile zu erkennen. Das falle anfangs oft schwer. „Ein Student sagte mir mal, dass es bei ihm nach drei Monaten Klick gemacht habe“, so Biehl. „Seitdem sehe er in jedem Film Führungsfiguren.“
Beispielhaft nennt sie den weltweiten Serienerfolg „Game of Thrones“. Die Hauptfiguren des elaborierten Fantasy-Dramas kämpfen mit Drachen, Untoten und äußerst brutal gegeneinander - sie zeigen laut Biehl aber auch die verschiedensten Führungsstile: das authentische, ehrerfüllte Familienoberhaupt, der widerwillige Anführer, die charismatische Königin, der antifeministische Ansatz ihrer Gegenspielerin.
Um Verhaltenswesen zu identifizieren, Erfolg- und Misserfolg erklären zu können, sollte man Fernsehtagebuch führen oder sich jemanden zum Diskutieren suchen. Biehl nennt diesen zweiten Schritt: aktives Fernsehen. Zuletzt sei es dann wichtig, den Kern des Ganzen in den Alltag zu übertragen. Wenn die charismatische Königin in „Game of Thrones“ also ihre Feinde vom Drachen flambieren lässt, kann man sich freuen und ekeln - oder reflektieren: Warum reagiere ich so? Würde ich einen Mitarbeiter, der mir als Chef ständig in die Parade fährt, im entscheidenden Moment fallen lassen?
Auch Trash-TV kann lehrreich sein: Mit den Kardashians Chefin werden wollen
Serien bieten aus Sicht der Fachfrau noch einen anderen Vorteil: Sie verkörperten andere Führungspersonen als man sie zumeist in der Unternehmenswelt sieht - vor allem auch weibliche Führungsrollen. Damit liefern sie Vorbilder, die Frauen oftmals fehlen. Welchen Unterschied das machen kann, hat Biehl mit der bekannten US-amerikanischen Reality-Show „The Kardashians“ um die äußerst schillernden Frauen aus der Kardashian-Jenner-Familie bewiesen. „Die Kardashians beschreiben sich ja selbst als eher talentfrei, aber sie strengen sich wahnsinnig an und sind erfolgreiche Businessfrauen, die Muttersein und Beruf miteinander vereinbaren können“, sagt Biehl.
Studierende mit und ohne Berufserfahrung und teilweise auch mit Führungserfahrung haben sich diese glitzernde Welt aktiv in Biehls Kurs angeschaut - und trauten sich anschließend eher zu, Führungsverantwortung zu übernehmen. „Eine Studierende hat berichtet, dass sie ganz konkret das Netzwerken und Miteinander aus der Serie mitgenommen hat.“
Mehr Machiavelli und weniger Stromberg: Welche Serie ist die richtige?
Aber wie findet man die richtige Sendung zum Lernen? Es gebe nicht die eine Sendung, die ein Idealbild von Führung zeige, sagt Biehl. Darum gehe es auch nicht: „Wir sehen in den Serien, dass selbst die taffen Führerinnen Brüche haben, selbst die authentischen Führer scheitern. Auch das sei wichtig zu erkennen, weil auch das unserer Realität entspricht. Wir sehen, wie unsere Figuren damit umgehen, wie sie scheitern und können davon lernen.“
Die Wahl der Serie unterscheide sich je nach Zielrichtung: Eine Studierende wollte selbstsicherer und durchsetzungsstärker auftreten und studierte das Verhalten der resoluten Strafverteidigerin in „How to get away with murder“. Eine andere schaute sich die Romanverfilmung „Der Schwarm“ an und von einer Hauptfigur eine verbindlichere Sprache ab, um weniger weich zu erscheinen. Ein Student wollte mehr „Machiavelli“ und verfolgte den aggressiven Führungsstil von Frank Underwood in der Polit-Serie „House of Cards“. „Nach ein paar Wochen war er jedoch regelrecht angeekelt von der Hauptfigur und hat sich eine Serie gesucht, in der Führung teamorientierter gezeigt wird“, sagt Biehl - die „Vikings“.
Dabei können auch schlechte Vorbilder beim Lernen helfen - sogar „Stromberg“, dieses übergriffige, nie um ein Fettnäpfchen verlegene Büro-Ekel in der gleichnamigen deutschen Büro-Satire. In der Serie wird oft nah draufgehalten, wenn Stromberg überfordert ist oder seine Mitarbeiter sich fremdschämen. „Das empfinden wir dann auch, wir schämen uns“, sagt Biehl. „Diese affektive Arbeit ist ganz wichtig für Identitätsarbeit. Man fühlt sich als Führungskraft auch mal überfordert. Stromberg hilft uns zu erkennen, wie man dann nicht gesehen werden will.“