Essen. Nach Barmer, Techniker und DAK erhöhen auch die letzten kleinen Krankenkassen ihre Beiträge. Die Wirtschaft warnt vor einer Überlastung
Die gesetzliche Krankenversicherung wird für die Menschen in NRW ganz erheblich teurer. Kurz vor Weihnachten haben bis auf eine Ausnahme alle Krankenkassen veröffentlicht, wie sich ihr kasseneigener Zusatzbeitrag 2025 entwickeln wird. Die Übersicht zeigt, dass Versicherte in NRW mehr für die Krankenversicherung zahlen werden als Experten vorausberechnet hatten.
29 der 37 Kassen, aus denen man in NRW auswählen kann, erhöhen ihren Zusatzbeitrag, fast alle um mehr als einen Prozentpunkt. Spitzenreiter ist der Auflistung dieser Redaktion zufolge die kleine Betriebskrankenkasse BKK Melitta mit Sitz in Minden und rund 85.000 Versicherten. Sie hat ihren Zusatzbeitrag um 1,8 Punkte auf 3,40 Prozent erhöht. Die teuerste Kasse wird ab 2025 die Knappschaft mit Sitz in Bochum sein (4,4 Prozent).
Techniker verdoppelt, Barmer kommt über drei Prozent
Aber auch die großen Krankenkassen langen zum Teil mächtig zu. Die Techniker Krankenkasse, größte gesetzliche Krankenversicherung mit über elf Millionen Versicherten bundesweit, verdoppelt ihren Zusatzbeitrag ab Januar 2025 von 1,2 auf 2,45 Prozent. Die Barmer wird als zweitgrößte Krankenkasse in Deutschland ihren Zusatzbeitrag von derzeit 2,19 auf 3,29 Prozent anheben. Das Plus von 1,25 bzw. 1,1 Punkten führt bei einem durchschnittlichen Monatseinkommen von 4400 Euro (brutto) zu einer Mehrbelastung von 55 bzw. 48,40 Euro, jeweils hälftig zu tragen von den Versicherten und den Arbeitgebern bzw. der Rentenversicherung.
Und von den acht Versicherungen, deren Beitragssatz stabil bleibt, haben alle entweder im Oktober oder November ihren Beitragssatz erhöht - hier sind Versicherte also bereits zusätzlich belastet worden.
Die Krankenkassen stehen unter einem großen Druck: 14-Milliarden-Lücke
Die Krankenkassen stehen unter enormem finanziellen Druck: Weil Ausgaben für Krankenhausaufenthalte und Arzneimittel immer stärker steigen, zugleich Rücklagen abgebaut werden mussten, fehlen ihnen Gelder. Für 2025 wird laut DAK Gesundheit in der gesetzlichen Krankenversicherung mit einer Finanzierungslücke von insgesamt 14 Milliarden Euro gerechnet.
Um diese Löcher zu stopfen, dürfen die Kassen ihren 2015 eingeführten Zusatzbeitrag erhöhen. Er variiert von Kasse zu Kasse und wird zum allgemeinen Beitragssatz von 14,6 Prozent dazugerechnet. Arbeitnehmer und Arbeitgeber bzw. Rentner und Träger der Rentenversicherung tragen den Krankenkassenbeitrag zu gleichen Teilen.
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Der Zusatzbeitrag lag Anfang 2024 im Schnitt bei 1,7 Prozent und soll Fachleuten zufolge auf 2,5 Prozent steigen. In NRW variiert er ab dem Jahreswechsel zwischen 4,4 und 2,19 Prozent. Das bedeutet: Bei der Knappschaft liegt der Gesamtbeitrag ab 2025 bei 19 Prozent, bei der HKK bei 16,79 Prozent. Arbeitnehmer und Arbeitgeber bzw. Rentner und Träger der Rentenversicherung tragen den Krankenkassenbeitrag zu gleichen Teilen.
AOK Rheinland/Hamburg sieht Solidaritätsprinzip gefährdet
Am Freitagvormittag hatte die AOK Rheinland/Hamburg angekündigt, ihren Zusatzbeitrag von aktuell 2,2 Prozent auf 2,99 Prozent mit nur kosmetischem Abstand zur Drei-Prozent-Marke anzuheben. Bei einem durchschnittlichen Monatseinkommen von 4400 Euro (brutto) führt das Plus von fast 0,8 Punkten zu einer Mehrbelastung von 35,16 Euro.
„Die Ausgaben für die medizinische Versorgung steigen bei den gesetzlichen Krankenkassen deutlich stärker als die Einnahmen. Dieses Defizit müssen die meisten Krankenkassen über einen höheren Zusatzbeitrag ausgleichen“, ergänzt Günter Roggenkamp, Versichertenvertreter und alternierender Verwaltungsratsvorsitzender. „Auf diese Weise werden allein die Beitragszahlenden in die Verantwortung genommen. Das gefährdet das Solidaritätsprinzip massiv.“
DAK Gesundheit erhöht auf 2,8 Prozent
Auch die DAK Gesundheit, die mit knapp 5,5 Millionen Versicherten die drittgrößte Krankenkasse in Deutschland ist, erhöht ihren Zusatzbeitrag 2025. Wie die Kasse am Freitagmittag auf ihrer Internetseite mitteilt, wird der Beitrag um 1,1 Prozentpunkte steigen. Aktuell liegt der Beitragssatz bei 1,7 Prozent. Künftig beläuft er sich auf 2,8 Prozent. Bei einem durchschnittlichen Monatseinkommen von 4400 Euro (brutto) bedeutet das eine Mehrausgabe von 48,40 Euro, die sich Beschäftigte und Arbeitgeber teilen.
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Auch die DAK erklärte, dass ihre Ausgaben ein Rekordniveau erreicht hätten. Allein im Bereich der Krankenversicherung betrage das Haushaltsvolumen inzwischen mehr als 29 Milliarden Euro. Größte Kostenblöcke sind mit rund 9,5 Milliarden Euro die Krankenhausbehandlungen und mit über 5,2 Milliarden die Kosten für Arzneimittel. „Wir rechnen bei den gesamten Leistungsausgaben mit einem Anstieg von 6,3 Prozent je Versicherten“, fasste Johannes Knollmeyer, stellvertretender Verwaltungsratschef der DAK Gesundheit, die Lage am Freitag zusammen.
Krankenkassen fordern Reformen
Die Kassen sehen allesamt enormen Reformbedarf. Sie fordern auch, dass der Staat versicherungsfremde Leistungen aus Steuermitteln finanziere und beispielsweise die Beiträge für Bürgergeldbeziehende kostendeckend übernimmt.
Auch sehr viele kleinere Krankenkassen erhöhen ihren Zusatzbeitrag 2025. Die auch in NRW verfügbare Hanseatische Krankenkasse HEK wird ihren Zusatzbeitrag nahezu verdoppeln und kommt ab Januar 2025 auf 2,5 Prozent, wie die Kasse dieser Redaktion am Freitag erklärte. Versicherte der Novitas BKK müssen sich auf 2,98 Prozent einstellen, die BKK VerbundPlus landet bei 2,85 Prozent. Lediglich die BKK Euregio mit Sitz in Heinsberg hat ihren Zusatzbetrag für 2025 noch nicht bekannt gegeben. Erwartet wird das am 30. Dezember. Derzet liegt er bei 1,79 Prozent.
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Arbeitgeber und Gewerkschaften warnen vor Überlastung
Gewerkschaften und Arbeitgebervertreter warnen vor einer zu starken Belastung der Beitragszahler und fordern schnelle Reformen der Krankenversicherung. Johannes Pöttering, Hauptgeschäftsführer der Unternehmensverbände NRW, sagte, die wachsende Beitragslast belaste die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen am Wirtschaftsstandort Deutschland massiv. „Ohne ein entschlossenes Gegensteuern werden sich die Soziallasten zu einem der gravierendsten Standortnachteile Deutschlands entwickeln“, so die Warnung Pötterings.
Es räche sich, dass Politik über Jahre das Gesundheitssystem vernachlässigt und eine solide Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung versäumt habe, kritisierte auch Anja Weber, Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbunds in NRW, gegenüber unserer Redaktion. „Wir brauchen endlich eine dauerhaft tragfähige und gerechte Finanzierungsgrundlage.“ Dazu gehöre, auch Besserverdienende und Selbstständige in die gesetzliche Krankenversicherung einzubeziehen sowie Beitragsbemessungs- und Versicherungspflichtgrenze schrittweise anzuheben, so die DGB-Landeschefin.