Duisburg. Betriebsrat von Thyssenkrupp Steel erwartet harte Auseinandersetzung. DGB-Chefin: „Richtig, einen Staatseinstieg nicht auszuschließen“.
Aus der „Kraftzentrale“ sind kämpferische Reden zu hören. Mehrere hundert Stahl-Beschäftigte haben sich am Donnerstagmorgen in der großen Halle auf dem Gelände des Landschaftsparks Duisburg-Nord versammelt. Dort, wo früher schwere Maschinen ratterten, befindet sich nun ein Veranstaltungsort. An der Fassade des wuchtigen Gebäudes hängen vergilbte Fotos von Fördertürmen. Ein Currywurstverkäufer wartet auf Kundschaft. Der benachbarte Hochofen 5 ist jetzt eine Aussichtsplattform. Es ist eine Industriekulisse, die zu den Themen passt, um die sich die Betriebsversammlung dreht. Zwei der vier aktiven Hochöfen in Duisburg will der Stahlvorstand von Thyssenkrupp stilllegen. 11.000 der derzeit 27.000 Arbeitsplätze sollen abgebaut oder ausgelagert werden.
Von einem „Horrorszenario“ spricht Konzernbetriebsratschef Tekin Nasikkol nach dem ersten von zwei geplanten Treffen mit den Stahl-Beschäftigten. Von insgesamt rund 5000 Teilnehmern ist die Rede. Die Verunsicherung in der Belegschaft sei ohnehin schon groß gewesen, beschreibt Standort-Betriebsratschef Ali Güzel die Stimmung. Mit der Veröffentlichung der Stahl-Pläne des Vorstands vor einigen Tagen sei sie „umso größer“ geworden. Der Ernst der Lage lässt sich an den Gesichtern der Menschen, die um fünf Minuten nach 12 die Halle verlassen, ablesen. Einige diskutieren noch über das geplante „Outsourcing“ von Firmen, andere laufen wortlos zum voll besetzten Parkplatz.
Betriebsrat: „Wir müssen eine harte Auseinandersetzung vorbereiten“
Am Donnerstagmittag deuten die Arbeitnehmervertreter an, dass bei Deutschlands größtem Stahlkonzern ein unruhiger Jahresauftakt droht. „Wir müssen eine harte Auseinandersetzung vorbereiten“, sagt Ali Güzel und erwähnt den Monat Januar. Was der Betriebsrat vorhabe? „Die Aktionen werde ich nicht planen. Das wird die Belegschaft selber planen“, sagt Güzel. „Ich kann die Belegschaft nicht aufhalten.“ Wenn die Menschen weiterhin keine Antworten auf ihre Fragen zur Zukunft bekommen sollten, werde man sich „zu Tor 1 bewegen“. Dort befindet sich – in Sichtweite zur Firmenzentrale von Thyssenkrupp Steel – schon seit Monaten eine Mahnwache der Beschäftigten.
Die Pläne des Vorstands seien „eine Kampfansage für die Stahl-Belegschaft“, sagt Konzernbetriebsratschef Nasikkol. Er werde mit dem Management auf dieser Basis nicht verhandeln. Zunächst müsse klar sein, dass es keine betriebsbedingten Kündigungen oder Standort-Schließungen geben werde. Sprich: Der Vorstand müsste seinen Plan zur Stilllegung des Stahlstandorts Kreuztal-Eichen im Siegerland mit rund 600 Beschäftigten zurückziehen.
Yasmin Fahimi, die Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbunds (DGB), stärkt den Thyssenkrupp-Betriebsräten den Rücken. In der aktuellen Auseinandersetzung gehe es um mehr als Arbeitsplatzabbau in einem einzelnen Unternehmen, betont sie. Auf dem Spiel stehe der gesamte Industriestandort Deutschland mit seiner weitverzweigten Verbundstruktur. Hinzu komme, dass die Thyssenkrupp-Führung mit Aufsichtsratschef Siegfried Russwurm und Vorstandschef Miguel López die „Prinzipien der sozialen Marktwirtschaft in Gänze in Frage“ stelle, so die DGB-Chefin.
Das Thyssenkrupp-Management wolle „die Belegschaft und die Mitbestimmung brechen“, urteilt Fahimi. „Das kann für uns nicht akzeptabel sein.“ Die DBG-Vorsitzende erinnert in diesem Zusammenhang daran, dass Thyssenkrupp-Aufsichtsratschef Russwurm den Einstieg des tschechischen Milliardärs Daniel Kretinsky bei Deutschlands größtem Stahlkonzern im Konflikt mit der IG Metall mit Hilfe seiner sogenannten Doppelstimme im Konzernkontrollgremium durchgesetzt hat.
DGB-Chefin Fahimi nach Betriebsversammlung: „Geradezu schockiert“
Auch Fahimi hat an der Belegschaftsversammlung teilgenommen, bei der unter anderem Thyssenkrupp-Stahlchef Dennis Grimm und Transformations-Vorständin Marie Jaroni den Beschäftigten Rede und Antwort stehen sollten. Sie sei „geradezu schockiert“ angesichts der „Antwortlosigkeit“ des Managements gewesen, berichtet die DGB-Vorsitzende anschließend. Ihr Eindruck sei, dass der Stahl-Plan den zuständigen Vorständen in Duisburg vom Essener Mutterkonzern „ins Heft diktiert“ worden sei. Im Konzern sei „ein radikaler Durchmarsch“ unter Umgehung der Arbeitnehmervertreter geplant, wobei sich das Management „empathielos gegenüber den Beschäftigten“ zeige.
Dass sich Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) offen für die Option eines Staatseinstiegs bei Thyssenkrupp Steel zeigt, wird von DGB-Chefin Fahimi und Konzernbetriebsratschef Nasikkol aufmerksam registriert. „Das ist sehr schlau von ihm“, sagt Nasikkol mit Blick auf Kanzler Scholz. Ende Februar steht die nächste Bundestagswahl an. Arbeitnehmervertreter rechnen damit, dass der Kanzler zuvor in Duisburg auftreten wird. „Wir sind systemrelevant“, sagt Nasikkol mit Blick auf den größten Stahlhersteller im Land. Stahl werde auch in der Rüstungsindustrie gebraucht.
Auch Fahimi mahnt, Deutschland dürfe sich angesichts von „Fragen der nationalen Sicherheit“ nicht abhängig machen von anderen Nationen. Daher sei es „richtig, einen Staatseinstieg nicht auszuschließen“. Aber es dürfe nicht darauf hinauslaufen, dass der Staat einspringe, nur weil Thyssenkrupp-Chef López nicht bereit sei, das Unternehmen finanziell solide aufzustellen. Es dürfe keine „Umverteilungsmaschinerie über Steuergelder“ in Gang gesetzt werden.
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