Essen. Staatseinstieg bei Thyssenkrupp Steel? Top-Ökonomen Achim Truger, Clemens Fuest, Marcel Fratzscher und Jens Südekum beziehen Position.

Äußerungen von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) zu einem möglichen Staatseinstieg bei Deutschlands größtem Stahlkonzern Thyssenkrupp lösen bei führenden Ökonomen ein unterschiedliches Echo aus. „Natürlich wäre ein Staatseinstieg ordnungspolitisch die letzte Option, die man ziehen würde. Aber ich halte es für sinnvoll, dass der Bundeskanzler diese Option nicht ausschließen möchte“, sagte der „Wirtschaftsweise“ Achim Truger von der Universität Duisburg-Essen.

„Die Stahlproduktion hat strategische Relevanz zur Sicherung der Resilienz Deutschlands“, betonte Truger gegenüber unserer Redaktion. „Und der Markt wird gegenwärtig durch massive Subventionen der Konkurrenz verzerrt. Gleichzeitig ist klar, dass die enormen Investitionen zur Herstellung klimaneutralen Stahls nicht allein von den Unternehmen geleistet werden können. Der Staat sitzt also ohnehin im Boot.“

Der „Wirtschaftsweise“ Achim Truger: „Natürlich wäre ein Staatseinstieg ordnungspolitisch die letzte Option, die man ziehen würde. Aber ich halte es für sinnvoll, dass der Bundeskanzler diese Option nicht ausschließen möchte.“
Der „Wirtschaftsweise“ Achim Truger: „Natürlich wäre ein Staatseinstieg ordnungspolitisch die letzte Option, die man ziehen würde. Aber ich halte es für sinnvoll, dass der Bundeskanzler diese Option nicht ausschließen möchte.“ © AFP | JOHN MACDOUGALL

Clemens Fuest, der Chef des ifo-Instituts aus München, urteilt: „Normalerweise sollte der Staat kriselnden Unternehmen nicht helfen. Die deutsche Stahlproduktion sinkt seit vielen Jahren, weil Unternehmen aus Schwellenländern niedrigere Kosten haben und besser geeignet sind, Stahl zu produzieren. Daran müssen deutsche Unternehmen sich anpassen.“ Geopolitische Gründe können allerdings „dafür sprechen, Stahlproduktion nicht ganz abwandern zu lassen, weil unter anderem die Rüstungsindustrie im Krisenfall nicht von der Versorgung mit Stahl abgeschnitten werden darf“, sagte Fuest unserer Redaktion. „Um das zu berücksichtigen, sollte man in Kooperation mit den europäischen Partnerländern ein Sicherheitskonzept entwickeln und umsetzen. Das sollte aber unabhängig von einzelnen Unternehmen sein, die in einer Krise stecken.“ Hinzu komme, dass „über Hilfen für Thyssenkrupp sicherlich nicht zu Wahlkampfzeiten“ entschieden werden sollte, fügte Fuest hinzu. „Sonst besteht die Gefahr, dass die Sachfragen in den Hintergrund treten.“

Clemens Fuest, Präsident des ifo-Instituts: „Geopolitische Gründe können dafür sprechen, Stahlproduktion nicht ganz abwandern zu lassen, weil unter anderem die Rüstungsindustrie im Krisenfall nicht von der Versorgung mit Stahl abgeschnitten werden darf.“
Clemens Fuest, Präsident des ifo-Instituts: „Geopolitische Gründe können dafür sprechen, Stahlproduktion nicht ganz abwandern zu lassen, weil unter anderem die Rüstungsindustrie im Krisenfall nicht von der Versorgung mit Stahl abgeschnitten werden darf.“ © dpa | Sebastian Kahnert

Jens Südekum, ein weiterer Top-Ökonom aus Deutschland, äußert sich zurückhaltend zur Option Staatseinstieg. „Die gesamte deutsche Stahlindustrie befindet sich in einer Krise, wegen der schlechten Konjunktur und tiefgreifender struktureller Probleme wie den chinesischen Überkapazitäten, die zu einem Verfall der Stahlpreise am Weltmarkt geführt haben. Ein Staatseinstieg bei Thyssenkrupp würde an keinem dieser Probleme etwas ändern“, sagte Südekum, der an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf arbeitet, unserer Redaktion. „Das Unternehmen leidet ja nicht unter einem kurzfristigen Engpass, sondern muss sich grundsätzlich an schwierige neue Rahmenbedingungen anpassen.“

Warnung vor „Vollkasko-Mentalität“ von Unternehmen

Marcel Fratzscher, der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin), spricht sich gegen einen Staatseinstieg bei Thyssenkrupp Steel aus. „Ich sehe eine staatliche Beteiligung an Thyssenkrupp Steel kritisch“, sagte Fratzscher unserer Redaktion. „Wir haben in Deutschland zunehmend eine Vollkasko-Mentalität, bei der Unternehmen ihre Risiken an den Staat auslagern wollen, aber die Gewinne für sich beanspruchen. Es kann nicht sein, dass ein Unternehmen wie Thyssenkrupp eine Sparte auslagert, um dann die Verantwortung an den Staat verlagern zu wollen. Dies setzt Fehlanreize, zerstört eine Marktwirtschaft und ist ein fatales Signal an all jene Unternehmen, die solche Hilfen nicht erhalten.“

Jens Südekum von der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf: „Bei Thyssenkrupp kommen viele hausgemachte Probleme obendrauf. Die kann die Bundesregierung nicht auflösen.“
Jens Südekum von der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf: „Bei Thyssenkrupp kommen viele hausgemachte Probleme obendrauf. Die kann die Bundesregierung nicht auflösen.“ © FUNKE Foto Services | Lars Heidrich

Bundeskanzler Scholz hatte sich einen Staatseinstieg bei Thyssenkrupp Steel ausdrücklich offengehalten. „Ich nehme jetzt keine Option vom Tisch“, sagte Scholz im Gespräch mit unserer Redaktion. „Solche Beteiligungen gab es immer wieder, zuletzt bei der Meyer Werft in Papenburg, aber auch beim Energieunternehmen Uniper oder während der Pandemie bei der Lufthansa“, erklärte der Kanzler. „Unser Engagement ist zeitlich befristet und soll den Unternehmen helfen, Durststrecken zu überwinden, damit mögliche Investitionen nicht am fehlenden Eigenkapital scheitern.“

Fratzscher: „Thyssenkrupp Steel hat kein temporäres Liquiditätsproblem“

DIW-Chef Fratzscher warnt im Zusammenhang mit der Diskussion über Thyssenkrupp, der deutsche Staat mache sich „zunehmend erpressbar, wenn staatliche Hilfen missbraucht werden, um immer höhere finanzielle Hilfen einzufordern“. Dies schade letztlich dem erforderlichen Umbau der Industrie im Land. „Die ökologische und wirtschaftliche Transformation wird scheitern, wenn private Unternehmen nicht mehr Verantwortung für ihr Handeln übernehmen und der Staat zu sehr in wirtschaftliche Prozesse eingreift“, so Fratzscher. „Der Staat sollte sich primär darauf konzentrieren, bessere Rahmenbedingungen für alle Unternehmen zu schaffen und nicht nur für handverlesene nationale Champions.“

Klimafreundlicher Stahl sei zwar „eine essenzielle Vorleistung für die Zukunft der europäischen Industrie“, weshalb es auch gerechtfertigt sei, dass der Staat hier finanziell fördere, so Fratzscher. „Diese Förderung muss jedoch temporär sein und auf die Förderung von Forschung und Technologie begrenzt bleiben.“ Thyssenkrupp Steel habe bereits „großzügige Förderung für die Umstellung auf grünen Stahl erhalten“, urteilt der Ökonom. „Eine direkte Beteiligung durch Eigenkapital muss der Staat ausschließen.“ Denn: „Thyssenkrupp Steel hat kein temporäres Liquiditätsproblem wie manche Unternehmen während der Corona-Pandemie, sondern muss sich strukturell besser aufstellen.“

DIW-Chef Marcel Fratzscher: „Der deutsche Staat macht sich zunehmend erpressbar, wenn staatliche Hilfen missbraucht werden, um immer höhere finanzielle Hilfen einzufordern.“
DIW-Chef Marcel Fratzscher: „Der deutsche Staat macht sich zunehmend erpressbar, wenn staatliche Hilfen missbraucht werden, um immer höhere finanzielle Hilfen einzufordern.“ © dpa | Annette Riedl

Jens Südekum sieht jenseits eines Staatseinstieg Möglichkeiten der Politik, die Stahlhersteller in Deutschland zu unterstützen. „Wenn die Bundesregierung etwas tun will, sollte sie der Stahlindustrie insgesamt unter die Arme greifen“, sagte Südekum. „Das kann sie durch langfristige Investitionen bei Infrastruktur, Bau und Verteidigung tun, denn das kurbelt auch die Stahlnachfrage an. Diesen Effekt könnte sie durch Vorgaben für den Anteil lokaler Stahlproduktion nochmals verstärken.“ Südekum lässt such eine gewisse Skepsis mit Blick auf das Management von Thyssenkrupp erkennen. „Alle deutschen Stahlunternehmen haben gerade eine schwere Zeit“, gibt er zu bedenken. „Bei Thyssenkrupp kommen aber viele hausgemachte Probleme obendrauf. Die kann die Bundesregierung nicht auflösen.“

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