Essen/Duisburg. Im Gezerre um Sparprogramm und Mitgift für den Stahl werden die Kontrahenten persönlich. Warum das gefährlich ist und was nicht passieren darf.

Die deutsche Stahlindustrie steckt in der Krise - seit 60 Jahren. Dutzende Hütten sind für immer verschwunden und mit ihnen Hunderttausende Arbeitsplätze. Ganze 85.000 sind noch übrig, Tendenz weiter sinkend, nicht nur bei Thyssenkrupp. Dabei wird Stahl nach wie vor so ziemlich überall gebraucht – für Autos, Windräder, Strommasten, Brücken und unzählige Dinge des täglichen Bedarfs. Insgesamt hängen rund vier Millionen Arbeitsplätze in Deutschland vom Stahl ab. Allerdings nicht von deutschem Stahl. Die Frage, ob es überhaupt noch eine Stahlindustrie in Europa braucht, die weit teurer produziert als die den Weltmarkt beherrschende in China, schwebt seit Jahren als Damoklesschwert über den Hochöfen.

Nicht wenige Ökonomen antworten darauf mit „Nein“ und verweisen auf den Weltmarkt, der mehr Stahl erzeugt als gebraucht wird und auf dem europäischer Stahl kaum mehr konkurrenzfähig ist. Fast alle Politiker in Regierungsämtern sagen mit Blick auf ihre heimischen Werke und die Beschäftigten dagegen „Ja“ zum Stahl. Was ihnen aber langsam dämmert: Mit ihren Bekenntnissen ist es nicht mehr getan, sie werden sich entscheiden müssen, ob sie mit staatlicher Unterstützung ihre Stahlindustrie erhalten wollen - oder nicht. Denn Stahl aus Deutschland und Europa hat nur eine Zukunft, wenn er grün wird - und diese radikale, überaus teure Transformation schaffen die Hersteller nicht aus eigener Kraft.

Es gibt keinen Plan B für Thyssenkrupp Steel Europe

In Deutschland gibt es ein solches Bekenntnis von Bund und Land, einschließlich Milliardenhilfen für den Aufbau grüner Stahlwerke. Andernfalls hätte sich das unwürdige Gezerre um den Stahl bei Thyssenkrupp womöglich bereits erledigt. Denn einen Plan B, eine Alternative zum Umstieg auf eine klimaschonende Produktion, gibt es in Duisburg nicht. Dass nun allerdings über die Zukunft von Thyssenkrupp-Stahl im Konzern ein offener, von beiden Seiten erbittert geführter Streit zwischen Essen und Duisburg ausgetragen wird, ist hausgemacht, ist eine Causa Thyssenkrupp, die absehbar zu nichts Gutem führen kann.

Stefan Schulte, Ressortleiter Wirtschaft
Stefan Schulte, Ressortleiter Wirtschaft © FUNKE Foto Services | Lars Heidrich

Denn in diesem Konflikt ist es längst persönlich geworden, zwischen den Protagonisten der IG Metall und im Konzernvorstand, zwischen Aufsichtsräten des Konzerns und der Stahlsparte sowie in Lopez‘ Kritik an Stahlchef Osburg. Man macht sich gegenseitig das Leben so schwer wie möglich, wirft dem anderen jeweils Schönrechnerei in seinem Sinne vor, lässt keine Kompromissbereitschaft erkennen. Und der, der den Laden kaufen und in die gute Zukunft führen soll, hört und schaut sich das auf offener Bühne an: Daniel Kretinsky.

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Dass es dazu kommen konnte, hat ein lange Vorgeschichte gescheiterter Versuche, eine dauerhafte Lösung für den vom Brasilien-Desaster unter Schulz und Cromme geschwächten Stahl zu finden. Nacheinander versuchten sich die Konzernführenden Hiesinger, Kerkhoff und Merz daran vergeblich. Erst platzte der bereits unterschriebene Verkauf an den indischen Konkurrenten Tata, dann sollte der Stahl erst abgespalten und unter Kerkhoff plötzlich wieder zum Kern des Traditionskonzerns werden, schließlich arbeitete sich Martina Merz erfolglos daran ab, den Stahl doch zu verselbstständigen.

Nicht nur die Krupp-Stiftung will eine Dividende

Der Absturz aus dem Dax, eine Schrumpfkur nach der anderen, Notverkäufe vor allem von der Ertragsperle, der Aufzugsparte, permanenter Geldabfluss aus dem Unternehmen und immer nervöser werdende Anteilseigner waren die Folgen. Sie forderten, dass endlich einer aufräumen müsse, einer, der ohne Rücksicht auf Traditionen und Einzelinteressen der Sparten diese Dauerbaustelle des Industriekonglomerats abräumt. Aus ihrer Sicht verständlich. Auch die Krupp-Stiftung als größte Einzelaktionärin kann ohne frisches Geld nicht überleben und will wie jeder andere Aktionär eine Dividende sehen - historische Verantwortung hin oder her.

Nur: Setzt sie dafür auf den Richtigen? López ist erkennbar angetreten, um durchzuregieren, daraus hat er seit Amtsantritt vor gut einem Jahr nie einen Hehl gemacht. Und sich als erstes den Stahl vorgenommen, mit der seit Hiesinger bekannten Begründung, die kriselnde und unter enormen Konjunkturschwankungen leidende Schwerindustrie dürfe nicht den Gesamtkonzern runterziehen. Tatsächlich hatte der Stahl den Konzern zwischenzeitlich mit guten Gewinnen gestützt statt geschwächt, doch die neuerliche Stahlflaute seit 2023 zahlt wieder auf López‘ Argumentation ein.

Tabubruch und Basta-Rede haben Lopez nicht zum Ziel geführt

Mit Kretinsky präsentierte er sehr schnell einen potenziellen Käufer zumindest der Hälfte am Stahl, setzte seinen Einstieg mit zunächst 20 Prozent im Konzernaufsichtsrat gegen die Arbeitnehmerseite durch. Die war nicht gegen Kretinsky, sondern empört darüber, dass López sie nicht einbezogen hatte. Ein Tabubruch, der die Konzernkultur nachhaltig vergiften sollte. Dass Betriebsrat und IG Metall das nicht auf sich sitzen lassen würden, war jedem klar, bestimmt auch López. Doch er gefällt sich offensichtlich in der Rolle des Alleinregenten, gab mit einer Basta-Rede äußerlich emotionslos auch den Buhmann auf der Stahldemo vor der Zentrale in Essen.

Jedoch sitzen auf der Arbeitnehmerseite auch ein paar Alphamännchen. Einer von ihnen, IG-Metall- und Aufsichtsratsvize und Jürgen Kerner, verstieg sich gar zum Verbal-Foul an López, bei Thyssenkrupp sei man nicht „in der spanischen Arena“. Das war so unnötig wie daneben. Derlei Tiefschläge würden dem früheren Gewerkschaftschef Detlef Wetzel nicht rausrutschen, dafür lässt er als Aufsichsratsvize der Stahlsparte López auflaufen, wo er kann.

Hat der Thyssenkrupp-Chef die Montanmitbestimmung unterschätzt?

Denn im Stahl kann López anders als im Konzern seine Ziele nicht per Doppelstimmrecht des Aufsichtsratsvorsitzenden durchboxen. Und der Chefkontrolleur Sigmar Gabriel würde ihm diesen Gefallen auch nicht tun. Diese Montanmitbestimmung hat López wohl unterschätzt. Mit dem Zwischenergebnis, dass er, der durchregieren und binnen Monaten das Problem mit dem Stahl lösen wollte, feststeckt. Und die IG Metall hat nicht die Absicht, ihn aus dem Schlamassel rauszuziehen. Auch, weil ihre Protagonisten das Auftreten des früheren Siemens-Managers persönlich nehmen.

Was aber niemand ernsthaft wollen kann: Dass auch Thyssenkrupp Steel Europe in diesem Schlamassel stecken bleibt. Genau das droht aber.

Der Streit eskaliert gerade am Ausmaß des bereits verabredeten Stellenabbaus und an der Mitgift, die der Konzern seiner Stahltochter mit auf den Weg in die Eigenständigkeit geben müsste. Konzernchef López verlangt von Stahlchef Osburg ein härteres Sparprogramm, damit er weniger Mitgift zahlen muss. Osburg betreibe realitätsferne Schönrechnerei, wirft er ihm vor. 2,5 Milliarden Euro müssen reichen, findet López. Die Arbeitnehmerseite wiederum wirft López Schönrechnerei vor, weil er mit zu optimistischen Annahmen für die Stahl-Zukunft die Mitgift kleinrechne.

Thyssenkrupp: Geschlossene Stahlfront gegen López

Osburg will vier Milliarden Euro, vor allem auch, um die nötigen Investitionen stemmen zu können, ohne die er keine Zukunft für den Stahl sieht. Dafür weiß er IG Metall und Betriebsrat auf seiner Seite. Was man dazu allerdings auch wissen muss und was die Konzernspitze in Essen nicht übersehen kann: Vier Milliarden Euro wären doppelt so viel wie aktuell der gesamte Thyssenkrupp-Konzern an der Börse wert ist.

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Ganz und gar nicht unbeteiligter Zuschauer ist neben Kretinsky auch der deutsche Staat. Er gibt Thyssenkrupp zwei Milliarden Euro, um sein erstes Wasserstoff-basiertes Stahlwerk zu bauen. Weder Berlin noch Düsseldorf werden tatenlos zusehen, sollte der Konzern seine Stahltochter unterfinanziert in eine zum Scheitern verurteilte Eigenständigkeit schicken - und damit den Erfolg der Subventionen gefährden.

Die Front zwischen Duisburg und Essen ist nicht verhärtet, sondern hart wie Kruppstahl. Jemand muss sie aufbrechen, nur wie? López könnte versuchen, Osburg durch einen Vollstrecker in seinem Sinne zu ersetzen. Nur ändert das nichts daran, dass er vielleicht im Konzern durchregieren kann, aber nicht im montanmitbestimmten Stahl-Aufsichtsrat.

Kretinsky kann auch wieder abspringen, gut wäre das für niemanden

Davon abgesehen mag Kretinsky Lopez‘ Wunschkandidat sein, doch das macht ihn nicht zum willfährigen Wohltäter. Der Tscheche ist ein kühl rechnender, mit den Mechanismen kriselnder Unternehmen bestens vertrauter Investor - und als solcher ist auch er an einer möglichst hohen Mitgift interessiert. Passen die Bedingungen nicht, kann er wieder aussteigen, das hat er sich klugerweise bereits in seinen Vertrag über den 20-Prozent-Anteil schreiben lassen.

Springt Kretinsky wieder ab, fängt López wieder bei Null an. Wenn er denn darf. Er wäre nicht der erste Thyssenkrupp-Chef, den sein Scheitern an einer Stahl-Lösung den Job kosten würde.

Zudem würde Kretinskys Geld fehlen, das der Milliardär mitbrächte, um das Unternehmen zu stabilisieren. Thyssenkrupp Steel würde noch weiter in die Krise rutschen, die Mitgift für den nächsten Investor damit nicht kleiner, sondern größer. Weder die Alphatiere in Essen noch in Duisburg können daran ein Interesse haben.

Alphamännchen müssen die Sache über das Ego stellen

Am Ende sind sie gezwunen, einen gesichtswahrenden Kompromiss zu finden. Dafür müssten beide Seiten verbal abrüsten. Die große Frage wird sein, ob sie es schaffen, die Sache über das Ego zu stellen. Denn so persönlich dieser Konflikt für die Protagonisten inzwischen auch sein mag: Verlierer ist am Ende nicht ein Einzelner, sondern es sind im Zweifel Tausende Menschen und ihre Familien.