Essen/Duisburg. Beschäftigte von Thyssenkrupp protestieren im Streit um die Stahlsparte bei der Großaktionärin Krupp-Stiftung in Essen.
Stahl-Beschäftigte von Thyssenkrupp haben vor die Villa Hügel in Essen gegen den Kurs ihrer Großaktionärin protestiert. Thyssenkrupp-Konzernbetriebsratschef Tekin Nasikkol verwies dabei auf „eine historische Verantwortung“ der Krupp-Stiftung gegenüber der Stahlbelegschaft. „Es ist ernst“, sagte Nasikkol mit Blick auf die aktuelle Lage im Konzern. Daher dürfe die Stiftung jetzt nicht „stiften gehen“.
Für den Freitagmorgen hatte die IG Metall Beschäftigte von allen Standorten der Thyssenkrupp-Stahlsparte zum Protest vor der Villa Hügel aufgerufen, wo sich auch der Sitz der Krupp-Stiftung befindet. Eine Gruppe von Beschäftigten in Arbeitskleidung versammelte sich vor der Villa und skandierte: „Stahl ist Zukunft.“ Trillerpfeifen und Trommeln ertönten. Rote Fahnen der IG Metall wehten auf dem Platz vor der Villa.
In der Essener Stiftung ist das Vermögen des Essener Industriellen Alfried Krupp von Bohlen und Halbach (1907-1967) aufgegangen. Mit einem Anteil von rund 21 Prozent ist die Stiftung, die seit einigen Jahren von der früheren Dortmunder Uni-Rektorin Ursula Gather geführt wird, die größte Einzelaktionärin von Thyssenkrupp.
Einige Beschäftigte hatten Plakate und Transparente für ihren Protest vor der Villa Hügel mitgebracht. Darauf stand unter anderem: „Frau Gather, übernehmen Sie Verantwortung für Stahl.“ Oder: „Sie wollen Streit. Wir sind bereit.“ Ein Mann hat auf seinen Arbeitshelm geschrieben: „So nicht, Frau Gather.“
Für Besucher blieb der Hügel-Park am Tag des Protests gesperrt – „aufgrund eines Wasserrohrbruchs“, wie es auf der Internetseite der Stiftung hieß. Den Beschäftigten sowie Journalistinnen und Journalisten gewährte die Krupp-Stiftung indes Zutritt zum Privatgelände. Obwohl sich dies manche Beschäftigten, die zur Villa Hügel gekommen waren, wünschten, zeigte sich Stiftungschefin Gather nicht bei den Protestierenden.
Es sei doch „schon schick hier“, bemerkte Konzernbetriebsratschef Nasikkol in einer kurzen Rede vor der historischen Industriellenvilla, die heute ein Museum ist. „Wir als Stahlarbeiter haben das mitaufgebaut.“ Daher komme der Stiftung nun eine besondere Rolle zu.
Motto der Protestaktion: „Kunst oder Stahl“
Das Motto der Protestaktion laute: „Kunst oder Stahl – Das Geld muss in sichere Arbeitsplätze fließen und nicht in die Stiftung“. Mit der Aktion spielt die IG Metall auf die wohltätigen Aktivitäten der Krupp-Stiftung an. „Die Stiftung nimmt gerne die Dividenden und gibt dieses Geld für kulturelle Aktivitäten und andere gemeinwohlorientierte Projekte aus“, sagte Karsten Kaus, der Geschäftsführer der IG Metall Duisburg-Dinslaken. „Frau Gather kann nicht einerseits die Interessen von 27.000 Beschäftigten links liegen lassen und sich dann im Glanz ihrer Aktivitäten als Förderin der Kunst sonnen. Das passt nicht zusammen. In schwierigen Zeiten müssen die Menschen zuerst kommen.“
Kaus forderte die Stiftung dazu auf, die Rolle einer „Vermittlerin“ einzunehmen. Denn die Situation im Konzern sei „mehr als brenzlig“. So sei unter anderem unklar, was Thyssenkrupp mit dem Stahlwerk HKM in Duisburg vorhabe.
Als größte Anteilseignerin von Thyssenkrupp unterstützt die Krupp-Stiftung den umstrittenen Kurs von Vorstandschef Miguel López und lobt den Einstieg des tschechischen Geschäftsmanns Daniel Kretinsky in der traditionsreichen Stahlsparte des Unternehmens. Das löst Kritik der Arbeitnehmervertreter aus.
IG Metall sieht Stiftungschefin Gather „nicht an der Seite der Beschäftigten“
„Frau Gather steht nicht an der Seite der Beschäftigten“, kritisiert Arbeitnehmervertreter Klaus Wittig. „Dabei sollte gerade die Krupp-Stiftung als größte Anteilseignerin des Thyssenkrupp-Konzerns wissen, dass Eigentum verpflichtet.“
Schon am 26. April, als sich Miguel López zum Einstieg des tschechischen Geschäftsmanns zu Wort meldete, zeigte sich die Krupp-Stiftung erfreut und signalisierte dem Konzernchef Rückendeckung. Sie habe „großes Vertrauen in den Vorstand um Miguel López“, erklärte die Großaktionärin in einer Mitteilung. Stiftungschefin Gather hatte sich in den vergangenen Wochen zwar selten öffentlich zur Lage des Unternehmens geäußert, sie ließ aber ihre Ziele erkennen: López soll den Konzern mit seinen rund 100.000 Beschäftigten so aufstellen, dass er wieder Gewinn abwirft. Thyssenkrupp müsse „wettbewerbs- und dividendenfähig“ werden, betonte die Krupp-Stiftung.
Krupp-Stiftung: „Dividende ist die Grundlage unserer Existenz“
Die Thyssenkrupp-Aktien – immerhin ein Anteil von 21 Prozent – sind das gesamte Vermögen, das die Stiftung hat. Um ihre Aktivitäten finanzieren zu können, ist die Stiftung daher auf eine Dividende angewiesen. Doch fünf Mal seit dem Jahr 2011 musste sie eine Nullrunde hinnehmen. „Die Dividende ist die Grundlage unserer Existenz“, erklärte Michaela Muylkens, die seit knapp einem Jahr im Vorstand der Krupp-Stiftung ist.
Obwohl Thyssenkrupp in die Verlustzone gerutscht ist, beschlossen die Anteilseigner bei der Hauptversammlung Anfang des Jahres mit Unterstützung der Stiftung, dass eine Dividende fließen soll. Wie im Vorjahr ging es um rund 93 Millionen Euro. Etwa 19,6 Millionen Euro davon kamen der Krupp-Stiftung zu.
Seit 1968 fördert die gemeinnützige Krupp-Stiftung Projekte in Kunst und Kultur, Bildung, Wissenschaft, Gesundheit und Sport und hat dafür bislang nach eigenen Angaben im Laufe der Jahre rund 700 Millionen Euro in die Hand genommen.
Krupp-Stiftung bezeichnet Kritik als „beschämend“
Die Krupp-Stiftung wies die Kritik führender Arbeitnehmervertreter zurück und warf ihnen „Falschbehauptungen“ vor. In einem der Deutschen Presse-Agentur vorliegenden Brief an den IG Metall-Vize Jürgen Kerner und den früheren IG Metall-Chef Detlef Wetzel bezeichnete die Stiftung deren Äußerungen als „beschämend“. „Sie beschädigen damit nicht nur uns als gemeinnützige Einrichtung und als Aktionärin, sondern auch das Unternehmen insgesamt“, heißt es in dem Brief, der auf den 20. Juni datiert ist. Unterzeichnet wurde er von der Kuratoriumsvorsitzenden Gather sowie den Stiftungsvorständen Volker Troche und Michaela Muylkens. Die Stiftung sei nach ihrer Satzung zur Förderung von Wissenschaft, Bildung, Kunst und Kultur, Gesundheit und Sport verpflichtet, schreiben sie.
Diesen Stiftungsauftrag jetzt mit mangelnder Sorge um die Thyssenkrupp-Mitarbeitenden gleichzusetzen, sei „eine Verdrehung der Tatsachen und Vermischung von Sachverhalten“, heißt es in dem Brief. Wetzel hatte unserer Redaktion gesagt: „Wir reden hier von einer Stiftung, die sich gemeinwohlorientiert nennt. Ich sehe aber vor allem, dass sie kulturelle Aktivitäten fördert und dafür das Geld aus Thyssenkrupp-Dividenden einsetzen will.“
IG Metall sieht in Krupp-Stiftung Verbündete von Vorstandschef López
Die Stiftung wies auch Äußerungen von Nasikkol und Kerner, der auch stellvertretender Thyssenkrupp-Aufsichtsratschef ist, „entschieden zurück“. Der Gesamtbetriebsratsvorsitzende Nasikkol hatte gesagt: „Die Anteilseigner im Aufsichtsrat haben die Mitbestimmung in einer wegweisenden Entscheidung komplett ignoriert.“ Kerner hatte Gather in der WAZ als „große Verbündete von Herrn López“ bezeichnet, die bei López stehe „und nicht bei den Mitarbeitern“. Die Stiftung entgegnete: „Unsere Unterstützung des Kurses von Miguel López basiert auf dem Vertrauen in seine Fähigkeit, den Konzern erfolgreich umzustrukturieren und somit eine sichere Zukunft für die Mitarbeitenden zu gewährleisten.“
Die Krupp-Stiftung habe über die Jahrzehnte hinweg als Hauptaktionärin immer wieder dividendenlose Jahre in Kauf genommen, betonte die Stiftungsführung. Aus Treue zum Unternehmen habe sie es hingenommen, dass sich das Vermögen durch den Fall des Aktienkurses um 80 Prozent reduziert habe. „Diese Opfer haben wir immer wieder im Interesse der langfristigen Stabilität des Unternehmens und der Sicherung der Arbeitsplätze gebracht, weil wir daran glauben, dass Thyssenkrupp eine Zukunft hat. Allerdings braucht es dafür Veränderungen.“
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