Bottrop. Bottroper Kokerei sollte den Schadstoffausstoß verringern, stattdessen stieg er 2019 weiter an. Nun verliert die Bezirksregierung ihre Geduld.

Die Bottroper Kokerei des Stahlkonzerns Arcelor Mittal hat im vergangenen Jahr entgegen der selbst erklärten Ziele noch mehr potenziell krebserregende Schadstoffe ausgestoßen als zuvor. Die Emissionen der polyzyklischen aromatischen Kohlenwasserstoffe (PAK) lagen 2019 im Durchschnitt um mehr als das Doppelte über dem Zielwert. Der Bezirksregierung Münster ist deshalb nun der Geduldsfaden gerissen. Sie forderte das Unternehmen am Freitag auf, den als vertretbar geltenden Zielwert sofort einzuhalten. Das werde man regelmäßig unangemeldet überprüfen, versicherte ein Sprecher der Bezirksregierung unserer Redaktion, „wir kommen auch nachts“.

Bei anhaltenden Verstößen gegen die im vergangenen Jahr November erlassene Ordnungsverfügung kann die Behörde Bußgelder verhängen und im äußersten Fall die Anlage mit ihren 460 Beschäftigten auch schließen. Ob das derzeit in Rede stehe, wollte der Sprecher nicht kommentieren. Anwohner protestieren seit Monaten gegen die Belastungen durch die Kokerei, viele stellten auch Strafanzeige.

PAK-Stoffe wirken krebserregend

Laut Messungen des Landesamts für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz (Lanuv) lag das Jahresmittel der Emission von Benzo[a]pyren, das zur PAK-Gruppe gehört, bei 2,3 Nanogramm pro Kubikmeter Luft – nach 1,7 Nanogramm im Jahr zuvor. Der Zielwert ist 1,0. Bei zu hohen über die Luft aufgenommenen Mengen kann Benzo(a)pyren laut Bundesumweltamt Krebs auslösen, gentechnische Defekte auslösen, die Fruchtbarkeit beeinträchtigen und allergische Hautreaktionen auslösen. Es reichert sich auch in Gemüse an und lagert sich beim Verzehr im Körperfett an. Die Stadt Bottrop empfiehlt ihren Bürgern deshalb seit 2019, in der Nähe gepflanzten Grünkohl nicht mehr zu häufig zu essen.


Quelle sind die Kokereikammern, von denen zuletzt viele undichte Türen hatten, laut Bezirksregierung waren zwischenzeitlich rund 20 Türen schwer beschädigt. Die von Arcelor Mittal zugesagten Gegenmaßnahmen wie Mitarbeiterschulungen und Berieselungen haben den neuen Messwerten zufolge offenkundig bei Weitem nicht ausgereicht. Die Bezirksregierung verlangt deshalb nun eine Erklärung von Arcelor Mittal für die gestiegenen Werte. Das Unternehmen müsse darlegen, „welche zusätzlichen Schritte die Kokerei über die bereits vereinbarten und angeordneten Maßnahmen hinaus kurzfristig unternehmen will, um den Jahreswert künftig einzuhalten“.

Defekte Ofentüren inzwischen ausgetauscht

Die Hochfackel der Kokerei brannte weithin sichtbar wochenlang, weil die Kokereigas-Pipeline defekt war.
Die Hochfackel der Kokerei brannte weithin sichtbar wochenlang, weil die Kokereigas-Pipeline defekt war. © FUNKE Foto Services | STEFAN AREND


Laut Behörde sollten die defekten Ofentüren bis Ende Januar ausgetauscht sein, waren es aber erst am 23. Februar. Nun legt die Bezirksregierung dem Stahlkonzern auf, ab dem 1. April jede defekte Tür binnen 24 Stunden auszutauschen. „Es kann doch nicht sein, dass die benachbarte Bevölkerung über ein Jahr ihr Gemüse nicht essen kann, weil der weltgrößte Stahlkonzern nicht in der Lage ist, eine Kokerei ordnungsgemäß zu betreiben“, schimpft Ulrich Tückmantel, Sprecher der Bezirksregierung Münster.


Am kommenden Dienstag will die Bezirksregierung mit dem Lanuv und der Stadt Bottrop weitere Einzelheiten bekanntgeben. Dazu gehören dann auch neue Werte des Grünkohl-Messprogramms. Im vergangenen Mai hatte die Stadt empfohlen, Blattgemüse nur noch eingeschränkt oder gar nicht mehr zu verzehren – je nach Lage des Gartens. Angesichts der gestiegenen Schadstoffwerte, die an den 17 Luftmessstellen des Lanuv dokumentiert wurden, ist es schwer vorstellbar, dass der „Grünkohl-Erlass“ aufgehoben wird.

Arcelor-Mittal will Zielwert „so schnell wie möglich einhalten“


Das Unternehmen hatte bei einem Besuch unserer Redaktion in der Kokerei unlängst versichert, es werde die Durchlässigkeit der Ofentüren verringern und „so schnell wie möglich“ den Zielwert einhalten. Auf das Schreiben der Bezirksregierung vom Freitag erwiderte Arcelor-Mittal, kontinuierlich in die technische Verbesserung der Anlagen zu investieren. Alle mit der Bezirksregierung festgelegten Maßnahmen würden am Standort umgesetzt, das Unternehmen sei „von der mittelfristigen Wirksamkeit der Maßnahmen“ überzeugt. Nach dem Austausch der defekten Ofentüren habe man die vorbeugenden Instandhaltungsmaßnahmen „dahingehend verändert, dass erneut auftretende Undichtigkeiten sofort erkannt und auch umgehend behoben werden“, versicherte der Konzern. Zudem habe man zwei eigene Messstellen aufgestellt, deren erste Werte aus dem Januar „bereits deutliche Verbesserungen“ zeigten.

Der Standort ist auch betriebswirtschaftlich erheblich unter Druck, weil er wegen eines Pipeline-Lecks sein Kokereigas wochenlang nicht weiterleiten konnte und stattdessen abfackeln musste. Und noch ist unklar, wer es künftig überhaupt abnehmen wird, wenn die Steinkohlekraftwerke der Region, etwa in Herne, ihren Betrieb einstellen. Arcelor-Mittal versicherte nun: „Trotz der wirtschaftlich angespannten Lage werden die geplanten umweltrelevanten Investitionen umgesetzt.“ Der Konzern erhöhe seine Investitionen am Standort von fünf auf zehn Millionen Euro jährlich , das werde „weitere signifikante Umweltverbesserungen mit sich bringen“.