Oberhausen. In der Pandemie drehen Restaurants jeden Euro um und ächzen unter Lieferando-Gebühren. Unternehmer aus dem Ruhrgebiet bieten Alternativen an.

2100 überwiegend positive Bewertungen zeugen davon, dass Selim Sejdiu seit Jahren erfolgreich Pizza und Pasta auf der Online-Bestellplattform Lieferando anbietet. Dennoch sagt der Chef einer Oberhausener Pizzeria: „Wenn ich könnte, würde ich sofort gehen, aber Lieferando ist unschlagbar. Sie bringen uns Kunden – und nehmen gleichzeitig unsere Gewinne.“ Die Zwickmühle wollen zwei junge Unternehmer aus dem Ruhrgebiet auflösen und bieten mit „lokal-essen.com“ eine Alternative zum Branchenführer. Es ist nicht die einzige im Revier.

Der Anteil der Deutschen, der sich über Online-Plattformen sein Essen nach Hause bestellt, steigt – mehr als jeder fünfte tat das bereits während der Corona-Pandemie, wie eine repräsentative Befragung des Digitalverbandes Bitkom ergab. Hierzulande profitiert vor allem Lieferando. Nach dem Kauf der Delivery Hero-Marken wie Lieferheld und Foodora dominiert der Service den Markt, wickelte 2020 rund 112 Millionen Bestellungen ab und verbuchte ein Plus von 43 Prozent zum Vorjahr. Dafür stellt Lieferando den über 20.000 angeschlossenen Restaurants allein die Vermittlung über die Plattform mit 13 Prozent Provision pro Bestellung in Rechnung, wenn der Kunde nicht selbst abholt. Liefert auch noch ein Lieferando-Bote aus, werden gar 30 Prozent fällig. Das nimmt derzeit nur jeder zehnte Gastronom in Anspruch.

Angebot aus Oberhausen: „Essen bestellen, aber fair!“

Amir Benjamin Balde machen die Gebühren sauer. „Telefonanbieter bekommen auch keine Prozente für die Vermittlung“, sagt der 19-jährige Oberhausener und hat seiner Anwendung „lokal-essen.com“ gemeinsam mit Partner Tobias Klein (17) den Slogan „Essen bestellen, aber fair!“ verpasst. Gastronomen können dort kostenlos ihre Menüs anbieten, Kunden entweder über den Browser oder per Android-App bestellen. Gut 500 Downloads der App im frühen Zugang und rund 50 Restaurants aus Oberhausen, Mülheim und Duisburg weisen die Unternehmer bislang vor.

„Das Anbieten und Bestellen soll auch in Zukunft kostenlos bleiben“, betont Balde. Geld einnehmen möchten er und sein Partner mit dem Verkauf besserer Listenplätze für Restaurants oder Premiummodellen für Kunden, die Rabatte oder Gutscheine beinhalten. Die Expansion im Ruhrgebiet sei geplant.

Pizzabäcker zahlt mehrere tausend Euro pro Monat an Lieferando

Pizzabäcker Selim Sejdiu ist überzeugt, hat Sticker und Flyer bei sich im Laden liegen. „Ich würde auch sofort fünf, sechs Prozent bezahlen“, sagt der Gastronom, der bei Lieferando zu Beginn ähnliche Sätze hatte abführen müssen. „Jetzt sind es 15 Prozent plus Bearbeitung. Ich habe versucht zu verhandeln, aber die Antwort bekommen: Akzeptiere es oder kündige. Im Monat zahle ich deshalb schon mal 5000 bis 6000 Euro.“ Beträge, die durch die Corona-Einschränkungen doppelt weh tun.

Pizzabäcker Selim Sejdiu ist überzeugt von „lokal-essen.com“, an seiner Pizzeria in Sterkrade klebt jetzt ein Aufkleber der jungen Gründer.
Pizzabäcker Selim Sejdiu ist überzeugt von „lokal-essen.com“, an seiner Pizzeria in Sterkrade klebt jetzt ein Aufkleber der jungen Gründer. © FUNKE Foto Services | Fabian Strauch

Lieferando hat auf die Pandemie-Lage reagiert und vermittelt bzw. liefert für neu angemeldete Restaurants ab Listung vier Wochen lang kostenlos. Darüber hinaus seien Zahlungsaufschübe für nachweislich stark von der Pandemie betroffene Restaurants möglich, wie das Unternehmen mitteilt. Für Bestandskunden gab es dagegen im November einen Rabatt bei der Auslieferung.

Dehoga-Sprecher: Gewinn landet häufig bei den Portalen

Die Abhängigkeit von dieser Art des Geschäfts sei durch das Abhol- und Liefergeschäft als einziger Vertriebskanal mit Sicherheit größer geworden, erklärt Thorsten Hellwig als Sprecher des NRW-Hotel- und Gaststättenverbands Dehoga. Wegen der hohen Provisionssätze sieht Hellwig eine zwiespältige Beziehung zwischen den Portalen und den Restaurants mit dem wichtigen Nutzen einerseits, der andererseits aber sehr teuer eingekauft werden müsse. „Häufig verbleibt ein Großteil der Wertschöpfung bei den Portalen.“

„Unser Fokus gilt der Höhe der Provisionen, die jetzt schon sehr hoch sind. Manche Gastronomen wünschen sich eine Deckelung, wie es sie teilweise in den USA schon gibt“, teilt der Dehoga-Sprecher mit und hofft auf einen „vitaleren Markt mit mehreren unterschiedlichen Anbietern“. Denn: „Monopolartige Strukturen sind selten gesund.“

Alternative Angebote im Sauerland und in Herne

Initiative im Zuge der Pandemie gibt es aus NRW durchaus, wie nicht nur das Beispiel der Oberhausener zeigt. Als „Lieferando für Schmallenberg“ bezeichnete Kay Schulte vergangenes Jahr die Web-App „Schmallenberger Food-Service“, auf der er zusammen mit Partner Daniel Rawe die Gastro-Angebote von über 20 Restaurants aus dem Städtchen im Sauerland bündelte und teilweise auch Bestellungen vermittelte. Die „schnelle Lösung für Restaurants in Not“ schlummerte in den vergangenen Monaten ein wenig vor sich hin, wie Rawe bemerkt, er spricht von aktuell rund 4000 Benutzern bei Android und Apple. Eine Zukunft über den kommenden Monat hinaus sei noch ungewiss.

Auch interessant

Inzwischen regional und national unterwegs sind dagegen Torsten Dolata und die Herner Digital-Wegweiser von Intalogy – mit ihrer webbasierten Anwendung „Localstar“. „Gegen ein Portal wie Lieferando kommen wir nicht an. Deswegen sind wir einen anderen Weg gegangen“, erzählt der Chefentwickler und programmierte eine Anwendung, mit der sich Restaurants einfach zugänglich und schnell einen eigenen Onlineshop mit Bestellmöglichkeit einrichten können. Ohne „Chichi und Gebühren“, wie die Website der Herner verspricht.

Einzelhandel soll auch profitieren

Der Link dazu könne dann etwa über Facebook geteilt werden, erläutert Dolata und nennt 100 Unternehmen von Herne bis Dresden, die seit vergangenem Jahr rund 3700 Bestellungen generiert hätten. Als „Visitenkarte“ und zum Knüpfen von Kontakten solle die Software kostenlos bleiben, bemerkt der Entwickler und plant, neben den Gastronomen die Einzelhändler noch stärker einzubinden. Eine Fortsetzung nach der Pandemie ist angedacht – als Hilfe zur Selbsthilfe mit dem Katalysator Digitalisierung.