Essen. Lieferdienste profitieren von der Corona-Krise, können den Ansturm aber kaum bewältigen. Picnic, Lieferando & Co. kämpfen um neue Mitarbeiter.
Wenn Restaurants schließen müssen und die Leute möglichst nicht mehr vor die Tür gehen sollen, ist klar, wer mit am meisten von der Corona-Krise profitiert: Lieferdienste. Nach einer Umfrage unserer Redaktion unter führenden Anbietern stoßen sie aber bereits an ihre Grenzen, können den gewaltigen Ansturm kaum noch bewältigen, die versprochenen Lieferzeiten oft nicht mehr einhalten. Es fehlen Fahrer, Fahrzeuge und auch manche Waren.
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Mit den ersten Coronafällen in NRW gingen etwa beim Online-Supermarkt Picnic die Anmeldungen und Bestellungen durch die Decke. „Die Nachfrage ist vor dreieinhalb Wochen sprunghaft gestiegen“, sagt Frederic Knaudt, einer der Mitgründer von Picnic in Deutschland, „seit vergangener Woche kommen jeden Tag rund 2500 Neukunden hinzu“. Die landen freilich erst einmal auf der immer länger werdenden Warteliste – aktuell stehen mehr als 60.000 Kunden darauf. „Unser Grundprinzip ist es, nur so viele in unseren Shop zu lassen, wie wir auch beliefern können“, erläutert Knaudt. Das sind derzeit gut 80.000 Kunden in NRW, davon viele im Ruhrgebiet.
Picnic: Täglich 2500 neue Kunden
Doch es kommen nicht nur Kunden hinzu, die alten bestellen auch mehr. Insgesamt sei die Nachfrage um knapp 50 Prozent gestiegen, teilt Picnic mit. Wie in jedem analogen Supermarkt auch werden vor allem Klopapier, Seife und andere Hygieneartikel sowie haltbare Lebensmittel deutlich häufiger und in größeren Mengen bestellt, „zehnmal so viel wie sonst“, sagt Knaudt. Die Versorgung sei gesichert, beim Klopapier gebe es aber Engpässe. Picnic hat in den vergangenen Wochen mehr als 100 neue Mitarbeiter eingestellt und sucht weitere, um dem Ansturm Herr zu werden und möglichst bald auch die Zehntausenden Kunden auf der Warteliste beliefern zu können.
Der in Bochum gegründete Biolebensmittel-Lieferant Flotte Karotte ist kleiner, wuchs bisher stetig, nun aber deutlich stärker. Die Kundenzahl sei in den vergangenen Wochen von 2000 auf 2300 gestiegen, sagt Inhaber Christian Goerdt. Mehr könne man nicht beliefern, nehme deshalb nur noch in Notfällen neue Kunden auf, etwa besonders gefährdete Ältere und Menschen aus Risikogruppen, die nicht mehr selbst einkaufen können oder sollten.
Flotte Karotte nimmt Neukunden nur im Notfall
Die Bestellungen seien aktuell rund ein Drittel größer als üblich. Weil neue Kunden hinzukämen und die Bestandskunden häufiger bestellten, würden derzeit bis zu 50 Prozent mehr Waren ausgeliefert, sagt Goerdt. Er müsse nun darauf achten, wie seine rund 50 Mitarbeiter das enorme Pensum durchhielten. Dass derzeit niemand in Urlaub und kaum jemand krank sei, helfe dabei.
Lieferando, der Marktführer bei der Lieferung fertiger Gerichte, hat nach der Schließung der Gastronomiebetriebe „einen wesentlichen Anstieg der Anfragen durch Restaurants feststellen können“, wie die niederländische Mutter Takeaway auf Anfrage mitteilte. Viele Wirte, die ihre Läden geschlossen halten müssen, sehen nun die Lieferung als einzige Alternative. „Gleichzeitig haben sich allerdings auch viele Restaurants auf der Plattform dazu entschlossen, ihre Türen komplett zu schließen“, erklärt Takeaway. Lieferando kann also derzeit von einigen bisherigen Partnern nicht mehr ausliefern, dafür von einigen Neulingen.
Lieferando braucht derzeit auch mal länger
„Aktuell können wir der Nachfrage gerecht werden“, betont Lieferando, räumt aber ein, die sonst versprochene Lieferzeit von höchstens 30 Minuten könne nun „in einzelnen Fällen manchmal etwas länger dauern“. Man arbeite daran, seine Logistik auszubauen und suche wie sonst auch stets nach neuen Kurieren.
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Um neue Fahrer wirbt derzeit die gesamte Branche, auch der Getränke-Bringdienst Flaschenpost sucht händeringend. Wie der Versandriese Amazon bemüht auch Flaschenpost dabei die „Solidarität gegenüber anderen Unternehmen“, indem „wir auch gerne kurzfristig Arbeitnehmer aus anderen Branchen“ übernehmen. Amazon hatte gezielt Beschäftigte aus der Gastronomie und dem Einzelhandel angesprochen, deren Betriebe derzeit dicht sind.
Flaschenpost wirbt um Mitarbeiter anderer Branchen
Der in der Getränkebranche nicht unumstrittene Lieferdienst hat bereits ein rasantes Wachstum hinter sich. Die Corona-Krise sorgt nun für einen weiteren starken Anstieg der Bestellungen. Um alle Bestellungen annehmen zu können, nehme man „bewusst eine Einschränkung der Servicequalität zugunsten einer Sicherstellung der Versorgung aller unserer Kunden in Kauf“, teilt das Unternehmen mit.
Soll heißen: Die zugesagte Lieferzeit von maximal zwei Stunden kann derzeit „nicht immer eingehalten werden“, räumt Flaschenpost ein und bittet seine Kunden um Verständnis für die Verzögerungen. Man habe zudem auf die veränderten Wünsche seiner Kunden reagiert und Haushaltsartikel, Drogeriebedarf sowie Lebensmittel zur Grundversorgung ins Sortiment genommen. Man wolle auch für „Menschen, die sich bereits in Quarantäne befinden“, die Versorgung sicherstellen.
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Um die Ansteckungsgefahren zu minimieren, haben alle befragten Unternehmen auf eine kontaktlose Lieferung umgestellt. Bezahlt wird online, die Lieferung vor der Tür abgestellt. Alle Dienste gaben zudem an, strenge Hygienevorschriften in ihren Logistikketten zu pflegen.