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„Es ist ein Riesenerfolg, wenn man ein totgesagtes Unternehmen retten kann“: Karstadt-Insolvenzverwalter Klaus Hubert Görg zeigt sich im Interview mit der WAZ-Gruppe stolz über den Verkauf und nimmt Stellung zu seiner 25-Millionen-Euro-Vergütung.
Turbulente Tage und Wochen liegen hinter Insolvenzverwalter Klaus Hubert Görg. Seit dem 9. Juni 2009 war er der Chef im Hause Karstadt. Nun zieht sich der 69-Jährige zurück. Der neue Eigentümer Nicolas Berggruen hat ab sofort das Sagen. Er soll die Essener Warenhauskette mit ihren 25.000 Mitarbeitern in die Zukunft führen. Und Görg zieht in einem seiner seltenen Interviews eine persönliche Bilanz.
Herr Görg, Sie waren an den Insolvenzverfahren Babcock Borsig, Kirch Media, AgfaPhoto und zwischenzeitlich auch bei Philipp Holzmann beteiligt. Ist Arcandor Ihr schwierigster Fall gewesen?
Klaus Hubert Görg: Uneingeschränkt ja. Schauen Sie sich alleine das Volumen an, um das es geht. Wir reden im Fall Arcandor von 42 Gesellschaften, für die ich Verantwortung trage. Ohne mein Team wäre das schon physisch nicht zu bewältigen. In den meisten Verfahren, die ich vorher erlebt habe, konnte ich mich noch um die meisten Details kümmern. Hier geht das nicht mehr, was auch kein sehr angenehmes Gefühl ist. Aber es ist eben so. Man muss es so nehmen, wie es kommt.
Lassen Sie uns Bilanz ziehen. In welchem Zustand übergeben Sie Karstadt an den neuen Eigentümer Nicolas Berggruen?
Görg: Es ist ein Riesenerfolg, wenn ein Insolvenzverwalter ein totgesagtes Unternehmen über Wasser halten kann und einen Käufer für das Unternehmen findet. Im Moment laufen die Geschäfte besser, als wir es geplant hatten. Wir haben in den vergangenen zwölf Monaten 3,3 Milliarden Euro umgesetzt. Und die Gewinnmargen sind in unserer Verantwortung gestiegen. Wir haben also eine Menge getan. Und für alle Beteiligten ist es ein ungeheurer Vorteil, wenn die Geschäfte fortgeführt werden können, weil frisches Geld und neue Ideen kommen.
Welche Chancen geben Sie Karstadt in der Zukunft?
Görg: Ich glaube, dass Karstadt – vernünftig betrieben – eine sehr klare Existenzberechtigung hat. Wir sehen, dass wieder mehr Menschen in der Stadt einkaufen wollen. Das Alsterhaus in Hamburg, das KaDeWe in Berlin und das Münchner Oberpollinger sind sicherlich schon jetzt auf dem Stand der Zeit. Und die anderen Häuser von Karstadt haben auch ein gutes Potenzial.
Warum soll Nicolas Berggruen gelingen, was vielen anderen Eigentümern vor ihm nicht gelungen ist?
Görg: Ich verspreche mir Schwung von Berggruen. Er ist ein Strahlemann, der Leute für sich gewinnen kann. Ich glaube, er ist in der Lage, Karstadt gut zu führen. Viele seiner Vorgänger haben sich ja nicht wirklich mit Karstadt beschäftigt. Sie haben Unternehmen gekauft und verkauft, aber nach meinem Eindruck gab es keine richtige Kaufhaus-Mannschaft. Es sind auch Investitionsmittel nicht so in die Warenhäuser geflossen, wie es hätte sein müssen. Zum Teil sind sie sogar regelrecht fehlgeleitet worden.
Sie sprechen von Ex-Konzernchef Middelhoff. Welche Fehler hat das Management gemacht?
Görg: Es war keine Substanz mehr vorhanden. Hier wurde, wie ich das früher einmal gesagt habe, der Staub aus den Ecken gekehrt. Bei Karstadt haben wir kaum mehr angefunden als einen Warenbestand, der teilweise nicht einmal bezahlt war. Es gab jede Menge Geschäftsbeziehungen und Kundenrenommee, aber nichts Handfestes.
Sie haben Schadenersatzklagen gegen einige Manager angekündigt. Wie ist der Stand der Dinge?
Görg: Es gibt eine neuerliche Welle, die wir lostreten mussten, leider. Die Geschäftsführer von konzernabhängigen Tochtergesellschaften haben ihre gesetzlichen Pflichten nicht vollständig erfüllt. Jeden Abend ist Geld von der Konzernzentrale abgezogen worden und deshalb haben diese Geschäftsführer nie freie Verfügung über ihr Stammkapital gehabt, doch das muss ein Geschäftsführer haben. Dafür haftet er auch persönlich. Hinzu kommen Verlustausgleichsverträge. Defizitäre Tochtergesellschaften haben einen Anspruch, dass die Konzernmutter den Verlust einmal jährlich ausgleicht. Das ist auch nicht passiert. Das ist in die Bilanz geschrieben worden und Geld ist in die große Kasse gekommen und weg war es.
Um wie viele Manager geht es?
Görg: Um eine ganze Reihe. In vielen Fällen bekommt man ein regelrecht schlechtes Gewissen, wenn man diesen Menschen an die Jacke fassen muss. Sie waren meist nicht mehr als Abteilungsleiter, die dann befördert wurden. Aber die Rechtsprechung ist da ziemlich eindeutig. Wir werden das in ein paar Musterprozessen zu klären versuchen. Der Insolvenzverwalter muss so handeln, denn er haftet den Gläubigern dafür, dass er naheliegende Rechtsansprüche auch verfolgt.
Das Bedauern der Schadenersatzklagen gilt grundsätzlich?
Görg: Nein, im Fall von Herrn Middelhoff gewiss nicht.
Sie werfen ihm vor, Häuser seien unter Marktwert verkauft und zu überhöhten Kosten zurückgemietet worden.
Görg: Ja, die Klageschrift ist längst abgeschickt. Eine Klageerwiderung ist noch nicht da. Da ist kein kurzfristiges Ergebnis zu erwarten. Das wird Jahre dauern. Jedenfalls habe ich in diesem Fall kein schlechtes Gewissen.
Wie bitter war es für Sie, dass es für Quelle am Ende abgewickelt wurde?
Görg: Natürlich tat das weh. Ein Verwalter, der ein Ding wie das hier ohne emotionale Bindung macht, der kann es nicht. Man muss sich identifizieren, sonst ist das keine Aufgabe, die zu bewältigen ist. Man muss sehr schnell zum Wir-Gefühl kommen. Aber bei Quelle war die Sache leider aussichtslos. Bei Karstadt läuft das Geschäft durch Ware gegen Geld. Bei Quelle lautet das Prinzip: Ware gegen Rechnung. Von der Rechnung hat man aber erst etwas nach ein paar Wochen. Die Folge war, dass nichts in der Kasse war. Als die Valovis Bank, die bei Quelle die Zwischenfinanzierung übernahm, ausstieg, war dies das Todesurteil.
Was ist von Quelle übrig geblieben?
Görg: Wir verwalten noch heute 450.000 Kundenkonten bei der Quelle. Es gibt noch durchschnittlich 2000 Anrufe pro Tag im Call-Center, wir beschäftigen noch über 250 Leute. Das ist ein gewaltiger Marktzugang.
Man hat den Eindruck, dass mancher immer noch von der großen Warenhaus-Fusion in Deutschland träumt.
Görg: Vielleicht ist sie ja auch sinnvoll. Das kann ich als Insolvenzverwalter nicht beurteilen. Ich muss versuchen, den Laden über Wasser zu halten. Aber klar ist: Ich hätte einer Warenhaus-Fusion nicht im Wege gestanden.
Haben Sie denn mit Metro-Chef Cordes ernsthaft über eine Fusion geredet?
Görg: Ich habe bis zum Schluss versucht, von Herrn Cordes ein konkretes Angebot zu bekommen. Er hatte doch alle Details zu den Mitarbeitern und Häusern. Zuletzt habe ich mit ihm am 7. Juni morgen im Auto auf der Fahrt nach Essen gesprochen. Das war vor der Sitzung des Gläubigerausschusses. Leider hat Herr Cordes nie genau gesagt, wie viele Häuser er zu welchem Preis kaufen wollte. Aber wenn da nichts kommt, kommt nichts.
Es wurde viel und sehr kritisch über Ihre Vergütung gesprochen. Welches Honorar bekommen Sie?
Görg: Die Vergütungsverordnung für Insolvenzverwalter orientiert sich an den Volumina und an der Verantwortung, um die es hier geht. Die Vergütung für mein Team und mich wird rund 25 Millionen Euro betragen. Die Verordnung hätte im Übrigen fast 50 Millionen Euro ermöglicht. Die Gerichtsgebühren werden im Karstadt-Verfahren ungefähr zehn Millionen Euro ausmachen.
Sie verzichten also aufeinen zweistelligen Millionenbetrag?
Görg: Verzicht würde ich nicht sagen. Das hat etwas mit Augenmaß zu tun. Man muss auch vor sich rechtfertigen, was man macht. Rund 25 Millionen Euro sind zweifellos eine enorme Summe. Es hat eine Fülle von Menschen unter enormer Anspannung und mit großer Verantwortung dafür gearbeitet und erhebliche Risiken in Kauf genommen. So furchtbar ungerecht empfinde ich die Vergütung also nicht.
Würden Sie das Mandat noch einmal annehmen?
Görg: Diese Frage ist töricht, weil man sie gar nicht beantworten kann. Aber wenn Sie mich fragen, mit welchen Gefühlen ich das Mandat jetzt sehe, dann sage ich Ihnen: Ich freue mich so über den Erfolg, dass ich es mit diesen Aussichten wohl nochmal täte.
Was kommt nun? Nur „zu Hause Rasen mähen“, wie Sie einmal gesagt haben, wird es wohl nicht sein.
Görg: Die Verlockung, Rasen zu mähen, ist sehr groß. Aber ob ich das schaffe, mich darauf zu beschränken, weiß ich noch nicht.