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Wenn man es ernst meine mit dem Klimaschutz und der Wettbewerbsfähigkeit des Standortes D, dann ist eine längere Laufzeit für Atomkraftwerke unverzichtbar, betont der Chef des Thyssen-Krupp-Konzerns im Interview.

Welche Erwartungen hat ein Stahl- und Technologiekonzern an die neue rot-grüne Minderheitsregierung in NRW?

Ekkehard Schulz: Als Unternehmen werden wir mit jeder Regierung zurechtkommen. Da wir unsere Entscheidungen langfristig treffen, sind wir aber auf entsprechende Rahmenbedingungen angewiesen. Ich hoffe sehr, dass wir hier in NRW Industrieland bleiben. Dazu aber brauchen wir auch wettbewerbsfähige Energiepreise.

Mittels Atomstrom?

Schulz: Die Verlängerung der Laufzeiten um wenigstens zehn Jahre ist aus industriepolitischer Sicht unverzichtbar. Ohne diesen Schritt weiß ich nicht, wie unsere Klimaschutzziele und wettbewerbsfähige Energiepreise erreichbar sein sollen.

Glauben Sie, dass Sie damit von den Grünen ein klares Bekenntnis zum Industriestandort NRW bekommen?

Schulz: Das wird schwierig. Ich sehe, dass die Agenda der Grünen eine andere ist. Wir können als Industrieunternehmen nur auf die Notwendigkeiten und die Bedeutung der Industrie hinweisen.

Die da wäre?

Schulz: Ein zentraler Beitrag zur Stabilität. Die Industrie steuert in Deutschland ein Viertel zur gesamten Wirtschaftsleistung bei. Und Staaten, die wie England oder Frankreich den Industrieanteil zurückgefahren haben, sind sehr viel schlechter durch die Krise gekommen als wir. Das setzt aber gleiche Wettbewerbsbedingungen voraus. Und Energie wird dabei ein wachsender Faktor.

Dann müssen Sie zu den Grünen eine Verbindung aufbauen und sie überzeugen.

Guter Draht zu Rüttgers

Schulz: Es gibt Gesprächskreise, die die Wirtschaft der Politik anbietet. Wir sind völlig offen gegenüber allen politischen Richtungen. Allerdings ist das Interesse an solchen Gesprächen unterschiedlich ausgeprägt. Wir werden auf die Regierungsparteien zugehen und unsere Themen einbringen, sobald die Regierungsbildung abgeschlossen ist.

Hatten Sie einen guten Draht zu Rüttgers?

Schulz: Ja, sowohl persönlich wie auch als Konzernchef habe ich ein gutes Verhältnis zu ihm.

Die Politik war verlässlich?

Schulz: Ja. Ich habe keine anderen Erfahrungen gemacht, Zusagen wurden eingehalten, übrigens auch von den Ministerpräsidenten Steinbrück und Clement. Und das wird sicherlich auch bei Hannelore Kraft so sein.

Die rot-grüne Minderheitsregierung ist aus Sicht der Wirtschaft also halb so wild?

Schulz: Na ja, man hätte sich auch etwas mehr Stabilität vorstellen können, als dies eine Minderheitsregierung verspricht. Nochmal: Wir als Unternehmen planen langfristig. Es ist für uns völlig undenkbar, unsere Investitionsentscheidungen von Wahlperioden abhängig zu machen.

Ist Deutschland als Industriestandort noch wettbewerbsfähig?

Schulz: Das kann man so pauschal nicht beantworten. Das kommt auf die Branchen an. Eine Studie der US-Handelskammer hat ergeben, dass Deutschland immer noch der beliebteste Investitionsstandort in Europa ist. Das gilt auch in hohem Maße für unsere Bereiche, aber eben nicht für alle. Brasilien, wo wir jetzt ein großes Stahlwerk angefahren haben, ist weltweit der kostengünstigste Stahlstandort.

Wird es hierzulande schwerer, große Industrieprojekte durchzusetzen?

Schulz: Es wird in dem Maße schwieriger, in dem die meisten Menschen in gesichertem Wohlstand leben und sich wenig Gedanken darüber machen, woher dieser Wohlstand kommt und wie er bewahrt wird. Ja, die Akzeptanz für Großprojekte schwindet. Da ist Aufklärung erforderlich.

China ist schneller

Was kann China, was wir nicht können?

Schulz: Geschwindigkeit ist der entscheidende Punkt. In einem solchen politischen System ist es natürlich leichter, schnell zu sein. Wenn China einen Fünfjahresplan verabschiedet, zieht es den auch durch. Aber auch die anderen Asiaten sind deutlich schneller als wir. Unsere Entscheidungen fallen zu langsam.

Da müssen Sie sich Sorgen machen: Mit dem Fünfparteien-System wird’s vermutlich nicht schneller gehen.

Schulz: Stimmt. Unsere föderale Demokratie mit jetzt fünf Parteien macht die Sache nicht einfacher. Hinzu kommt ja noch eine Administration in Brüssel, die immer mehr an Einfluss gewinnt, aus meiner Sicht in der Koordinierung der Wirtschaftspolitik auch gewinnen muss. Wir brauchen beispielsweise ein europäisches Rohstoff- und Energiekonzept.

Also zu viele Hierarchien?

Schulz: Brüssel, Berlin, Düsseldorf, einschließlich der Zwischenebenen sind es sogar noch mehr Ebenen. Das schafft keine Geschwindigkeit. Wir haben wie andere Unternehmen auch eine Führungsebene herausgenommen, um schneller zu werden.

Welche Entscheidungsebene würden Sie denn herausnehmen?

Schulz: Eine grundlegende Föderalismusreform wäre ein erster Schritt, aber der ist ja gescheitert. Da an solchen Reformen immer auch Posten, Arbeitsplätze und Einfluss hängen, sehe ich da kaum Chancen.

Ihr Nachfolger Heinrich Hiesinger kommt von Siemens, was vielfach zu der Vermutung geführt hat, dass nun die Technologiesparte zu Lasten des Stahls ausgebaut wird.

Schulz: Das ist falsch. Ich sehe diese Personalentscheidung als konsequente Fortsetzung unserer Strategie. Wir hatten 2006 entschieden, 20 Milliarden je zur Hälfte in Stahl und Edelstahl sowie in die Division Technologies zu investieren. Dann ist unser Stahlwerk in Brasilien teurer geworden, hinzu kam die Weltwirtschaftskrise, so dass der Ausbau von Technologies verschoben werden musste. Jetzt wird er eben nachgeholt.

Dramatisch steigende Preise

Da ist Hiesinger der richtige Mann?

Schulz: Sein Hintergrund sind Industrie und Technologie, er ist Ingenieur und bringt die Erfahrung von Siemens mit. Die Strategie im Stahl steht, hier geht es jetzt darum, die Produktion und die Ergebnisse hochzufahren. Da stehen keine strategischen Veränderungen an. Die Division Technologies wird ausgebaut. Da können wir uns nur glücklich schätzen, dass wir mit Herrn Hiesinger jemanden gewonnen haben, der das Geschäft gut kennt.

Gleichwohl wird das Stahlgeschäft ungemütlicher. Die Rohstoffpreise explodieren, getrieben durch Oligopole.

Schulz: Das Geschäft wird dadurch einige Jahre schwieriger werden. Erstmals seit dem Zweiten Weltkrieg haben die Erzlieferanten die Verträge von Jahres- auf Vierteljahresbasis umgestellt. Die Preise sind dramatisch gestiegen. Aber das wird sich beruhigen, die Bäume wachsen auch da nicht in den Himmel.

Woher die Zuversicht?

Schulz: Erze gibt es auf der Welt genügend. Und auch die Kapazitäten zur Versorgung der Weltstahlindustrie sind gegeben. Hohe Investitionen werden bald zu einem höheren Angebot führen. Dann kommt die Normalisierung. Bis dahin müssen auch unsere Kunden einsehen, dass wir keine Jahresverträge mehr anbieten können. Das Preisniveau wird sich insgesamt nach oben verschieben.

Und die Gewinnmargen werden enger?

Schulz: In der Übergangsphase ja. Dennoch sind wir zuversichtlich, dass wir unsere Ziele, die wir uns im Stahl vorgenommen haben, erreichen werden.

Ist die Frage der Rohstoffsicherheit der Politik bewusst?

Schulz: Ich denke schon. Der Wirtschaftsminister hat sie zur Chefsache erklärt, auch im Bundeskanzleramt ist das Problem angekommen, und wir haben es bei der EU-Kommission vorgetragen. Wir müssen ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Industrieländern mit hohem Rohstoffbedarf und den Ländern mit hohen Vorkommen wie Brasilien und Australien erreichen. Da brauchen wir faire Rahmenbedingungen.

NRW verfügt über große Kokskohlevorräte. Ist es mittelfristig denkbar, dass hier privatwirtschaftlich eine Zeche betrieben wird?

Schulz: Ich habe da meine Zweifel, dass die Projekte, die hier diskutiert werden, eine Chance auf nachhaltige Wirtschaftlichkeit haben. Die weltweiten Kokskohle-Vorkommen sind geringer als die der Kesselkohle. Aber die Hüttenleute und Ingenieure sind auch hier kreativ, um Koks mit einer anderen Kohlemischung herstellen zu können. Wir sind nicht nur auf Kokskohle angewiesen,wie wir mit unserer neuen Kokerei in Brasilien unter Beweis stellen.

Es droht die Rohstoffblase

Die Konjunktur zieht ordentlich an, hat auch der Stahl die Krise hinter sich?

Schulz: Im Frühjahr 2009 hatten wir eine Auslastung von nur noch 35 Prozent, jetzt sind es wieder 85 bis 90, teilweise nahe an 100 Prozent. Nach 33 Millionen Tonnen im Jahr 2009 wird die deutsche Stahlindustrie in diesem Jahr auf eine Produktion von 44 Millionen Tonnen kommen. Das ist zwar noch zehn bis 15 Prozent unter dem langjährigen Durchschnitt. Es ist dennoch eine Situation, in der man im Stahl Gewinne erzielen kann. Kurzum: Wir werden in diesem Jahr auch im Stahl Gewinne schreiben, trotz der Rohstoffpreiserhöhung.

Thyssen-Krupp ist Realwirtschaft, die Finanzwirtschaft hat die Krise verursacht. Was ist schief gelaufen?

Schulz: Ich finde, die Finanzwirtschaft hat die Aufgabe, der Realwirtschaft die notwendigen finanziellen Mittel zur Verfügung zu stellen. Das spekulative Element zum Beispiel im Eigenhandel, das Zocken mit Derivaten, deren Konstruktion manche Banker gar nicht mehr verstehen, das ist in hohem Maße unverantwortlich. Jetzt droht auf die Immobilienblase eine Rohstoffblase zu folgen.

Wie das?

Schulz: Nehmen wir das Beispiel Nickel: Es wird an den Börsen das 30-fache des physisch benötigten Nickelvolumens gehandelt. Mir fehlt die Vorstellungskraft dafür, was passieren könnte, wenn auch beim Eisenerz so spekuliert würde. Aber ich weiß auch, dass einige Banken hier bereits unterwegs sind.