Essen. Neue Technologien überfordern ältere Menschen, jüngere nicht, sagt Zukunftsforscher Thomas Druyen. Und warum man sie bloß nicht belehren sollte.

Thomas Druyen ist gern gesehener Gast in Talkshows und Zeitungsredaktionen, wenn es um Veränderung und damit verbundene Ängste geht. Seit zwei Jahren ist der Kalender des Zukunftsforschers noch voller. Druyen leitet zusätzlich die Opta Data Zukunftsstiftung. Der Essener Softwareentwickler für die Gesundheitsbranche ist auf Expansionskurs. Vor seinem Auftritt beim Gründerkongress Ruhrsummit am 28. Mai in der Bochumer Jahrhunderthalle erklärt Thomas Druyen im Interview mit unserer Redaktion, warum junge Menschen unverkrampfter mit neuer Technik umgehen und warum man sie um Gottes willen davon nicht mit Belehrungen oder gar Verboten abhalten soll.

Opta Data entwickelt nicht nur Software für das Gesundheitswesen. Seit 2022 beschäftigt sich auch die Opta Data Zukunfsstiftung mit Gesundheitsberufen. Warum?

Thomas Druyen: Studien über die Gesundheitsfachberufe sind die Kernkompetenz unserer Stiftung. Wir analysieren die Pflege, die Altenheime, die Physiotherapie, die Hebammen, das Sanitätswesen und so weiter. Wir erforschen die Möglichkeiten der neuen Technologien, um die Arbeit grundlegend zu verbessern. Dazu befragen wir immer wieder tausende Fachkräfte in ganz Deutschland, denn sie selbst kennen die Praxis und ihre Zukunft besser als alle anderen.

In einer Studie haben Sie sich zuletzt mit der Wertschätzung von Menschen, die bei Rettungsdiensten arbeiten, beschäftigt. Ein sehr aktuelles Thema nach all den Angriffen auf Sanitäter. Was ist dabei herausgekommen?

Druyen: Wir haben über 4000 Rettungsdienstkräfte befragt. Einerseits sind die Rettungskräfte von ihrer Tätigkeit begeistert, anderseits ist die gesellschaftliche Wertschätzung teilweise ignorant. Manchmal in Notfällen müssen die Rettenden sogar fürchten, persönlich angegriffen zu werden. Dies dokumentiert, dass wir als Gesellschaft die Systemrelevanz der Rettung und der anderen Gesundheitsfachberufe nicht erkannt haben. Wir schätzen sie in der Not, aber ansonsten nehmen wir sie kaum wahr. Das wollen wir ändern. Wir sind den Rettungskräften zu großem Dank verpflichtet.

„Folgen der Künstlichen Intelligenz nicht verständlich“

Sie sagen, dass die rasante Entwicklung von Technologien wie Künstliche Intelligenz ihre großen Vorteile gar nicht entfalten könne, weil sie zugleich das Denken der Menschen überfordere. Was kann man dagegen tun?

Druyen: Die Künstliche Intelligenz spielt eine einzigartige Rolle bei der globalen Entwicklung. In den Finanzmärkten, im Handel oder in der Wissenschaft ist sie der entscheidende Treiber und beschleunigt den Fortschritt in ungeahnter Weise. Diese maximalen Veränderungen wachsen immer mehr zusammen und schaffen neue Lebens- und Arbeitsmodelle.

Dennoch gibt es Vorbehalte.

Druyen: Weil für die allermeisten von uns die technischen Hintergründe und die systematischen Folgen nicht verständlich sind. Sie sind auch noch kein verlässlicher Bestandteil unserer Bildung. Ich nenne das anonymen Realismus, und der erzeugt Angst, Sorge und Unsicherheit. Wir nutzen zwar allesamt die tollen technischen Geräte, Software und Apps, aber gleichzeitig fürchten wir Datenmissbrauch, Hacker, Cyberspionage und Fakenews. Diese totale Überforderung können wir nur durch schnelles, umfassendes Erlernen und Trainieren neuer mentaler Methoden kompensieren. Die ist eine gesamtgesellschaftliche Herausforderung.

„Je älter die Menschen sind, desto skeptischer werden sie“

Gehen jüngere Menschen offener an Innovationen wie ChatGPT heran als ältere?

Druyen: Logisch. Diejenigen, die damit aufgewachsen sind, haben weder Furcht noch Berührungsängste. Sie haben es im Blut, und zwar nicht wie Schulaufgaben oder Lernpflicht, nein, sie haben es sich spielerisch, mit Freude und Neugier angeeignet. Das unterscheidet sie im Umgang mit allen anderen Generationen. Am Beispiel der Bedeutung von Privatsphäre kann man es gut ablesen. Die Jungen dokumentieren ihr Leben, ihre Gedanken und ihre Bilder digital und unentwegt. Und je älter die anderen Menschen sind, desto skeptischer sehen sie auf die freie Verfügbarkeit von persönlichen Daten. Für die jüngeren wird Veränderung normal, während die älteren großen Wert auf Kontinuität legten.

Sie sagen aber auch, dass Angst vor der ökologischen Katastrophe und politischen Unsicherheiten die junge Generation lähme, Innovationen voranzutreiben.

Druyen: Viele junge Leute spielen, experimentieren und schaffen neue Erfindungen, um die technischen Möglichkeiten optimal und zielgenau zu nutzen. All diejenigen, die im Digitalmarkt arbeiten und ständig kleine Firmen oder Projekte schaffen, beweisen das. Und dennoch zeigen aktuelle Jugendstudien, dass eine unübersehbare Menge von jungen Leuten Zukunftsängste haben und sich kaum mehr vorstellen können, wie die vielfältigen Krisen und der politische Irrsinn überwunden werden können. Ja, das ist psychologisch eine Lähmung und eine gefühlte Überforderung, die unsere Gesellschaft dazu zwingt, den jungen Menschen Perspektiven zu geben.

Hinkt das Ruhrgebiet auch deshalb bei der Gründung von Start-ups hinterher?

Druyen: Dass diese Lähmung im Ruhrgebiet besonders groß ist, glaube ich nicht. Im Gegenteil, diese Region kennt Strukturwandel wie kaum eine andere und hat ihn bewältigt. Dennoch scheint mir die Bereitschaft, sich präventiv zu ändern, neue Dinge einfach mal auszuprobieren und aus Fehlern zu lernen, noch ausbaufähig.

„Wirkliche Veränderung nur durch mutige Schöpfung“

Ist es auf der anderen Seite nicht positiv, dass sich junge Leute mit dem Klimawandel und den Folgen von Kriegen beschäftigen und dagegen auf die Straße gehen?

Druyen: Da gibt es keinen Zweifel. Reflexion, kritisches Bewusstsein und Zivilcourage sind großartig und dokumentieren Verantwortungsgefühle. Aber gleichzeitig muss man sich gnadenlos bewusst machen, wirkliche Veränderung und Verbesserung geschieht nur durch mutige Schöpfung, durch konkrete Nutzenstiftung und durch die Umsetzung von Ideen. Vielleicht sollten wir alle miteinander mehr für etwas Gemeinsames kämpfen und es umsetzen, als gegeneinander und gegen alles zu argumentieren.

Sie beschäftigen sich intensiv damit, wie sich Veränderungen und Innovationen auf die Psyche der Menschen auswirken. Eine der größten Veränderungen der neueren Zeit war sicherlich das Smartphone. Wir erklären Sie sich, dass vor allem Jugendliche damit so vorbehaltlos und unverkrampft umgehen?

Druyen: Unsere Gesellschaft ist auf Sicherheit, Planbarkeit und Begründbarkeit fixiert. Mit dieser Haltung waren wir Jahrzehnte höchst erfolgreich. Neues und Überraschendes wurde immer erstmal als mögliches Risiko wahrgenommen. Dieses gewohnte Mindset jetzt über Bord zu werfen und sich neuen und undurchsichtigen Technologien und ungewohnten Machtverschiebungen auszuliefern, setzt unser aller Psyche unter hohen Druck. Für jüngere Menschen, die durch schnellen Wandel und digitale Technologien bereits geprägt wurden, ist diese spielerische Aneignung viel leichter und ursprünglicher. Wenn man mit drei oder vier Jahren Smartphones in die Hand bekommt und sie wie spannendes Spielzeug nutzt, ist der Gebrauch eben vorbehaltlos, unverkrampft und wahrscheinlich in vielen Fällen auch Sucht erzeugend.

Das gilt ja auch für die sogenannten sozialen Medien.

Druyen: Wie können wir als Erwachsene überhaupt denken, dass Jugendliche von sich aus ein Verhalten aufgeben, was Spaß macht, was unterhält, wo ständig was passiert, womit man letztlich auch Geld verdienen kann und was es einem sogar ermöglicht, bestimmte Dienstleistungen von Urlaubsorten aus zu bewerkstelligen. Hätte man mir dies vor vierzig Jahren erzählt, hätte ich gedacht, ich träume. Psychologisch hier mit altpädagogischen Ratschlägen, Verboten und Ermahnungen zu operieren, schafft ein geistiges Klima, das unsere ganze Gesellschaft zum depressiven Stillstand bringt.

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